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Viele schöne Erinnerungen: Langjährige Mitarbeiter und Bewohner erzählen aus zwei Jahrzehnten im "Haus Wulkau" Wer morgens Tischdienst hatte, musste erstmal die alten Öfen anheizen

Von Andrea Schröder 27.05.2013, 03:25

Wulkau l Kerstin Streblow kennt das "Haus Wulkau" schon, als es noch ein Kinderferienlager war. Da hat sie in der Küche gearbeitet und Näharbeiten erledigt. Als in dem Gebäude am Rande des kleinen Dorfes im Januar 1993 das Wohnheim des Suchthilfezentrum der Therapiegemeinschaft Westhavelland eröffnet wurde, war sie ebenfalls in der Küche tätig. An die ersten drei Bewohner, die ins Heim einzogen, kann sie sich noch gut erinnern. Und auch an die Nudelsuppe, die sie gekocht hatte.

Die Nudeln im Topf sind immer dicker geworden

"Wir haben auf die Bewohner gewartet, die Nudeln wurden immer dicker. Das werde ich nie vergessen", erzählt sie. Auch, dass ihre Mutti sie unterstützt und eingearbeitet hat. Heute gehört Kerstin Streblow zum Betreuerteam. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin und ist Gruppenbetreuerin.

Fast genauso lange gehört Marlies Göhler zum Team. Im April 1993 begann sie als Wirtschaftsleiterin. Sie qualifizierte sich weiter und ist seit vielen Jahren die Verwaltungsleiterin in der Einrichtung. Zu den "20-Jährigen" gehören außerdem Köchin Karin Witt, Krankenschwester Anke Henke, Gruppenleiterin Ilka Wolfert sowie der Initiator und Chef des Suchthilfezentrums Bernd Schaefer und der pädagogische Leiter Bernd Kracht. Und auch einige Bewohner sind seit vielen Jahren dabei. So wie Waltraud Sauer, Rolf Kaiser, Gerhard Gehrmann, Klaus-Dieter Pense, Wolfgang Ohle und Ingrid Rohde. "Ich fühle mich sehr gut aufgehoben hier", sagt Waltraud Sauer. Bevor sie nach Wulkau kam, lag sie zehn Monate im Koma. "Ich war schwer krank, konnte anfangs nicht mal laufen. Ich bin hier glücklich." Von Anfang an gehört die 71-Jährige, die aus Nierow stammt, der "roten Gruppe" an.

Wenn Mitarbeiter und Bewohner an die ersten Jahre zurückdenken, sind da auf jeden Fall auch die verschiedenen Öfen, die geheizt werden mussten. Im riesigen Speiseraum stand ein Kanonenofen. "Nur zwei, drei Meter um den Ofen herum war es warm", berichtet Wolfgang Ohle.

Die Küche war wie zu Großmutters Zeiten mit einem gemauerten Herd ausgestattet. Wer morgens Tischdienst hatte, musste als erstes zunächst die Öfen anheizen. Die Holzbaracke mit den Zimmern wurde renoviert. Das war gleichzeitig ein Stück Arbeitstherapie für die Bewohner.

Es war eine schöne, aber auch gefährliche Zeit, denken die Mitarbeiter an die Sachen, die auf den Öfen getrocknet wurden. Auch in den Familienbädern mussten große Kessel geheizt werden, das überkochende Wasser sprudelte öfter mal heraus.

1997/98 fanden die Umbauarbeiten statt. Bei laufendem Betrieb mit den 30 Bewohnern. Einzelzimmer wurden in Doppelzimmer umfunktioniert. Die Bewohner halfen zum Beispiel, die Kachelöfen rauszunehmen. "Wir sind von einem Flur zum anderen gezogen", berichtet Marlies Göhler von den Arbeiten. Und: "Die Bewohner waren sehr tolerant, da gab es kein Meckern. Der Zusammenhalt war richtig gut." Gegessen wurde in Etappen. "Das war eine schwierige Situation, nicht nur über ein paar Wochen, sondern über Monate. Aber sie wurde gut gemeistert", sagt Ilka Wolfert.

