Weiße Kerzen im September / Millionen Motten befallen die Bäume / Rotblühende Sorten sind resistent Warum Kastanien jetzt ein zweites Mal blühen
Kastanienblüten im September? Wo doch die Kinder derzeit mit ihren kleinen Taschen die braunen Früchte zwischen den raschelnden Blättern auflesen. Schuld an diesem Natur-Durcheinander ist eine Motte. Die Miniermotte.
Berg/Biederitz l Wolfgang Wurm stoppt seinen Wagen am Straßenrand - er schaut verblüfft auf die Alleebäume: "Auf dem Weg von Magdeburg nach Biederitz fiel mir eine Kastanie auf, die jahreszeituntypisch Blüten trägt." Er zückt seine Kamera und lieferte der Volksstimme das nebenstehende Beweisfoto: "Vielleicht ist das ein Thema für unsere Lokalzeitung."
Nicht die September-Sonne ist verantwortlich für die herbstlich Baumblüte, sondern Millionen Motten. Fachleute sprechen in solchen Fällen von einer Notreaktion, mit der die Kastanien überleben wollen.
Das Problem: "Die neuen Blüten kosten dem Baum Energie, die ihm dann im Frühjahr zur echten Baumblüte fehlt. Er wird also zusätzlich geschwächt", erklärt Forstdirektor Reiner Aumann.
Der Leiter des Bundesforstbetriebs hat beobachtet, dass unzählige Kastanien derzeit weiße Kerzen haben. Daneben hängen braune, verschrumpelte Blätter. Ursache ist die Kastanien-Miniermotte. Weil die Mottenlarven die Blätter aufgefressen haben, versuchen die Bäume eine zweite Vegetationsperiode nachzuschieben.
Um zu überleben, kommen jetzt die Knospen, die der Baum für das kommende Frühjahr bereitgehalten hatte. Er wird mit jedem Jahr schwächer.
Aumann kennt dieses Phänomen in unserer Region seit gut 20 Jahren. Er sagt: "So lange diese Fraßschäden erst im Herbst auftreten, sind die Auswirkungen auf den Baum noch verkraftbar." Er erwartet kein Kastanienbaum-Sterben in den kommenden Jahren.
Woher kommt dieser Schädling? 1984 beobachteten Fachleute die Motte im ehemaligen Jugoslawien. Etwas später tauchte sie in Österreich und Bayern auf. Im Jerichower Land ist der Kleinschmetterling, der seine Eier auf der Oberseite von Kastanienblättern ablegt, seit den 90er Jahren bekannt.
Bisher hat die Miniermotte wenig bis gar keine Feinde. "Doch das scheint sich zu ändern", erklärt Annette Leipelt vom Naturschutzbund-Landesverband: "Blau- und Kohlmeisen sowie andere Insekten fressende Vögel interessieren sich zunehmend für diese reichhaltige Nahrungsquelle. Auch für Fledermäuse und Wespen könnte die Kastanienminiermotte ein attraktives Beutetier werden."
Im Kastanienlaub überwintert der Schädling im Puppenstadium. Annette Leipelt: "Wer das Laub aufharkt und getrennt von Hecken und Kompost entsorgt, dezimiert die nächstjährige Mottengeneration. Eine gute Möglichkeit ist die Verbrennung in Feuerschalen." Allein reicht diese Maßnahme jedoch nicht aus. Ein Teil der Motten bleibt im Herbst im Puppenstadium auf den Blättern zurück und fällt mit dem Laub zu Boden. Im nächsten Frühjahr schlüpft daraus die neue Mottengeneration. Auch diesmal wird es wohl auf eine ähnliche Sammelaktion hinauslaufen. Eine andere Empfehlung des Nabu lautet: "Das Laub möglichst tief in der Erde zu vergraben."
Interessant findet Forstdirektor Aumann die Tatsache, dass "der Schädling oft auch einzelne Bäume im großen Abstand zueinander befällt". Für seine Wälder stuft er dies nicht als bedrohlich ein: "Allerdings sind einige Kastanien der Straßenallee zwischen Biederitz und Magdeburg in einem schlechten Zustand."
Forstwirtschaftlich hat diese Baumart Aumann zufolge nur eine geringe Bedeutung: "Bei Pflanzungen streuen wir Kastanien einzeln als Nahrungsquelle für das Wild ein."
Auch das Kastanienholz gilt nicht als wertvoll. In seltenen Fällen entstehen daraus Möbel oder Drechselarbeiten. Aumann: "Das Holz ist zudem sehr anfällig für Pilze."