Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt Junge Medizinerinnen aus Afghanistan zur Untätigkeit verurteilt
Beide haben ein akademisches Studium absolviert, in ihren medizinischen Berufen praktiziert . Nun sind Alia und Saliha in Deutschland – und seit Monaten in einem Flüchtlingsheim zum Warten verurteilt.
Salzwedel - Junge Zahnärzte und Humanmediziner sind im Altmarkkreis Salzwedel Mangelware. Händeringend sucht das Altmark-Klinikum nach medizinischem Nachwuchs. Der Altmarkkreis vergibt Stipendien für Studenten der Human- und Zahnmedizin, um die medizinische Versorgung in der Region für die Zukunft zu sichern. Schon heute nehmen viele Arzt- und Zahnarztpraxen in Salzwedel keine neuen Patienten mehr auf. Doch zwei junge Medizinerinnen aus Afghanistan sitzen frustriert in der Gemeinschaftsunterkunft. Warum muss das so sein?, fragen nicht nur sie.
Ebenso geht es vielen hoch qualifizierten Asylbewerbern mit ihrem Gesprächstermin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Zwei von ihnen harren seit Monaten in einem Salzwedeler Flüchtlingsheim aus: die Zahnärztin Saliha Yusofi (26) und die Allgemeinmedizinerin Alia Yousufi (30). Beide waren in der afghanischen Frauenbewegung politisch aktiv. In Afghanistan unter den Taliban ist das lebensgefährlich.
Während der Dauer des laufenden Asylverfahrens sind die Asylbewerberinnen laut der Internetseite juraforum.de verpflichtet, bis zu zwei Jahre in der Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, in der sie der Altmarkkreis untergebracht hat. Für Alia Yusofi gilt als alleinerziehende Mutter eine verkürzte Aufenthaltspflicht von einem Jahr. Wann die Frauen ihren Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekommen werden, darüber haben sie keinerlei Information.
Ärztinnen sitzen in Flüchtlingsheim: Zu laut zum Lernen
„In der Gemeinschaftsunterkunft ist es sehr laut“, schildert Saliha Yusofi. Es gebe dort viel Kindergeschrei, in der Nacht ertöne häufig Feueralarm. „Ich kann mich dort kaum aufs Lernen konzentrieren.“ Sie arbeite mit Hochdruck daran, sich die nötigen Deutschkenntnisse zuzulegen, die sie für die Ausübung ihres Berufes benötigt. Ihren Integrationskurs hat sie bereits hinter sich.
Außerdem sei Saliha damit beschäftigt, sich autodidaktisch das zahnmedizinische Fachwissen anzueignen, das sie in Deutschland benötigen wird. „Wir wollen da arbeiten, wo wir besonders dringend gebraucht werden“, sagt Saliha. In Salzwedel zu bleiben, könnten sie sich durchaus vorstellen.
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Ihre ältere Schwester, die Ärztin und in Afghanistan eine bekannte Frauenrechtlerin ist, besucht derzeit noch einen Integrationskurs. Auch sie lernt Deutsch, kann aber nicht ganz im selben Tempo lernen wie Saliha, weil sie noch ihren dreijährigen Sohn zu betreuen hat.
Das vom Verlust der Heimat vor sechs Monaten stark verunsicherte Kind besucht in Salzwedel aber bereits eine Kindertagesstätte. Warum werden Asylbewerberinnen, die so gesuchte Qualifikationen mitbringen, nicht besser unterstützt? Warum müssen sie so lange auf einen Gesprächstermin warten und unter Bedingungen leben, die offenbar ihre Integration behindern?
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Der Frage, ob Asylanträge hoch qualifizierter Flüchtlinge nicht schneller bearbeitet werden könnten, weicht das BAMF in seiner Antwort aus: „Bei der Entscheidung, ob Schutz zu gewähren (...) ist, ist die Frage, welche Gefahr Asylsuchenden bei einer möglichen Rückkehr ins Herkunftsland droht, zentral. Dies gilt (...) ungeachtet deren beruflicher Qualifikation“, schreibt die Pressestelle der Behörde.
Flüchtlingspolitik: Keinerlei Einfluss auf Asylverfahren
Auch die Kreisverwaltung gibt an, weder das Asylverfahren zu beschleunigen noch für eine bessere Unterbringung der beiden Frauen sorgen zu können. „Der Altmarkkreis Salzwedel hat keinerlei Einfluss auf die Verfahrensweise und -dauer des Asylverfahrens beim BAMF“, heißt es von dort. Für die Zeit des Asylverfahrens unterlägen die Afghaninnen einer Wohnsitzbeschränkung, wobei die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft rechtlich vorgesehen sei.
Zwar könnten besondere Umstände es ermöglichen, von dieser Regel abzuweichen. Dies müssten aber zum Beispiel gesundheitliche Einschränkungen sein, was hier nicht der Fall sei. „Allein die Tatsache, in einer Gemeinschaftsunterkunft schlechtere Lernbedingungen vorzufinden, begründet kein Erfordernis für eine eigene Wohnung“, sagt die Kreisverwaltung klipp und klar.
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Hier hätten die beiden Frauen schon den Vorteil, in einer recht kleinen Gemeinschaftsunterkunft untergebracht zu sein, in der lediglich Familien und Frauen mit Kindern leben, argumentiert Pressesprecherin Inka Ludwig. Den durch die Kinder erhöhten Lärmpegel erwähnt sie nicht. Anderer Wohnraum stehe aktuell in Salzwedel nicht zur Verfügung.
So werden die beiden Medizinerinnen wohl noch eine Weile vor sich hindümpeln – und die Patienten in Salzwedel entsprechend länger weite Wege und lange Wartezeiten bei Arzt oder Zahnarzt auf sich nehmen müssen.