Trauer und Gedenken So erlebt Magdeburg die Tage nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt
Nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt am 20. Dezember beherrschen Trauer und Stille das Stadtleben. Die Oberbürgermeisterin appelliert an den Zusammenhalt.
Magdeburg. - Es ist ganz still in Magdeburg am Morgen danach. Menschen legen am Sonnabend, 21. Dezember, vor der Johanniskirche Blumen nieder, zünden Kerzen an. Das bedrückende Schweigen wird nur ab und zu von Blaulichtsirenen und dem Klicken von Kameras unterbrochen. Magdeburg hält den Atem an. Trauert. Weint. Um die Opfer des grausamen Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am Freitagabend. Die Bestürzung ist enorm. Vor allem bei jenen, die dabei waren, als der Attentäter mit dem SUV über den Alten Markt in die Menschenmenge gerauscht war.
Anschlag in Magdeburg: Tränen bei Augenzeugen
„Ich habe mein Kind gesucht. Eine Stunde lang.“ Marcel Guderjahn bricht beim Gedanken an das, was geschehen ist, in Tränen aus. Zwar habe er über sein Smartphone den Standort seines zehnjährigen Sohnes sehen können, weil dieser auch ein Handy habe. „Aber da, wo sein Handy war, war er nicht“, steht ihm die Panik auch am Tag danach ins Gesicht geschrieben. Sein Sohn sei auf der Eisbahn am Allee-Center gewesen und sollte danach zu ihm kommen. Der Gartenpartei-Stadtrat hat seit diesem Jahr einen eigenen Stand auf dem Weihnachtsmarkt, ist also jeden Tag vor Ort. Gar nicht so weit entfernt von der Stelle, an der der Todesfahrer unterwegs war.
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Auf dem Weg zu seinem Stand hätten sein Sohn sowie seine Nichte und sein Neffe kurz an der Pyramide Halt gemacht. „In dem Moment kam das Auto. Es ist da volle Pulle durchgerast“, hat Guderjahn immer noch die Worte seines Kindes im Kopf. Sein Neffe habe seinen Sohn noch geradeso wegziehen können, sagt er. Wieder schießen ihm die Tränen in die Augen. Die Kids seien dann zu seiner Bude gekommen. Doch Marcel Guderjahn war nicht da. Weil er wiederum die Kinder gesucht habe. Eine Stunde verging, Eine Stunde wie ein Albtraum. Noch immer sitzt der Schock tief.
Auch bei denjenigen, die am Samstagmorgen zur Johanniskirche gekommen waren, um Anteil zu nehmen. Sie alle eint Fassungslosigkeit. Sie fragen sich: Warum Magdeburg? „Wir wollten eigentlich auch zum Weihnachtsmarkt“, erzählte Christian Skotnicki. Tränen stehen auch ihm in den Augen, nachdem er eine Blume niedergelegt hatte. Auch wenn er nicht dabei war, so fühlt er mit den Verletzten und Angehörigen der Opfer mit. Ist in tiefer Trauer, dass solch ein Anschlag Magdeburg mitten ins pulsierende Weihnachtsmarkt-Herzgetroffen hat. Und froh, an der Johanniskirche einen Ort gefunden zu haben, um sein Mitgefühl ausdrücken zu können. Im Laufe des Tages wurde der Eingangsbereich zu einem Meer aus Blumen und Kerzen.
Gedenken im Dom
Ortswechsel: Wenige hundert Meter entfernt im Magdeburger Dom herrschte ebenfalls absolute Stille. Bis zur Mittagszeit waren schon einige Menschen gekommen, um eine Kerze im Gedenken anzuzünden. Eine Köthenerin nahm sich Zeit, verharrte. Eine Träne kullerte über ihre Wange. Sie findet kaum Worte für das, was passiert ist. Jetzt zusammenzustehen, Solidarität mit den Opfern zu bekunden, sei ihr wichtig. Darum sei sie in den Dom gekommen. Im Laufe des Tages kamen Hunderte weitere Menschen.
Am Abend, gut eineinhalb Stunden vor der offiziellen ökumenischen Gedenkstunde, wurde es richtig voll auf dem Domplatz. Dieser wird drumherum noch erhellt. Die Lichterwelt ist aber längst ausgeschaltet und eingezäunt. Nun kamen aber nur noch diejenigen in den Dom, die eingeladen wurden. Die angekündigte Gedenkstunde wurde zu einer geschlossenen Veranstaltung. Gibt es doch nur 500 Sitzplätze. Das ärgerte nicht wenige Magdeburger, die draußen bleiben mussten. Vor einer Großbildleinwand konnten sie das Geschehen innerhalb der Kathedrale aber live mitverfolgen.
Drinnen nahmen neben der Politprominenz aus Berlin, Sachsen-Anhalt und Magdeburg vor allem Angehörige der Opfer, Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Polizisten Platz. Politische Statements waren im Dom tabu. Aber Oberbürgermeisterin Simone Worte richtete Worte an die Magdeburger. Nicht nur Worte der Dankbarkeit an alle Helfer, sondern auch Worte, die bei all der Fassungslosigkeit und Trauer auch Hoffnung und Mut verbreiteten.
Dank an die Helfer
Borris zollte allen Helfern Dank. Aber auch jenen, die über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus Anteil nehmen. „Unsere Partnerstädte stehen an unserer Seite“, zeigte sie sich froh. An die Helfer wandte sich die Oberbürgermeisterin ganz besonders: „Sie werden die Bilder von gestern wahrscheinlich nie mehr aus Ihrem Gedächtnis streichen können.“ Dank des Einsatzes, den Rettungskräfte, Feuerwehren, Polizisten und Krankenhäuser geleistet haben, hätten die mehr als 200 Verletzten versorgt werden können.
„Ich wünsche uns allen, dass wir als Stadtgesellschaft uns davon nicht beeinträchtigen lassen, dass wir gemeinsam trauern, dass wir die Opfer und die Angehörigen unterstützen in ihrer Trauer und dass die Stadtgesellschaft zusammenhält“, so Borris. Sie ist zuversichtlich. „So wie Sie heute hier sind und die Menschen draußen auf dem Domplatz stehen, bin ich sicher, dass wir es mit diesem Zusammenhalt schaffen werden, diese Trauer gemeinsam zu bewältigen.“
Die Gedenkstunde im Dom konnte helfen. Domprediger Jörg Uhle-Wettler gab den Menschen im und vor dem Dom mit auf den Weg: „Licht durchbricht die Finsternis und ihre Mächte, Gerechtigkeit und Frieden sollten stärker sein als Hass und Gewalt.“ Worte, die nachhallten. Als die Gedenkstunde vorbei war, blieb es still. Im Dom und draußen. Magdeburg trauert weiter. Auch gestern noch legten Menschen Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Die Stille in der Stadt hält weiter an.