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Richard-Wagner-Verband begeht sein 115-jähriges Bestehen Warum Magdeburg Wagner-Stadt ist

In Magdeburg wurde 1835 erstmals ein großes Werk des Komponisten Richard Wagner aufgeführt, der später zu einem der bedeutendsten Vertreter der Romantik wurde. Was kann uns seine Musik heute geben? Wie viel Modernisierung verträgt sie?

Von Martin Rieß 18.10.2024, 07:00
Im Magdeburger Opernhaus befindet sich im Wagnerfoyer eine Büste.
Im Magdeburger Opernhaus befindet sich im Wagnerfoyer eine Büste. Foto: Martin Rieß

Magdeburger. - Der Magdeburger Richard-Wagner-Verband begeht 2024 sein 115-jähriges Bestehen. Volksstimme-Redakteur Martin Rieß befragte Manuela Schwartz. Die Hochschulrektorin ist Kultur- und Musikwissenschaftlerin und Vorsitzende des Verbands.

Volksstimme: In der Reihe der Wirkungsstätten von Richard Wagner wie Leipzig, Würzburg, München und Bayreuth – welche Rolle nimmt Magdeburg ein?

Manuela Schwartz: Wenn wir uns das Lebensalter von Richard Wagner zu diesem Zeitpunkt zusammen mit den Aufgaben, die er in Magdeburg vor sich sah und erfüllt hat, vergegenwärtigen, dann war Magdeburg eine unglaublich gute, weil herausfordernde Lehrzeit. Wagner war in Magdeburg 21 Jahre alt, als er ankam, und 23 Jahre alt als er über Berlin nach Königsberg und schließlich Riga weiterreiste.

Er hat in Magdeburg als selbstständiger Kapellmeister und Generalmusikdirektor dirigiert, Proben gemanagt, Sänger und Sängerinnen angeworben, Repertoire kennengelernt, verschiedene Spielstätten bedient und hat den Beruf eines Dirigenten und leitenden Musikers im täglichen Learning by doing erworben.

Manuela Schwartz, Vorsitzende Richard-Wagner-Verband Magdeburg.
Manuela Schwartz, Vorsitzende Richard-Wagner-Verband Magdeburg.
Foto: Uli Lücke

Im Vergleich dazu war er in Würzburg zwar als Chorrepetitor, aber eben auch als Schauspieler und Statist tätig gewesen. In Magdeburg betrat er die Bühne seines eigenen Lebens als hauptverantwortlicher Dirigent mit allen Verpflichtungen, Nöten, Sorgen und auch finanziellen Verpflichtungen, die dieser Beruf damals bereithielt.

Magdeburg bereitete ihn perfekt auf seine Tätigkeit als Kapellmeister in Riga vor und hat ihm die Arbeit mit Sängern, mit Musikern, mit dem Theaterbetrieb an sich ermöglicht. Ich bin mir ganz sicher, dass eine musikhistorische Arbeit die Vielfalt von Wagners Eindrücken und Erfahrungen noch besser herausarbeiten wird. Das Kapitel Wagner in Magdeburg ist noch immer stiefmütterlich behandelt, obwohl sich hier einige einschneidende Erlebnisse mit Magdeburg verbinden:

1. Erste Verantwortung als Opern- und Konzertdirigent mit großem Erfolg in der damaligen Garnisonsstadt.

2. Komposition seiner ersten großen Oper „Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo“, die im März 1835 in Magdeburg uraufgeführt wurde. Magdeburg kann für sich in Anspruch nehmen, dass hier zum ersten Mal überhaupt ein Werk Wagners und dazu noch von ihm selbst uraufgeführt wurde.

3. Auch das erste Porträt Wagners – als Scherenschnitt – entstand in Magdeburg. Der Wagner-Verband benutzt es in Farben, die Wagner sicherlich gut gefallen hätten.

4. Die große Liebe und Begegnung mit seiner ersten Frau Minna Planer, somit Entwicklung hin zu einem jungen Mann, der bereit war auch Familienverantwortung zu übernehmen. Er hat kurz nach Magdeburg in Königsberg Minna Planer geheiratet.

