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Corona-Opfer Hohe Kosten - leere Kasse

Seit 1993 hatte der Kunstverein Genthin seinen Sitz im Wasserturm. Nun musste er ausziehen.

Von Susanne Christmann 01.03.2021, 00:01

Genthin l Wenn von Corona-Opfern die Rede ist, sind gemeinhin jene gemeint, die mit oder an dem Virus gestorben sind. Zunehmend rücken auch Firmen in den Fokus, die durch den Lockdown in eine prekäre Lage geraten sind. Dass aber auch gemeinnützige Vereine coronabedingt an den Rand ihrer Existenz gelangen, ist bisher noch kaum ans Licht der Öffentlichkeit gelangt.

Getroffen hat es jetzt aber in Genthin den Kunstverein. Seit 1993, also seit 28 Jahren, hat dieser seinen Sitz in Genthins Wahrzeichen, dem Wasserturm. Aus diesem ist er in der vergangenen Woche endgültig ausgezogen. Genauer, war er gezwungen auszuziehen. Denn zum Jahresende beziehungsweise zu Beginn des neuen Jahres stand die Bezahlung einiger Rechnungen an.

Durch den Lockdown und die damit verbundenen Einschränkungen, so Regina Bahr und Heidrun Telke in einem Gespräch mit der Volksstimme, konnten aber das gesamte Jahr über keine der sonst vom Verein traditionell veranstalteten Lesungen, nicht das berühmte Konzert zwischen den Jahren, nicht die Vorträge und auch kein Weihnachtsmarkt stattfinden. Veranstaltungen, bei denen der Verein Einnahmen erzielen und Spendengelder einsammeln konnte, mit denen es dann möglich war, die Rechnungen für den Vereinssitz im Wasserturm zu begleichen.

„Wir standen also da mit den hohen Kosten und der leeren Kasse“, so Regina Bahr. In einer Versammlung im schriftlichen Verfahren entschieden sich die Mitglieder dafür, den Sitz im Wasserturm zu kündigen und mit Sack und Pack so schnell wie möglich auszuziehen. In dieser Situation, so Regina Bahr und Heidrun Telke, habe es dann wieder Leute gegeben, die unkompliziert ganz praktisch und ohne groß zu fragen einfach geholfen haben. Ronny Harzendorf und Sebastian Kroll vom gegenüberliegenden Jugendhaus „Thomas Morus“ hätten sofort mit einem Auto und weiteren Helfern auf der Matte gestanden und tatkräftig beim Ausräumen, Sortieren und Wegtransportieren des nicht mehr verwertbaren Sperrmülls angepackt.

So konnten die Räume, an deren Fenstern immer noch der vertikale Schriftzug „Kunstverein“ prangt, recht schnell besenrein gemacht werden. „Da ist uns ein Stein vom Herzen gefallen“, bekennt Regina Bahr, denn nicht wenige Vereinsmitglieder sind gesundheitlich und aufgrund ihres Alters einfach nicht mehr in der Lage, solche Ausräumaktionen mit eigenen Händen zu bewältigen. Es wurde schließlich an Interieur veräußert, was veräußert werden konnte. Mit den damit erzielten Erlösen und Spenden können nun die anstehenden Rechnungen beglichen werden. Als Glück im Unglück sei der Verein Stadtgeschichte dem Kunstverein helfend zur Seite gesprungen. Die Mitglieder, so erzählt Regina Bahr, haben dem Kunstverein sofort vorübergehendes Asyl in ihren Räumlichkeiten in der Lindenstraße angeboten und einen Schrank leer geräumt, damit der Kunstverein dort seine Akten unterbringen kann. Und auch gleich dem Verein Platz für den Namen auf ihrem Briefkasten gemacht, damit der Kunstverein nicht ohne Adresse dastehen muss.

Diese Hilfsbereitschaft macht möglich, dass Regina Bahr und Heidrun Telke jetzt auch im Namen der anderen Mitglieder sagen können: „Wir wollen den Kunstverein nicht einschlafen lassen.“ Zwar schaffe man es nicht, den Verein in seiner bisherigen Form weiterzuführen. Ausstellungen zu veranstalten gehe in den Asylräumen zum Beispiel nicht. Aber wenn die Corona-Lage es wieder zulasse und die Mitglieder des Kunstvereins in der Lindenstraße wieder zusammenkommen dürften, dann werde besprochen, wie es genau weitergehen soll.

Regina Bahr und Heidrun Telke haben sich die gesamte Corona-Zeit über jede Woche zum gemeinsamen Malen und Zeichnen getroffen. „Wir brauchen das auch als Therapie gegen den Lockdown-Frust“, bekennen sie. Regina Bahr hat das Wandern in der nahen Umgebung für sich entdeckt. „WWW – Wildes Waldwandern“ nennt sie das für sich. Ein Kalender für 2022 sei in Arbeit und die Idee, ein Kochbuch mit eigenen Rezepten der Mitglieder samt Illustrationen herauszubringen, wird auch nicht mehr lange nur eine Idee bleiben.