Ostalgie Zwei Männer und ein Mitropawagen
Essen im Zug - wie zu DDR-Zeiten. Seit kurzem geht das wieder: In Miesterhorst kann man in einen Mitropaspeisewagen steigen.
Miesterhorst l Ein bisschen riecht es sogar noch wie früher. Undefinierbar irgendwie. So ein Gemisch aus Alu und Reinigungsmittel und Bockwurst. Sehr vertraut. Und erst der Anblick: Jedem Ossi, der hier hereinkommt, zaubert er automatisch ein Lächeln ins Gesicht. „Mensch Mitropa“, was waren das für Zeiten.
Die altbekannten grünen Kunststoffbänke, ach, man kennt sie noch gut. Dass man darauf nicht so bequem sitzt, war völlig egal. Hauptsache man bekam einen Platz und Kaffee.
Auf beides muss man bei Peter Röhse an diesem trüben Morgen nicht lange waren. „Leider haben wir noch kein Mitropa-Geschirr“, sagt er. Dafür ist sein Kaffee gut, nicht so wie einst, als die Tassen stärker waren als der Inhalt... Und beim Kaffee erzählen Peter und sein Vater Manfred Röhse dann auch, wie sie zu ihrem ostalgischen Imbiss gekommen sind. Auf der Suche nach einer neuen Geschäftsidee für ihr Firmengrundstück in Miesterhorst fiel den beiden der alte Mitropawagen ins Auge. Der stand da schon an der B 188, nur rund 40 Kilometer entfernt bei Vinzelberg. Baujahr 1975. Eigentlich war er da auch als Bistrowagen geplant, aber nie genutzt worden und mittlerweile beschmiert und demoliert. Drinnen nisteten Vögel. Der Verkauf war schnell besprochen. Dabei, das Riesenteil zu bewegen, halfen Manfred Röhse zunächst nicht einmal seine wirklich guten Beziehungen zu seinem ehemaligen Arbeitgeber VW. Nur so viel: Am Ende rollte er an, im November 2018, innerhalb einer Nacht und unter Polizeibegleitung. Zuvor musste er etwas tiefer gelegt werden, damit er unter sieben!!! Brücken durchpasste.
Weil er stilecht auch in Miesterhorst wieder auf Schienen stehen sollte, hatte Peter Röhse in tagelanger Arbeit und mit Tipps von einem ehemaligen Bahner dort ein echtes Gleisbett angelegt, 20 Tonnen Kies mit der Hand geschippt. Und da stand er nun. „Und wir hatten keine Ahnung, was uns erwartet“, sagt Manfred Röhse.
Wie viele Stunden sie an ihrem Schätzchen werkelten, bohrten und schraubten, haben Vater und Sohn nicht gezählt. Das Ergebnis allerdings ist ebenso großartig wie ostalgisch. Und das liegt in erster Linie an der Liebe zum Detail, die Röhse Senior und Junior walten ließen. Denn überall begegnet man alten „Bekannten“. Dem Riesenaschenbecher, den Alutürgriffen, den Sprelacartplattenwänden und den Schildern, die in Deutsch, Französisch, Italienisch und natürlich Russisch mitteilen, dass man sich nicht hinauslehnen darf. Der Wagen ist „Mitropa-Rot“ lackiert. RAL 3005, Ehrensache. Das musste extra angemischt werden. Und natürlich hat der Schriftzug Mitropa die Originalschriftart.
Drinnen sitzen an diesem Morgen auch schon ein paar Gäste. Einer davon ist ein ehemaliger DDR-Bahner. „Fast wie das Original“, sagt er mit Kennerblick. Auch die anderen Gäste finden es „cool“ hier. Sie essen Bockwurst. Was sonst?
Platz haben im Wagen übrigens maximal 28 Leute in sechs Nischen und am Tresen. Der ist auch noch fast im Originalzustand. Nur die Technik in der Küche ist natürlich neu. Dort sorgen Peter Röhse und seine Lebensgefährtin und Geschäftsinhaberin Jelena Iwanowa in der Woche fürs leibliche Wohl der Gäste. An den Wochenenden kann man den Wagen samt Personal übrigens auch für Feiern mieten. So der Plan. Vorstellen könnten sie sich auch Events wie Oldtimerbörse oder Flohmarkt rund um den Wagen. Platz genug ist drumherum auf dem ehemaligen Autohaushof allemal.
Nur das unkaputtbare Mitropageschirr müsse er sich natürlich noch besorgen, sagt Peter Röhse schmunzelnd. „Ein Stammgast bringt sich schon immer seine Original-Mitropatasse mit, wenn er zum Frühstück kommt.“ Damit schmeckt wohl sogar der Kaffee ein bisschen wie Rondo.