1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Worte aus der Kirche: Gedanken zum Sonntag: Die Nachtigall im Mai

Worte aus der Kirche Gedanken zum Sonntag: Die Nachtigall im Mai

Mit ihren persönlichen Gedanken melden sich Christen in Magdeburg am Sonntag zu Wort. Diesmal Domprediger Jörg Uhle-Wettler.

05.05.2024, 08:00
Ein schlichtes Äußeres, aber eine gewaltige Stimme - das sind die Hauptkennzeichen der Nachtigall. Ihr Gesang hat die Nachtigall berühmt gemacht. Prominente Komponisten, wie Ludwig van Beethoven und Chopin haben sich von der Meistersängerin inspirieren lassen und ihren Gesang in Kompositionen nachempfunden
Ein schlichtes Äußeres, aber eine gewaltige Stimme - das sind die Hauptkennzeichen der Nachtigall. Ihr Gesang hat die Nachtigall berühmt gemacht. Prominente Komponisten, wie Ludwig van Beethoven und Chopin haben sich von der Meistersängerin inspirieren lassen und ihren Gesang in Kompositionen nachempfunden Foto: Andreas Kobel

Als Kind brachte ich einen Spatzen mit nach Hause. Er hüpfte angeschlagen in der Neustädter Straße auf meinem Schulweg herum und ließ sich mit bloßen Händen greifen und einfangen. Ich baute ihm eine Kiste. Morgens, vor der Schule, ging ich immer als Erstes zu ihm, um nach ihm zu sehen. Er hüpfte aufgeregt in der Kiste hin und her. Und rief immerzu. Tschilp, Tschilp. Tschilp, Tschilp. Sein winziges Herz bebte in dem kleinen Körper. Ich fühlte mich richtig gebraucht, da ich für jemanden zu sorgen hatte.

Eines Morgens lag mein Spatz in der Kiste auf dem Rücken. Der ist nicht tot, erklärte ich meinen Eltern. Der hält den Himmel mit den Füßen fest. Ja, so einer war mein Spatz.

Lesen Sie auch: So gefährdet sind die Vögel in Magdeburg

Spatzen sind im Frühjahr meist melancholisch. Bald kommen die Weitgereisten zurück und prahlen mit ihren Wundern, die sie in der Welt erlebt haben. Was soll ein Dableiber schon beitragen zum Gespräch der Vielgereisten? Wahrscheinlich war mein Spatz auch ein Dableiber, der gerade so der Katze im Knattergebirge entkam. Irgendwann wird die Welt größer als der Schulweg. Man lernt Spatzen kennen, die andere ruinieren, weil sie deren Begabungen nicht haben.

Magdeburgs Domprediger Jörg Uhle-Wettler.
Magdeburgs Domprediger Jörg Uhle-Wettler.
Foto: Viktoria Kühne

Ein halbes Jahrhundert später höre ich in Magdeburg eine Nachtigall. Sie lebt zwischen Dom und Milchkuranstalt in den Büschen. Greifen und einfangen lässt sie sich nicht. Ich mag ihren wohltönenden, abwechslungsreichen, nachts vorgetragenen Gesang.

Die Nachtigall steht für Romantik und Hoffnung. Ihr Name leitete sich von dem althochdeutschen „nahtagala“ ab – Nachtsängerin. In der Volkstradition kündigt die Nachtigall den Frühling an und ist der Vogel des Monats Mai. Deshalb diese Kolumne. Für den 4. Mai 2024.

Lesen Sie auch: Was uns der Domprediger zu sagen hat

Zurück zu den Spatzen. Zu den Spatzen, die sich auf allen Dächern wohlfühlen. Die alles ablehnen, was nicht in ihre Spatzenhirne passt.

Als die Nachtigall nämlich eines Tages krank wurde, beschloss sie, das Singen für einige Zeit einzustellen, um sich zu schonen. Die Spatzen sagten: Die Nachtigall ist nicht krank. Sie ist faul. Das hörte die Nachtigall. Sie war zutiefst gekränkt und sang weiter, obwohl sie eigentlich krank war. Nach einer Weile verlor sie ihre Stimme ganz. Irreparabel. Selbst schuld, sagten die Spatzen, man singt ja auch nicht, wenn man krank ist. So können Spatzen auch sein. Liebe Nachtigallen in Magdeburg, achtet in erster Linie auf Euch und nicht, was andere sagen.

Etliche Spatzenhirne verachten auch Friedenstauben und halten sich zu den Falken. Aber das ist eine Geschichte, die leider noch nicht abgeschlossen ist.