 Der Komponist Richard Wagner lebte und wirkte auch in Magdeburg.
Der Komponist Richard Wagner lebte und wirkte auch in Magdeburg.
Foto: dpa

In Magdeburg wird das Erbe von Georg Philipp Telemann mit großem Einsatz gepflegt. Muss man da als Wagnerianer nicht ein wenig neidisch sein mit Blick auf Magdeburg, wo unter dem Titel „Das Liebesverbot“ 1836 erstmals eine Oper von Richard Wagner aufgeführt wurde?

Warum sollte ein Wagner-Verband neidisch sein? Alles was die Musikstadt Magdeburg unterstützt, ist richtig und wir freuen uns alle über die Aktivitäten der Telemann Forschungsstelle, der Telemann-Tage, des Festivals und der vielen Gäste, die dadurch die Landeshauptstadt kennenlernen.

Telemann bietet jedem Musiker eine ungleich größere Auswahl an verschiedenen Genres, von Kammermusiken, über kirchliches Repertoire, Opern, Instrumentalwerken: Das ist vielfältig, so dass sich auch mehr Möglichkeiten ergeben, unterschiedliche Musiker und Musikerinnen, Ensembles, Bühnen et cetera einzubinden.

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Und Wagner? Großartige Musik, weltweit beachtete Inszenierungen abgesehen von Bayreuth, als Festspielort einzigartig auf der ganzen Welt. Aber wenn wir mal von der Fragmentierung der Musikdramen in populäre Einzelstücke absehen – ich meine so was wie „Der Walkürenritt“ oder „Siegfrieds Todesmarsch“ –, dann sind Wagners Musikdramen und Opern eben immer für die Opernbühne. Es gibt nebenbei nur weniges, was genuin für den Konzertsaal oder ein Klavier geschrieben wurde. Ein Werk dieser kleinen Auswahl entstand jedoch in Magdeburg, die Columbus-Ouvertüre.

Wagner ist für die große Bühne und sehr große Stimmen und ein großes Orchester: Da steckt ein anderer finanzieller, organisatorischer und künstlerischer Aufwand dahinter. Sicherlich wäre es schön, wenn die Mittel da wären, Wagner so zu pflegen wie im Jahr 1936 – allerdings unter den Nationalsozialisten, das ist mir bewusst – als zum 60. Geburtstag von Bayreuth ein Wagner-Festival in Magdeburg alle Opern Wagners in einem Jahr auf die Bühne brachte. Die Wagner-Stadt Leipzig hat dies in der letzten oder vorletzten Saison auch geschafft.

In Magdeburg sollte Wagner durch verschiedene Aktivitäten und Formate präsent sein, der Intendant hat es mit seiner Burleske „Hojotoho“ im Schauspielhaus letztes Jahr umgesetzt. Es gibt viele Möglichkeiten und über das Werk hinausgehend, sich mit Wagner auseinanderzusetzen, nicht zuletzt über Bayreuth, die Familie, die Rezeption. Da ist noch viel zu tun und nicht nur in und mit Musik.

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Wäre eine Inszenierung dieser Oper für Magdeburg wieder einmal wünschenswert oder welches Stück sollte hier wieder einmal auf die Bühne gebracht werden?

Wenn ich mir die Aufführungsgeschichte von Wagner-Opern seit 1921 anschaue – so weit reichen verlässliche Quellen des Theaters in Magdeburg zurück –, dann sind mit Blick auf die Aufführungsgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg „Parsifal“, „Rienzi“ oder „Das Liebesverbot“ (in Magdeburg komponiert) eher selten gespielte Opern.

Die Magdeburger Tradition oder die meist gespielten Opern in Magdeburg seit 1920 sind: „Lohengrin“, „Tannhäuser“ und „Der Fliegende Holländer“.

Ich darf nicht zu viel verraten, nur so viel: Im Herbst 2025 wird es eine Neuinszenierung einer Oper von Wagner geben. Und das passt ganz wunderbar zum anschließenden Jahr 2026, denn da feiert Bayreuth das 150. Jahr der Bayreuther Festspiele. Magdeburg klingt somit sehr passend in das Jubiläumsjahr hinein. Und wir als Wagner-Verband planen ein zweitägiges Festival rund um diese Neuinszenierung.

Der Richard-Wagner-Verband Magdeburg ist jetzt 115 Jahre alt. Wie hat sich der Blick Magdeburgs auf Wagner seitdem geändert, was unterscheidet die Arbeit des Verbands heute von der früheren?

