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Wenn der Sidaf zur Bedrohung wird: Beelitzer Logistikbataillon 172 für Afghanistaneinsatz auf Truppenübungsplatz Altengrabow Üben mit schwerer Technik und unter realistischen Bedingungen

Von Thomas Lähns 27.04.2012, 03:24

Dörnitz/Altengrabow l Vorsichtig tastet sich die schwere Kolonne durch eine steppenartige Landschaft: Mehrere geländegängige Lkw, begleitet von einem Radpanzer und großen bewaffneten Jeeps. Während die Räder den Staub der unbefestigten Straße aufwirbeln, lassen MG-Schützen auf den Dächern skeptisch ihre Blicke kreisen. Keiner der Soldaten weiß, was ihn hier, mitten im Nirgendwo, erwartet. Ein Dorf kommt in Sicht, neben der Straße versammelt sich eine Gruppe Paschtunen. Sie sehen nicht so aus, als würden sie sich über den Anblick der Streitkräfte freuen. Aber sie bleiben auf Abstand. Der Transportzug des Beelitzer Logistikbataillons 172 kann seinen Weg ungehindert fortsetzen und seine Lieferung ans Ziel bringen.

"Es ist nicht alles schwarz oder weiß", sagt Hauptmann Mathias Franke über die Haltung der Afghanen zu den ausländischen Streitkräften. Die Bevölkerung bestehe nicht nur aus Terroristen - aber auch nicht nur aus Sympathisanten. Man müsse bei jeder Begegnung genau abwägen, wer eine potenzielle Bedrohung ist. Wie in diesem Fall: Zwar lassen die bunt gewandeten "Einheimischen" die Truppen passieren, doch hinter dem letzten Fahrzeug vergraben zwei der Männer etwas im Sand. Möglicherweise eine Sprengfalle? Die "IED\'s" (Improvised explosive Device) gehören zu den gefährlichsten Waffen, mit denen die Taliban gegen die Nato-Streitkräfte vorgehen. Aber das letzte Fahrzeug hat es bemerkt und gibt die Meldung weiter.

Übungsszenario

Es handelt sich um ein Übungsszenario, das hier auf dem Truppenübungsplatz in Altengrabow simuliert wird - und je realistischer es ausfällt, um so besser werden die Soldaten des Beelitzer Logistikbataillons 172 auf ihren nächsten Auslandseinsatz vorbereitet. Im Oktober werden wieder 300 von ihnen für vier Monate nach Masar-e-Sharif gehen, um dort die Versorgung aller deutschen Streitkräfte in Afghanistan zu übernehmen - mit Munition, Ausrüstung und Lebensmitteln. Die anspruchsvollste Aufgabe haben jene, die außerhalb des Lagers operieren: Der Transportzug, der Lieferungen in die Stützpunkte übernimmt, und die Bergebereitschaften, die liegen gebliebene Fahrzeuge unter zum Teil hohem Risiko zurückholen müssen. Der 31-jährige Franke leitet die Nachschubkompanie, aus der sich diese Einheiten zusammensetzen. Sie haben in dieser Woche ein besonders straffes Programm: Nicht nur am Tage, sondern auch nachts müssen sie das Bergen von Fahrzeugen üben - unter "Lichtdisziplin", also im Stockdunkeln mit Nachtsichtgeräten.

Die "Paschtunen", die ihnen hier entgegentreten sind nicht einfach kostümierte Bundeswehrsoldaten: Die Männer sind auch in den Verhaltensweisen der nordafghanischen Stammesbevölkerung unterwiesen und verhalten sich entsprechend. Die Afghanen seien oft neugierig und sehr interessiert an der Technik der westlichen Streitkräfte, erklärt Franke, der selbst vor zwei Jahren schon einmal dort war. "Aber wenn eine Waffe auf sie gerichtet wird, werden sie auch feindselig reagieren." Sidaf - so nennt sich die Funktion der Turban tragenden Truppenteile. Das Kürzel steht für "Soldat in darstellender Funktion". Beim nächsten Durchgang im Juni werden die Rollen getauscht.

Es gebe mehrere Eskalationsstufen, die man im Einsatz ausnutzen sollte - und die hier geübt werden. Hilft das einfache Ansprechen nicht, um jemanden zur Kooperation zu bewegen, muss man bestimmter werden. Das geht weiter über den Warnschuss bis hin zum gezielten. Dabei gehören weder die Transporter noch die beiden Bergebereitschaften zu den kämpfenden Einheiten. Die "Recovery Task Forces", wie die tarngefleckten Pannenhelfer international genannt werden, sind herkömmliche Logistiker - also Schlosser, Materialsoldaten und Buchführer.

An normalen Tagen gehen sie ihren originären Jobs im Lager nach. Erst wenn es zum Beispiel einen Unfall gegeben hat, werden sie alarmiert und das bis zu 30 Mal pro Monat. "Früher wurde Ausbildung als Last empfunden", konstatiert Frankes Chef Boris Nannt, Kommandeur des Logistikbataillons 172. Das sei in Anbetracht der Anforderungen heute anders: Die Soldaten wollen "Verhaltenssicherheit", sagt er. Zumal die Zeiten herkömmlicher Frontal-Gefechte vorbei sind: Der Soldat des 21. Jahrhunderts steht mitten in unbekanntem Gebiet und muss sich nach allen Seiten hin absichern.

Pseudo-Paschtunen

Genau das probt die olivgrüne Kolonne zwischen den jungen Kiefern: Während die Besatzungen der Lkws mit dem Entladen beginnen, richten sich die Begleitfahrzeuge in alle Richtungen aus. Es dauert nicht lange, bis eines von ihnen Sichtkontakt zu den Männern aus dem nahen Dorf meldet. Die Gruppe ist aufgebracht: Johlend und Knüppel schwingend bewegt sich der Mob auf die Soldaten zu. So etwas sei immer möglich, bemerkt Franke. Wenn zum Beispiel eine wichtige Straße von der Bundeswehr abgeriegelt wird, um ein Fahrzeug zu bergen, sind die Leute sauer, weil sie warten müssen.

Als sich die Fahrzeuge in Marsch setzen, legen sich die Pseudo-Paschtunen auf die Straße, um die Kolonne aufzuhalten. Das Szenario wirkt bedrohlich: Wer weiß, ob die Männer unter ihren weiten Gewändern nicht vielleicht Waffen tragen? Und so lässt der Zugführer Warnschüsse abfeuern - eine Lösung, die Franke an diesem Punkt noch nicht für angemessen hält. Aber schließlich sei man ja zum Üben hier. Und immerhin ist die Truppe so geistesgegenwärtig und nimmt nicht den gleichen Weg, den man gekommen ist - denn der könnte ja nun vermint sein.