Ausstellung Magdeburger Kunst zwischen Sehnsucht und Ohnmacht
Zwischen Sehnsucht und Ohmacht bewegen sich die Bilder und Skulpturen von Steve Ahrendt (Ahnti). Er provoziert, schockiert und klagt an. Die Arbeiten des Kiez-Künstlers und Mitbegründers des Libertären Zentrums sind ab 16. Juli 2021 in der Buckauer Kunstwerkstatt zu sehen.
Magdeburg - Um zu schockieren, muss er sich nichts ausdenken. Ein Blick in die Welt genüge. Schmerzen, Leid, Zerstörung, Ausbeutung – romantische Verklärung sucht der Betrachter in den Arbeiten von Steve Ahrendt (38) vergebens. Vielmehr dürften sie auf Zartbesaitete mitunter verstörend wirken. Eine Skulptur – die Gliedmaßen aus Eisen, Torso und Kopf aus Holz – zeigt eine Gestalt, die sich die Zunge herausgerissen hat. Goldfarben liegt sie in der emporgestreckten Hand – Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Eine Leinwand zeigt Cupido (lat. Begierde), den römischen Liebesgott. Er hat sich das Herz aus dem Leib gerissen, er braucht es nicht mehr.
Was Sehnsucht und Ohnmacht verbindet, sind die Extreme. Die Idylle und das Entsetzliche.
Das Motiv sei eine kleine Nemesis – gerechter Zorn und ausgleichende Gerechtigkeit nach einer zerbrochenen Liebe. Zudem symbolisiere es das Ohnmachtsgefühl, das viele seiner Arbeiten gemein haben. Ein Gefühl, das Steve Ahrendt mit jenem der Sehnsucht zusammenbringt. Innerhalb eines Werkes oder aber in der Interaktion seiner Arbeiten. Daher auch der Titel seiner Ausstellung: „Zwischen Sehnsucht und Ohnmacht“.
„Was Sehnsucht und Ohnmacht verbindet, sind die Extreme. Die Idylle und das Entsetzliche“, erklärt er. Beides nebeneinander darzustellen, gehöre ebenso zu seiner Intention wie damit beim Betrachter Reize auszulösen.
Reize, die auch er erfährt. Das künstlerische Arbeiten diene dabei als eine Art Blitzableiter seiner Gedanken. „Ich habe ein Bild im Kopf und wenn ich das nicht rausmale, geht es nicht weg, dann werde ich es einfach nicht los“, erzählt er. Bereits als Kind habe er seine Gedanken zu Papier gebracht. Emotionen, aber auch Dinge, die er gern haben oder wollte. „Wenn ich sie gemalt habe, wurden sie ja irgendwie Realität.“
Von ersten künstlerischen Schritten in Jugendjahren bis hin zur intensiven künstlerischen Auseinandersetzung mit der Welt sei es ein langer Prozess gewesen. Dieser führte über die Besetzerszene ins Libertäre Zentrum inmitten politisch aktiver und kreativer Menschen. In Kassieck, einem altmärkischen Dorf aufgewachsen, kam Steve Ahrendt im Alter von 23 Jahren nach Magdeburg, um sein Abitur nachzuholen. Sein Freiheitsdrang sei damals schon groß gewesen. „Mir ist es schwergefallen, mir von jemandem, der sich Lehrer nennt, etwas erzählen zu lassen.“
Der Weg führte über die Besetzer der Gruson-Villa hin zur Gründung des Libertären Zentrums (LIZ) 2009 in Salbke. „Wir waren damals eine quirlige bunte Truppe, ein Schmelztiegel verschiedener Persönlichkeiten. Man konnte sich entdecken und kreativ sein“, erzählt er. Dort habe er sich nicht nur intensiv der Gartenarbeit gewidmet, sondern vertiefte auch das Malen. Objektkünstler Pawel Lickas (Paul), mit dem er im LIZ lebte, forcierte bereits seine Metallkunst. „Paul wurde immer professioneller und ich bin quasi mit aufgesprungen“, erzählt er. „Das ging besser als gedacht und wurde zum Selbstläufer.“ Das Duo, das nun seit knapp einem Jahr auf einem alten Bauernhof in Salzwedel lebt, stellte unter anderem Arbeiten bei Bucktopia I und II, Salomon und Romantik 2.0 aus. Auch zeigte er schon einmal in der Buckauer Kunstwerkstatt seine Bilder, ebenso im Thiembuktu, bei Kultur auf den Höfen, und auch beim Heinz Kunstmarkt war er regelmäßig dabei.
Alles ist entweder mehr oder weniger – in der Natur ist nichts hundert Prozent.
Im Kiez ist Steve Ahrendt als Ahnti bekannt, als Type und Freigeist, ungeduldig und präsent. Als Mensch, für den die Perfektion nicht existiert – auch in seinen Arbeiten nicht. Das Möbelstück darf ein wenig schief sein, die Figur unproportional. „Alles ist entweder mehr oder weniger – in der Natur ist nichts hundert Prozent“, sagt er. Er will frei von Dogmen arbeiten und leben. Deswegen sei die Wissenschaft so bedeutsam für ihn. „Denn sie kann sagen, ich irre mich. Sie kann sagen, ich weiß nicht, kann Fehler machen, dazu lernen, neu anfangen und Neues herausfinden“, erklärt er und betont, Gegner jeglicher Religionen und somit Dogmen zu sein.
Mythologisches hingegen „sauge“ er auf, ebenso Fantastisches, Utopisches und Dystopisches. Seine Arbeiten sind unverkennbar davon beeinflusst. Auf verschiedenen Ebenen kommunizieren sie mit dem Betrachter; tragen Details in sich, die nur jener erkennt, der dem Werk auch die nötige Aufmerksamkeit schenkt.
Zu sehen sind Skulpturen und Ölgemälde, Holzarbeiten, Zeichnungen und Collagen. Alle Werke bewegen sich zwischen Sehnsucht und Ohnmacht. Dabei gebe es viele Menschen und Künstler, die davon reden, oder es behaupten, sich dazwischen zu bewegen, aber Ahnti macht’s, sagt Galeristin Leilani Heinicke. Erneut Arbeiten des Kiez-Charakters ausstellen zu dürfen, freue sie sehr. Zumal es nach knapp einem Jahr die erste Personalausstellung in ihrer Kunstwerkstatt ist.
Steve Ahrendt – „Zwischen Sehnsucht und Ohnmacht“. Ausstellungseröffnung: Freitag, 16. Juli 2021, 19.30 Uhr in der „Galerie Kunstwerkstatt“, Schönebecker Straße 25 (Engpass Buckau). Zur Eröffnung gelten die Abstandsregeln. Die Ausstellung ist bis zum 21. August freitags 15 bis 18 Uhr und sonnabends 13 bis 15 Uhr zu sehen.