Die Wagner-Verbände, auch der Richard-Wagner-Verband deutscher Frauen im Jahr 1909, Vorläufer des heutigen Wagner-Verbands für Frauen und Männer, waren damals auf die Förderung junger Künstler, auf Stipendien und auf die Unterstützung der Festspiele konzentriert. So sicher und stabil wie heute waren die Festspiele damals noch nicht und es mussten immerfort passende Stimmen, Musiker gefunden werden, die in der Lage waren, dieses Repertoire zu singen und zu spielen.

Dafür bedurfte es enormer Summen, die die Wagner-Verbände von ihren Mitgliedern, meistens begüterte Adlige oder wohlhabende Bürger des gehobenen Mittelstandes, aufbrachten.

Das Kapitel Wagner in Magdeburg ist stiefmütterlich behandelt.

Manuela Schwartz, Vorsitzende Richard-Wagner-Verband Magdeburg

Wir fördern heute auch noch pro Jahr zwei Stipendiaten, die nach Bayreuth reisen und wie letztes Jahr der Bariton Marko Pantelic sogar beim Abschlusskonzert mitwirken dürfen. Darüber hinaus sehen wir uns als weiteren Kulturverein der Stadt, der über die Person und das Werk Richard Wagners hinaus ganz viele Ansatzpunkte pflegen und viele Interessen bedienen will. Es geht ja nicht nur um die Musik, um diese erwähnten Opern, es geht um die Person Wagners, um die Rezeption seiner Musik in ganz vielen europäischen Ländern und bei vielen Musikern, um seinen Einfluss auf die Gestaltung von Filmmusik, auf Maler, Literaten, auf Regisseurinnen wie Jasmin Solfaghari, auf Musiker, auf Komponisten. Wagners Werk und Leben ist so reich und vielfältig, akzeptiert, kritisiert und angebetet und abgelehnt, dass ein Wagner-Verband heute ganz schön zu tun hat, sich mit möglichst vielen Aspekten auseinanderzusetzen.

Uns würde vor allem die Meinung der jüngeren Generation interessieren. Wagner wird in seiner Wirkung ja auch mit Heavy-Metal-Musik verglichen. Wagners Technik der Leitmotivkomposition ist jedem Cineasten in vielen Filmen begegnet, die meisten wissen es nur nicht. Also 1909 war es Bayreuth-Förderung, heute ist es zudem auch noch ein städtischer Kulturverein mit reichhaltigem Angebot für seine Mitglieder und gerne auch für jüngere Menschen.

In Frankreich – die Franzosen waren Ende des 19. Jahrhunderts verrückt nach ihm – wurden die Musikdramen zum Beispiel auch für Puppentheater eingerichtet und im privaten Rahmen aufgeführt: Vielleicht lässt sich hier mit unserem wunderbaren Puppentheater eine ganz neue Rezeption in Magdeburg beginnen.

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Mit Blick auf die Referentin der Feier des Gründungstags am 22. Oktober – sie hat ja mit ihrer neuartigen Wagner-Inszenierung zu „Parzival“ für Aufsehen gesorgt. Wie zeitgemäß ist Wagner denn bis heute noch? Wie viel Modernisierung verträgt sein Werk? Was ist alles denkbar?

Wagner ist und wird immer zeitgemäß sein, weil die Werke mit ihren Geschichten vielfältig interpretierbar sind. Von Naturschutz, über Krieg, Verfolgung, Paradies- und Erlösungsvorstellungen, Mann-Frau-Thematiken in reicher Varianz, Apokalypse und Weltall, die eine Oper als 150 Jahre deutsche Geschichte darzustellen bis hin zur Möglichkeit sogar einen Fliegenden Holländer komplett als Mädchenschwärmerei in die Gegenwart zu verlegen. Solfaghari hat nun Tanzelemente aus der Eurythmie integriert, ein ganz neuer visueller und künstlerischer Eindruck. Sie wird uns davon berichten und auch ihr neues Opernbuch für Opern-Einsteiger vorstellen: Vor wenigen Tagen wurde „Der Ring des Nibelungen“, vier Musikdramen an vier Abenden, abgeschlossen und es ist erneut entmystifiziert und musikalisch – weil der Orchestergraben verschwunden ist – ein neues Wunder an Modernisierung des Theaters durch Wagners Werk. Wagner war selbst so innovativ und experimentierfreudig, dass im 19. Jahrhundert viele Künstler davon inspiriert wurden und die Faszination für dieses Werk anhält.

