Coronavirus Zast: Tumulte, Fragen, halbgare Fakten
Die Proteste in der Zast in Halberstadt machen grundsätzliche Probleme deutlich. Sachsen-Anhalt will punktuell nachjustieren.
Halberstadt l Der Frust bei 100 bis 150 der insgesamt knapp 850 Bewohner in der Zentralen Anlaufstelle für Asylsuchende (Zast) saß augenscheinlich sehr tief. Weil das Mittagessen am Samstag nicht passte, brach sich augenscheinlich angestaute Verärgerung Bahn. Die Annahme des Essens wurde verweigert, nach außen hin von Hungerstreik gesprochen. Die Situation schaukelte sich hoch. Es gab Rangeleien mit Wachleuten. Zäune, die die Einhaltung der Quarantäne zwischen den Wohnblöcken garantieren sollen, flogen um. Zudem griffen einige Asylbewerber zum bekannten Mittel, um die Situation zusätzlich zu eskalieren und lösten grundlos den Feueralarm aus.
Polizei hält sich zurück und deeskaliert die Situation:
Wenig später raste nicht nur die Feuerwehr herbei – um keinen Brand zu entdecken –, auch die Polizei schickte über 100 Einsatzkräfte zur Zast. Die Taktik ging auf: Die Beamten zeigten Präsenz, hielten sich aber bewusst außerhalb der Zast präventiv zurück und deeskalierten so die Situation.
Am Samstagabend hatte sich die Lage nach Angaben von Denise Vopel, Sprecherin des für die Zast zuständigen Landesverwaltungsamtes, wieder beruhigt. Gleichwohl sollen nach Informationen der Volksstimme einige Bewohner auch am Sonntag die Nahrungsannahme demonstrativ verweigert haben. Wie sich die Situation in den nächsten Tagen weiter entwickelt, bleibt abzuwarten.
Ungewollte Kontaktaufnahme innerhalb der Zast:
Dass Migranten die Trennzäune zwischen den abgeriegelten Bereichen umgestoßen haben, hält auch Alexander Schröder vom Solidaritätsnetzwerk in Halberstadt für problematisch. Zumal es damit, wie Denise Vopel sagte, hinsichtlich der bis zum 8. April bestehenden Corona-Quarantäne des Lagers zu einer ungewollten Kontaktaufnahme zwischen Personen aus dem bereits auf eine Corona-Infektion getesteten Block B und den noch nicht getesteten Bewohnern aus Block C gekommen sei.
Die Konsequenzen dieser ungewollten Kontaktaufnahme ließen sich noch nicht abschätzen. „Hier müssen die Mitarbeiter des Kreis-Gesundheitsamtes entscheiden“, so die Sprecherin des Landesverwaltungsamtes.
Quarantäne: Ärztin sieht keine gravierenden Konsequenzen:
Nach Angaben von Amtsärztin Dr. Heike Christiansen führt die Lage am Samstag nicht dazu, dass Quarantäne-Regelungen geändert oder gar verlängert werden müssen. Es habe kein so direktes Aufeinandertreffen der Bewohner gegeben, das eine Verschärfung der Quarantäne-Regelungen nötig machen würde, so die Medizinerin am Sonntag auf Anfrage. Die Amtsärztin habe sich am Samstagabend selbst ein Bild vor Ort gemacht und insgesamt den Eindruck, dass die Mehrheit der Bewohner die Quarantäne positiv annehme und sich selbst vor Ansteckung schützen wolle, so eine Sprecherin der Kreisverwaltung.
Inwieweit andere Quarantäne-Anordnungen nötig seien, hänge in den nächsten Tagen davon ab, wie noch ausstehende Testergebnisse der Bewohner ausfielen, so Dr. Christiansen.
Gleichwohl stellen sich mit Blick auf die Zustände im Lager viele Fragen. Aktuell befinden sich dort rund 840 Menschen nach dem Auftreten von zunächst einer Corona-Infektion unter besagter Quarantäne. Bis zum Freitag vergangener Woche stieg die Zahl der positiv auf Covid-19 getesteten Migranten sowie direkter Kontaktpersonen auf 24. Diese seien umgehend ins Quarantänelager nach Quedlinburg gebracht worden, hieß es seitens des Landesverwaltungsamtes.
Die Bewohner, das machen Videosequenzen aus der Zast deutlich, kritisieren unter anderem fehlende Informationen und eine zu späte Verlegung von Infizierten nach Quedlinburg. Zudem sind sie in Sorge, sich aufgrund der oft räumlich engen Unterbringung besonders schnell infizieren zu können.
Netzwerk verbreitet Hilferuf der Zast-Bewohner:
Fakten, die auch in einem am Wochenende verbreiteten offenen Brief des Antirassistischen Netzwerks Sachsen-Anhalt thematisiert werden. Die Lage in der Zast scheine zu eskalieren. Wenn nicht schnell etwas passiere, gebe es hier Tote, wird ein Zast-Bewohner zitiert. Zentrale Forderung der Menschen sind eine bessere Versorgung und eine dezentrale Unterbringung.
Kritik an der Versorgung und der Infektionsgefahr formuliert auch Alexander Schröder vom Solidaritätsnetzwerk. So müssten sich die Menschen anstellen, um ihr Essen zu erhalten, kritisiert er. Doch welche konkrete Gefahr soll davon ausgehen, wenn untereinander wie vorgeschrieben anderthalb Meter Mindestabstand eingehalten werden? Das Essen werde kalt, skizziert Schröder ein Problem, das inhaltlich allerdings schwerlich nachvollziehbar ist. Und: Letztlich räumt auch er ein, alle internen Fakten nur vom Hörensagen zu kennen. So auch die Kritik an der Essensmenge. Es gebe insgesamt zu wenig, überwiegend nur normales Brot oder Tütensuppen.
Amtsärztin hofft insgesamt auf Verbesserungen in der Zast:
Kritik an der Situation üben auch Vertreter der Linkspartei auf Landes- und Bundesebene. In einem Brief an Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) machen auch sie die Forderung nach besserer Versorgung der Zast-Bewohner, besserer Information hinsichtlich der Covid-19-Infektion und einer dezentralen Unterbringung auf.
Zumindest auf die Kritik hinsichtlich der Lebensmittelversorgung wollen die Verantwortlichen auf Landesebene nun reagieren. Aktuell gehen die Möglichkeiten der Bewohner, sich mit eigener Beschaffung auf Taschengeld-Basis individuelle Versorgungswünsche zu erfüllen, wegen der Quarantäne gegen Null.
Was Denise Vopel vom Landesverwaltungsamt bestätigt: „Aktuell haben wir keine externe Versorgung.“ Nach ihren Angaben soll künftig wieder verstärkt auf die individuellen Wünsche der Bewohner reagiert werden. So seien Bestell-Listen geplant, die anschließend von Helfern abgearbeitet werden.
Offenbar wird auf Landesebene auch darüber nachgedacht, den Migranten mehr Taschengeld zukommen zu lassen, um ihnen mit Blick auf den Preisanstieg bei Lebensmitteln mehr Möglichkeiten einzuräumen.
Auf „entsprechende Schritte zur Verbesserung der Wohnsituation, Hygiene und Essensversorgung“ hofft auch Amtsärztin Dr. Christiansen. Dies habe das Land ja bereits angekündigt.
Zudem will das Land offenbar auch auf die Kritik hinsichtlich schlechter Kommunikation reagieren und mehr Dolmetscher in die Zast bringen. Allein die Forderung nach mehr dezentraler Unterbringung dürfte eine offene bleiben. In der Zast sind neben Neuankömmlingen, die das Erstaufnahmeprozedere durchlaufen, insbesondere Menschen mit geringen Bleibeperspektiven oder unklarem Status aufgrund fehlender Papiere untergebracht.
Die Strategie des Landes ist klar: Diese Menschen sollen ganz bewusst nicht landesweit verteilt untergebracht werden, um Abschiebungen leichter realisieren zu können. Daran soll sich nach Informationen der Volksstimme nichts ändern. Zumal es in der aktuellen Corona-Krise mit diversen Beschränkungen schwierig sein dürfte, in den Städten und Landkreis Kapazitäten zu finden, um Hunderte Menschen unterzubringen.