Vortrag Wanderarbeiter als Schwunggeber der Börde
Um Wanderarbeiter im 18./19. Jahrhundert in der Börde ging es jetzt in Ummendorf. Im Börde-Museum gab es dazu einen Vortrag.
Ummendorf l Die vier Figuren aus Kalkstein – Frühling, Sommer, Herbst und Winter –, die aus Schutz vor Unbilden vom Außengelände der Ummendorfer Burg nun im Vortragsraum stehen und auf die Besucher schauen, hätten sicher noch als „Augenzeugen“ einige Ergänzungen zum Vortrag beitragen können. Aber was Renate Krosch auch ohne sie über die „Sachsengängerei“ vermittelte, fand großes Interesse bei den Zuhörern. Dabei bestand das Publikum nicht nur aus mit der Börde-Landwirtschaft Vertrauten, auch der bis 2001 amtierende Oberbürgermeister von Magdeburg, Willi Polte, zeigte sich an der Thematik zur Arbeitsmigration in der Preußischen Provinz Sachsen von 1871 bis 1914 interessiert.
„Der Vortrag ist auch ein inhaltlicher Vorspann für die am 8. April beginnende Sonderausstellung ‚Heimat im Krieg 1914 bis 1918‘, die hier als Wanderausstellung zu sehen sein wird“, erklärte Sabine Vogel, amtierende Museumsleiterin, eingangs.
Renate Krosch begann dann mitten im so genannten Zuckerboom, als die Landwirtschaft hierzulande enorme Fortschritte machte. Immer mehr Zuckerfabriken waren deshalb schon entstanden, jene in Klein Wanzleben 1838. Die Infrastruktur verbesserte sich, für Rübenanbau und -verarbeitung nützliche Technik wurde ebenso entwickelt wie die Dünger- und Kaliindustrie. Es entstanden Brennereien und Brauereien.
Aber der Rübenanbau erforderte eine schwere Handarbeit, um die ständig steigende Produktion des Zuckers zu sichern. Schulkinder bekamen Rübenferien, um beim Verziehen zu helfen, aus fernen Ostprovinzen des Deutschen Reiches, aus Polen oder Russland wurden die Wanderarbeiter gelockt, denen es in ihrer Heimat nicht besonders gut ging. Hier in der Börde dagegen, wo man den fruchtbarsten Boden Deutschlands hatte (ab 1936 wurden Bodenwertzahlen zwischen 90 und 100 vergeben) brauchte man sie, es herrschte Leutemangel.
„Diese Landarbeiter kamen im Frühjahr in die damalige Provinz Sachsen – darum auch Sachsengänger genannt –, im Dezember reisten sie wieder in ihre Heimatgebiete“, berichtete Renate Krosch. „Ihr Arbeitstag ging von 5 bis 19 Uhr, aber nur geleistete Arbeit wurde bezahlt, bei schlechtem Wetter gab es nichts.“ In dieser Zeit waren auch die Schnitterkasernen entstanden, in denen die Wanderarbeiter untergebracht wurden, nicht selten zwischen 20 und 40 in einem Raum.
Der Lohn wurde ihnen oft erst vor der Rückreise ausgezahlt, weil einige es wegen der Umstände nicht mehr aushielten und ohne sich abzumelden in Richtung Heimat verschwanden. Viele vermissten auch die Möglichkeit, in der Kirche Trost zu finden, denn für sie als Katholiken gab es hier kein Gotteshaus – oder es stand weiter entfernt.
Die Wanderarbeiter trugen dazu bei, dass die Rübenbauern zunehmend wohlhabender wurden. Für sie selbst, einige blieben durch Heirat dann auch hier, und für die ansässigen Landarbeiter ging es mit dem Lebensstandard schrittweise aufwärts. „Sie konnten sich besser kleiden, ihre Kinder erhielten eine bessere Bildung. Und ohne die Wanderarbeiter in der Zeit bis 1914 wäre die Entwicklung in dieser Region so wohl nicht möglich gewesen“, schloss Renate Krosch.