Ich habe schon die Filmmusik erwähnt: Alles was monumental, an bombastischem, Blechbläser-Klang, und in Leitmotiv-Technik in der Filmmusik erklingt, hat sich mal aus Wagners Musikdramen entwickelt. Der Vermittler war Erich Wolfgang Korngold und der Hollywood-Sound der 1930er Jahre seine Weiterentwicklung von Wagners Musik.

Wagners Werk verträgt viel Modernisierung, jede Modernisierung, weil die Musik über die Szene trägt, weil die Musik alles zusammenhält und verknüpft.

Für den Magdeburger Wagner-Verband ist die Vergabe der Stipendien ein wichtiges Thema. Welche Trends sind bei den Stipendiaten in den vergangenen Jahren zu erkennen? Nach welchen Gesichtspunkten werden sie ausgewählt?

Wir organisieren jedes Jahr ein sogenanntes Stipendiatenkonzert, das sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Es verknüpft den Rückblick der Stipendiaten auf den Besuch in Bayreuth, ihre besonderen Erfahrungen, auch ihren Blick auf die Inszenierungen in Bayreuth, kritisch, komisch, angeregt oder hinterfragend. Es ist im ersten Teil eine Art Gesprächskonzert, im Gespräch mit mir und mit zwei bis drei lockeren Musikteilen.

Wagners Werk verträgt viel Modernisierung.

Manuela Schwartz, Vorsitzende Richard-Wagner-Verband Magdeburg

Im zweiten Teil des Konzerts stellen sich dann diejenigen vor, die gerne im folgenden Jahr fahren würden. Wir versuchen nach Bayreuth eine möglichst vielfältige Auswahl an Künstlern zu schicken, Sänger und Sängerinnen, Musiker und Musikerinnen, dieses Jahr sogar einen Bühnenbildner.

Die Gesichtspunkte, nach denen wir auswählen, sind aber teilweise von Bayreuth aus vorgegeben. Die Musiker dürfen ein bestimmtes Alter nicht überschritten haben, sollten nicht ganz am Anfang ihrer Karriere stehen, am besten schon den einen oder anderen Wettbewerb gewonnen oder teilgenommen haben, auch einige Rollen oder Musikerfahrung ganz allgemein gemacht haben und nicht frisch von der Musikhochschule im ersten Engagement in Magdeburg sein. Wir versuchen engagierte junge Menschen für Bayreuth zu unterstützen, die dort für ihre Karriere wichtige Musikerfahrungen machen können, denn Bayreuth ist anders als jede Opernbühne der Welt.

Richard-Wagner-Verband feiert Jubiläum

Der Richard-Wagner-Verband Magdeburg begrüßt auf seiner Festveranstaltung zum Jubiläum Regisseurin und Autorin Jasmin Solfaghari als Ehrengast. Sie wird über ihre Inszenierung des „Parsifal“ sprechen, die 2023 im Goetheanum in Dornach in der Schweiz uraufgeführt wurde. Diese außergewöhnliche Produktion verbindet Richard Wagners Bühnenweihfestspiel mit einer abendfüllenden eurythmischen Darstellung – eine Idee des Produzenten Alexander von Glenck, der damit eine innovative Kombination aus Musiktheater und Eurythmie schuf. Im Rahmen des Vortrags wird Jasmin Solfaghari die Entstehung dieser besonderen Inszenierung sowie ihre kreativen und künstlerischen Ansätze erläutern. Dabei gibt sie den Gästen Einblicke in die Hintergründe und Herausforderungen einer derart ungewöhnlichen Produktion. Im Anschluss an den Vortrag steht Solfaghari für Gespräche zur Verfügung und signiert ihr neuestes Buch, einen „Opernführer für Einsteiger“.

Empfang: Der Abend schließt im Opernhaus mit einem feierlichen Empfang ab, bei dem die Gäste auch gemeinsam auf den 115. Gründungstag des Richard-Wagner-Verbands Magdeburg anstoßen können, so die Ankündigung.

Termin und Tickets: Die Veranstaltung beginnt am Dienstag, den 22. Oktober, um 18.30 Uhr im Wagnerfoyer im Opernhauses des Theaters Magdeburg. Karten kosten 10 Euro, für Mitglieder des Verbands ist der Eintritt frei.