Kulturpolitik Telemanns neue Karriere
Mit viel Geld und neuem Selbstbewusstsein will Magdeburg musikalische Schätze heben.
Magdeburg l Der Magdeburger Stadtrat – eine große Mehrheit – ist überzeugt, dass Georg Philipp Telemann bis heute zum Star taugt. Der Magdeburger Komponist galt zu Lebzeiten als Genie über Bach oder Händel hinaus. Seine Geburtsstadt will vergessene musikalische Schätze heben und ihnen eine große Bühne geben.
Das wohl ehrlichste Bekenntnis zur Ratsdebatte im Juni 2020 über die Neuausrichtung und den Ausbau der Telemannpflege in Magdeburg kommt von Julia Mayer-Buch. Die 2019 neu in den Stadtrat gewählte Grüne, heute Mitglied des Kulturausschusses, räumt ein: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal hier stehen würde, um für Telemann zu werben.“ Klassik im Allgemeinen und Telemann im Speziellen bedienten wohl bisher nicht unbedingt Mayer-Buchs Interesse. Im Kulturausschuss und über neue Informationen neugierig geworden, habe sie sich aber für 2020 erstmals ein Ticket für die Telemann-Festtage kaufen wollen. „Das war alles ausverkauft!“, staunt Mayer-Buch nicht schlecht und bedauert den coronabedingten Ausfall der offenbar gefragten Veranstaltungsreihe sehr.
An Mayer-Buch knüpft nahtlos Wigbert Schwenke (CDU) an: „Teleman ist international mindestens so berühmt wie Händel. Das haben wir nur bisher selber nicht genug erkannt und gepflegt. Das muss sich ändern.“
Schon seit 2017 – nach dem Erfolg der damals anlässlich des 250. Telemann-Todestages bis ins Fußballstadion hinein ausgerichteten „Telemania“ – versucht die Stadt davon auch das Land Sachsen-Anhalt zu überzeugen. Das fördert die Hallischen Händelfestspiele mit 500.000 Euro pro Jahr. Die gleiche Summe forderte Magdeburg nun auch für sich und seinen Telemann ein. Das hat erst mal nicht geklappt, gibt der scheidende Kulturbeigeordnete Matthias Puhle (SPD) im Stadtrat zu Protokoll und dass nur 150.000 Euro vom Land zu holen waren für den ambitionierten Magdeburger Plan, die Telemann-Festtage (aktuell nur im Zweijahresrhythmus und auf kleinerer Flamme abgehalten) auf das Niveau der größeren Händelfestspiele in der Saalestadt zu heben . Immerhin begeistert sich auch der Bund zumindest ein Stück weit fürs Magdeburger Projekt und legt 150.000 Euro jährlich obendrauf. Macht zusammen 300.000 statt der kalkulierten 500.000 Förder-euro. Die Fördergeldlücke – das war nun Thema im Rat – soll aus der Stadtkasse geschlossen werden, indem Magdeburg seinen Eigenanteil am Telemann-Budget ab 2021 von 137.000 auf 337.000 Euro anhebt. Mit Geld aus Ticketverkäufen und von Sponsoren soll der Telemann-Haushalt so auf etwas mehr als 900.000 Euro wachsen.
Puhle warb einerseits aus Überzeugung und andererseits mit Blick auf den im Oktober anstehenden Juryentscheid zur Kulturhauptstadt-Bewerbung um möglichst einstimmige Zustimmung zum Vorhaben. „Die Jury schaut sehr genau hin, wie sich die Bewerberstädte gerade in der Krise zur Kultur positionieren.“
Puhle zur Seite stellte sich als Erster im Rat ausgerechnet Finanzausschusschef Reinhard Stern (CDU). Zwar hatte sein Ausschuss die stattliche Draufgabe für Telemann abgelehnt und auf „nur einen Tropfen“ (26.000 Euro) abgeschmolzen, so Stern. Er persönlich verstehe das jedoch nicht. „Ich nehme das Beispiel Halle nicht gerne in den Mund, aber es ist schon so, dass die dort richtig powern mit ihrem Händel.“ Er sei 2017 dabei gewesen, als ein Telemann-Werk zum Fangesang im Fußballstadion umgemünzt wurde. „Manche Fans haben erst mal geguckt, aber es hat am Ende funktioniert und viele haben gemerkt, was Telemann eigentlich ist.“
Verkehrte Welt: Deutlich vorsichtiger als Finanzer Stern bekannte sich Kulurausschusschef Oliver Müller (Linke) zum Telemann-Geld aus dem Stadthaushalt. Er sagte für seine Fraktion: „Wir haben erst im Mai 200.000 Euro für einen Kulturrettungsschirm bewilligt. Darüber freuen wir uns ja, fragen uns aber, woher das ganze Geld kommen soll.“ Er frage sich außerdem, so Müller, was für ein Signal die Stadt ans Land aussende, wenn sie die Förderlücke nun allein schultere. „Dann sagt das Land erst recht, die haben es doch gar nicht nötig.“
Dem widersprachen Carola Schumann (FDP) und zuletzt auch Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) entschieden. Wenn die Stadt sich zu Telemann bekenne (Halle gibt allein rund eine halbe Million jährlich für Händel aus) und die vergrößerten Festtage ein Publikumsmagnet würden, dann klappe es auch, das Land stärker mit an Bord zu holen.
Selbst der persönlich viel mehr Projekten der freien Szene zugetane Mirko Stage (future!) brach eine Lanze fürs Wachstum der Telemann-Festtage und dagegen, die eine Stadtkultur gegen die andere auszuspielen. „Wir freuen uns über jeden Euro mehr für die Kultur.“
Fast allein auf weiter Flur – auch in der eigenen Fraktion – stand am Ende SPD-Fraktionschef Jens Rösler mit seiner Generalkritik am Batzen aus dem Stadthaushalt. Er bemühte sich, seine Achtung vor der Arbeit des Telemann-Zentrums zu bekunden und stimmte am Ende pro Fördergeld-Erhöhung. Der Telemann-Haushalt darf am Ende einstimmig (Enthaltungen von AfD und Teilen der Linken) wachsen und mit ihm der Veranstaltungskalender. Jetzt müssen die Festtagsmacher beweisen, dass Telemanns Werk bis heute zieht.