Tunnelbau Aus den Fugen
Mit Kosten- und Zeitplänen zum Tunnelbau in Magdeburg will sich keiner mehr aus dem Rathausfenster lehnen.
Magdeburg l Vor gut zwei Jahren, im Juni 2015, hat der Stadtrat Magdeburg einen neuen Kostenplan für den Tunnelbau beschlossen. Auf die damals avisierten 100 Millionen Euro packte der Rat zur jüngsten Sitzung am 17. August 2017 noch 11,5 Millionen obendrauf. Ein Ende der Fahnenstange ist nicht abzusehen.
Rückblende: Anno 2007 planten Stadt und Bahn einen Tunnelbau für 37,69 Millionen Euro. Der städtische Anteil war mit 3,9 Millionen Euro angesetzt. Glatte Peanuts gegen die Summen, die heute aufgerufen werden.
Allein im laufenden Jahre werden knapp 26 Millionen Euro in den Bau fließen – und das ausschließlich für die Bauleistungen des Hauptauftragnehmers, der Porr GmbH. Die Firma macht allein für ihre Leistungen 2017 einen Nachtrag über 11,2 Millionen Euro geltend. Er resultiert in der Hauptsache aus bereits im Frühjahr bekannt gewordenen Statikproblemen, welche die Stadt einem externen Planungsbüro zuweist. Die Planer bestreiten den Fehler. Gutachter sind im Rennen. Man wird sich, so viel ist sicher, vor Gericht in die Augen sehen. Ausgang offen.
Eben wegen dieser und anderer laufender Verhandlungen über Nachträge und neu zu strukturierender Bauabläufe nach dem Dilemma mit den zu schmächtig bemessenen Bohrpfählen, gibt sich die Stadtverwaltung Magdeburg auf Nachfragen zur neuen Gesamtkostensituation und zum Zeitplan am Bau schmallippig. „Ich will keine Zahlen und Details öffentlich nennen“, antwortete der Baubeigeordnete Dieter Scheidemann (parteilos) auf eben solche Nachfragen – nicht mehr nur von Tunnelgegnern – zur Ratssitzung am vergangenen Donnerstag.
Unter anderem Reinhard Stern, Christdemokrat, Tunnelbefürworter und Chef des Finanzausschusses im Stadtrat, wollte es nicht einfach dabei bewenden lassen, die Hand pro Mehrkosten-Freigabe zu heben. „Der Bau ist 14-tägig Thema im Ausschuss. Wir wissen, da ist Bewegung drin und es sind noch zahlreiche Nachträge in Bearbeitung oder harren erst der Bearbeitung.“
Außerdem, so Stern weiter, habe die Verwaltung versprochen, zeitgleich zum aktuellen Beschlusspapier über die Mehrkosten 2017 einen aktualisierten Bauzeitplan vorzulegen. „Der steht aus. Die Fertigstellung 2019 ist für uns von immenser Bedeutung, aber wenn ich abends an der Baustelle vorbeifahre, sehe ich niemanden bei der Arbeit.“ Stern bat „dringend“ um aktuelle Informationen.
Vergeblich. Ein Papier dazu sei „in Arbeit“, so Scheidemann, der schon in der Begründung zum aktuellen Beschlusspapier auf weitere Mehrkosten einschwor: „Sobald eine realistische Größenordnung abschätzbar ist, werden die Auswirkungen auf den Haushalt in der Planung für die Jahre 2018 und folgende berücksichtigt.“
Der Grüne Alfred Westphal – Bauingenieur im Ruhestand und kein Tunnelfreund – warf mal locker seinen Tipp in die Runde: „Ich schätze 160 oder 163 Millionen. Sie können sich das gerne aufschreiben und später sagen, dass ich Unrecht hatte, weil es wahrscheinlich 170 werden.“
Die Rechnung, die Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) gegenüber der Volksstimme auf Nachfrage und einigermaßen genervt aufmacht, liegt nicht weit neben der von Westphal: „Ich könnte jetzt 200 Millionen sagen und mich später loben lassen, dass es 50 weniger sind, aber das macht doch alles keinen Sinn.“
Auch Trümper hob im Rat sinnbildlich die Hände auf Nachfragen zum aktuellen Stand in Sachen Kosten- und Zeitplan: „Der ändert sich täglich.“ Die Planung sei völlig aus den Fugen geraten.
Am Ziel des Bauabschlusses 2019 hält Trümper fest. „Wir müssen 2019 fertig sein, sonst hat das gravierende Auswirkungen auf andere Bauprojekte.“ Für die nötige Beschleunigung des Bauablaufes – Porr liegt nach eigenen Angaben gut ein Jahr hinter dem Plan – muss die Stadt gegebenenfalls noch mehr Geld in die Hand nehmen.
Als „finanzielles Desaster“ bezeichnete Grünenfraktionschef Olaf Meister folgerichtig das Projekt und bemühte eine Metapher über die womögliche Härte des Aufschlags: „Wir sind vom 10-Meter-Turm gesprungen und müssen uns fragen, ob Wasser im Becken ist.“
Vorläufiges Fazit: Der Tunnel kostet nach aktuellem Stand rund 111 Millionen Euro – zwei Drittel über Plan; weitere Mehrkosten sind gewiss. Die Fertigstellung 2019 ist extrem erwünscht, aber nicht garantiert.