Stolz darauf, über Jahre abstinent geblieben zu sein

Die Einrichtung wuchs und es kamen mit ambulant betreutem Wohnen, Außenwohngruppen in Wulkau und Warnau und zuletzt 2007 ein Pflegeheim immer neue Bereiche hinzu. Eine Holzwerkstatt für den Beschäftigungsbereich wurde 2005 in Wulkau eröffnet.

Die Abwechslung in den Therapien ist es, was Ingrid Rohde sehr gut gefällt. "Und man ist nicht allein." Geschätzt wird sie von Bewohnern und Mitarbeitern, weil sie immer ein Lachen mitbringt. Das war nicht so, als sie nach Wulkau kam. Sie hat seit sechs Jahren ihr Zuhause in der Außenwohngruppe in Warnau und fühlt sich dort sehr wohl. Ebenso Klaus-Dieter Pense. Er kennt das "Haus Wulkau" von Anfang an, lebt aber mittlerweile in der Wohngruppe in Warnau. "Ich habe im Dachgeschoss mein eigenes Reich." Geschieden, arbeitslos und allein in einem großen Haus - das alles war dem heute 64-Jährigen über den Kopf gewachsen. Er suchte Trost im Alkohol.

"Ich wäre verebbt, es ging gar nichts mehr", ist er froh über die Hilfe, die er bekommen hat und bekommt. Stolz ist er, dass er über all die Jahre abstinent geblieben ist. "Ich brauche einen festen Rahmen zur Bewältigung meines Alltages", schätzt er selbst ein und berichtet, dass ihn sein Kurzzeitgedächtnis immer mal wieder verlässt. Mit Notizen auf Zetteln geht er dagegen an.

Gern nutzt er den Wohnwagen der Einrichtung am Kamernschen See, der den Bewohnern für das lebenspraktische Training zur Verfügung steht. "Ich gehe gern ins Nass. Dort ist das wunderbar."

Ins Schwärmen kommen die Bewohner auch, wenn sie an die Tagesausflüge oder Mehrtagesreisen denken, die etwa an die Ostsee, in die Oberpfalz oder nach Bayern führten. Wolfgang Ohle wird den einen Abend, als es nur Käse zum Essen gab, nicht vergessen. Der Grillabend am nächsten Tag entschädigte aber.

Für Abwechslung ist mit den verschiedenen therapeutischen Angeboten gesorgt. Die Warnauer kümmern sich zum Beispiel auch um ihren Garten im Ort - geplant als Gala-Projekt zur Bundesgartenschau 2015. Auf Dorffesten in Warnau, Garz, Schollene und Wulkau sind nicht nur die Laubsägearbeiten bei den Basaren beliebt. Der Zusammenhalt ist immer noch groß, auch wenn es mittlerweile rund 100 Bewohner gibt, sagt Ilka Wolfert, die auch den Chor der Bewohner leitet. Die Expansion bringt aber auch kleine Schattenseiten mit sich, nimmt etwas vom Familiären.

57 Mitarbeiter haben einen festen Arbeitsplatz

Wenn auch die Bedingungen durch Modernisierungen und Neubau leichter geworden sind, wird die Arbeit nicht leichter. Das Klientel ist schwieriger, der Hilfebedarf größer geworden, schätzen die Mitarbeiter ein. Die Bewohner sind eingebunden in den Tagesablauf und da muss es zum Beispiel in der Küche funktionieren. Egal, ob beim Gemüseputzen, Kartoffelnschälen, Kompottzubereiten oder Saubermachen. "Hier haben wir große Hilfe von den Außengruppen. Dafür bedanken wir uns an dieser Stelle", sagt die Verwaltungsleiterin.

Auch ein Dankeschön an den Chef im Namen aller Mitarbeiter ist ihr im Gespräch mit der Volksstimme wichtig: "Durch ihn konnte das alles erreicht werden. Mit seiner Zielstrebigkeit und seinem Kampfgeist findet er immer wieder Wege und lässt sich nicht unterkriegen. Viele Bewohner haben hier ihr Zuhause gefunden und 57 Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz."