Interlese Geschichten von Flucht und Vertreibung
Autoren aus Syrien, der Türkei und Deutschland waren im Rahmen der Interlese in der Old School in Havelberg zu Gast.
Havelberg l Die im Bundesland mit Unterstützung des Friedrich-Bödecker-Kreises ausgetragene „Interlese“ machte jetzt auch in Havelberg Station. Zu Wort kommen bei dieser Aktion internationale Schriftsteller.
In der Old School – der einstigen Stadtschule – hatten sich dazu am Freitagabend gleich drei Autoren eingefunden. Moderator Dr. Mieste Hotopp-Riecke – er betreut über die Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung das Projekt „Eigene Spuren suchen“ – stellte sie dem Publikum vor. Im Rahmen dieses Projektes hatte er den Syrer Ammar Awaniy betreut, welcher 2015 aus Homs vor dem drohenden Militärdienst geflohen war.
Der junge Syrer hatte in der Metropole seit 2010 unter anderem Computertechnik studiert. Die erste Flucht scheiterte an einem fehlenden Dokument, der zweite Anlauf gelang. Seine Flucht verarbeitete der Neu-Magdeburger in dem Buch „Fackeln der Angst“, welches kürzlich im Ziethen-Verlag Oschersleben erschienen ist.
Seit er in Deutschland war, widmete er sich intensiv dem Erlernen der Sprache – so konnte er nun schon selbst in recht guten Deutsch aus seinem Buch vorlesen. In Havelberg berichtete er vom letzten Tag in Homs, wo er mit seinem Vater eine letzte Tasse trank. In der Nacht hatte er schlecht geschlafen, als die Tasse alle war, begann er zu weinen.
Er war 17 Jahre alt gewesen, als nach dem arabischen Frühling von 2011 in Syrien der Bürgerkrieg ausbrach. Seitdem war die Familie mehrfach umgezogen – die alten Wohnungen waren zerbombt. Der von verschiedenen Mächten ausgetragene Krieg machte es dem Jugendlichen in Homs unmöglich, abends das Haus zu verlassen oder seinen Hobbys nachzugehen – es wurde eine geraubte Jugend.
In Magdeburg, wo er seit zwei Jahren heimisch lebt, ist er zur Zeit Masterstudent, sollte Syrien irgendwann wieder sicher sein, will er dorthin zurückkehren. Jeden Tag steht er mit seinen Eltern im Kontakt. Er ist glücklich, dass er viele Orte bereisen kann, um dort seine Geschichte vorzustellen.
Mit der dort recht bekannten türkischen Dokumentarfilmerin Sehbal Senyurt Arinli war ein weiterer Flüchtling in der Old School zu Gast. Auch sie hatte die Strapazen ihrer Flucht aufgeschrieben. Da sie nur schlecht deutsch spricht, übersetzte der Moderator ihren Vortrag anschließend ins Deutsche – diese Lesung erfolgte also zweisprachig.
Die aus Ex-Jugoslawien stammende Autorin, welche in der Türkei unter fadenscheinigen Gründen zwei Male verhaftet worden war, lebt jetzt mit einem Stipendium des PEN-Zentrums in Köln. Eine passende Anklage habe man in der Türkei für sie nicht finden können, erzählte sie.
Mit dem Bericht über ihre Flucht betrat die Filmemacherin und Autorin sozusagen Neuland, denn bislang hatte sie nur Kurzgeschichten verfasst. Ihr „Tagebuch einer Einsiedlerin“ wurde so zum „Tagebuch einer Geflüchteten“.
Bislang hatte sie für ihre Filme immer nur Asylanten begleitet, jetzt sei sie selber ein Flüchtling – und lernt so die andere Seite kennen. Leider muss sie darum immer aus Koffern leben und sich den verschiedenen Ritualen der Gastgeber anpassen. Ihr größter Wunsch ist es denn auch, mal etwas mehr als nur wenige Monate in einer Wohnung leben zu können.
Anders als angekündigt las der Berliner Autor Christoph Peters aus seinem Roman „Selfie mit Scheich“ über Begegnungen in der islamischen Welt. Das passte besser zum Thema „Zweiheimisch“.
Ammar Awaniy sei schon das zweite Mal in Havelberg, berichtete er auf Nachfrage von Heinz Sporkhorst. Es sei eine schöne Stadt mit toller Natur – seine Heimatstadt ist hingegen zu großen Teilen zerstört. Im Vorjahr war er beim Sommercamp in der Domstadt zu Gast.
„Bei direktem Kontakt entsteht weniger Misstrauen zu Fremden“ zog der Moderator zum Ende der Veranstaltung ein Resümee.