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Ausgewandert „Freundschaften halten hier länger“

Als Dreijährige kam sie nach Salzwedel, mit 17 ging sie in den Westen, doch seit 52 Jahren lebt Ingelind Otto in New York.

Von Arno Zähringer 05.09.2015, 03:00

Salzwedel l Im Juli war es wieder soweit: Ingelind Otto setzte sich in New York in den Flieger, um ihren mehrwöchigen Urlaub in Salzwedel zu verbringen. Seit 52 Jahren lebt sie in der acht-Millionen-Einwohner-Metropole, in der Stadt, die niemals schläft und deren wohl bekanntestes Wahrzeichen die Freiheitsstatue auf Liberty Island ist.

Auch wenn sie im Stadtteil Bronx auf City Islands ein eigenes Haus mit einer „wunderbaren Lage“ besitzt, ist der Kontakt in die Hansestadt während der ganzen Jahre nicht abgebrochen. Denn im Vergleich zu den Vereinigten Staaten sind Freundschaften in Deutschland sehr viel haltbarer. „Das ist sehr schön und sehr positiv“, berichtet Ingelind Otto im Gespräch mit der Volksstimme. Und überhaupt: Zwar lebt sie seit mehr als 50 Jahren in „Big Apple“, so der Spitzname New Yorks, doch ihrer Liebe zur Heimat tat dies keinen Abbruch. Vielmehr sieht sich Ingelind Otto als eine Frau, die mit jedem Bein auf einem anderen Kontinent steht.

Doch das war nicht immer so. Geboren wurde sie in Düsseldorf, doch im Alter von drei Jahren zog sie mit ihrer Mutter nach Salzwedel und erlebte hier eine schöne, aber auch schwierige Kindheit. Sie besuchte die damalige Heinrich-Heine-Schule mit weiteren 45 Mädchen, später die Berufsschule (heute Jenny-Marx-Schule). Dort lernte sie unter anderem Kurzschrift und Buchhaltung. Bereits im Alter von 13 Jahren musste Ingelind Otto als Anlernling bei der damaligen Metallgenossenschaft am Nicolaiplatz arbeiten. „Wir brauchten das Geld, deshalb musste ich schon so früh ran.“ Noch heute macht sie sich ihre Notizen grundsätzlich in Kurzschrift und zwar nicht nur in Deutsch, sondern auch in der englischen Version.

Ein weiteres einschneidendes Erlebnis war der Umzug 1954 in den Westen, genauer nach Hannover. Doch dort wurde ihr schnell klar, dass sie ihr berufliches Glück wohl nicht in Deutschland erreichen kann. Deshalb nahm sie 1963 – damals Mitte 20 – eine Stelle als Au-pair-Mädchen in einer Familie in New York an. Dort sprach zwar der Vater deutsch, seine Frau und die Kinder allerdings nur englisch.

„Es war ein sehr schwerer Anfang, denn ich sprach klein Wort Englisch, war ganz alleine in New York, hatte niemanden vor Ort und 30 Dollar in der Tasche. Und das war nicht viel“, blickt Ingelind Otto auf ihre Anfangszeit in den Staaten zurück. Sie sagt aber auch: „Es war anstrengend, aber auch sehr vielseitig und interessant.“ Dass sie nach einem Jahr nicht wieder zu- rück nach Deutschland flog, entsprang letztlich einem Zufall. Eine bekannte berichtete ihr von einem Jobangebot, das sie nicht wahrnehmen wollte. Ingelind Otto aber schon. So landete sie als Sekretärin bei der Deutschen Presse Agentur (dpa), schrieb später auch Berichte als Korrespondentin über die Vereinten Nationen (UN) und nahm zu Zeiten des „Kalten Krieges“ an Sitzungen des Sicherheitsrates der UNO teil. „Die drei Jahre bei dpa waren eine tolle Zeit“, sagt Ingelind Otto rückblickend, die damals aber auch gleich den Blick nach vorn richtete. „Politisches Englisch konnte ich danach, jetzt brauchte ich noch Wirtschafts- englisch.“ Gesagt, getan. Am liebsten hätte sie bei einer Fluggesellschaft angeheuert – auch wegen der damit verbundenen günstigeren Flüge nach Deutschland –, aber letztlich landete sie bei Pepsi Cola als Sekretärin. Doch dann wurde sie Programmiererin, lernte zwei Computersprachen und arbeitete an einem Großrechner (englisch Mainframe) Dabei handelte es sich um ein sehr komplexes und umfangreiches Computersystem, das weit über die Kapazitäten eines Personal Computers und meist auch über die der typischen Serversysteme hinausging. Das hat ihr so viel Spaß gemacht, dass sie 32 Jahre in der Firma blieb.

Mitte der 80er Jahre ging sie in Pension und begann zu reisen. Vorher war dies kaum möglich, denn in den USA gab es damals nur 14 Tage Jahresurlaub – einschließlich der Wochenenden. Seitdem kommt Ingelind Otto ein- bis zweimal im Jahr über den großen Teich nach Salzwedel. Hier hat sie nicht nur Verwandte, sondern auch Schulfreunde und Bekannte. Natürlich war sie auch bei der Einweihung des Kunsthauses, das sie schon länger unterstützt, dabei. „Es ist eine herrliche Einrichtung, die die Attraktivität Salzwedels steigert.“ Zudem hat Otto zu dem Gebäude noch eine besondere Verbindung. „Meine Großmutter hat mit den Grundstein fürs Lyzeum gelegt“, nachzulesen in dem Band „Salzwedeler Frauen“. Sorgen bereiten der Wahl-New Yorkerin die Leerstände in der Stadt und dass immer mehr junge Leute aus Salzwedel wegziehen, obwohl sich nach der Wende hier viel getan habe. Ob sie vorhat, in die Hansestadt zurückzukommen? „Falls mir einer der Hurricane das Dach von meinem Haus bläst, vielleicht“, sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln. Langweilig wird es ihr in New York nicht. Noch heute arbeitet sie als Dolmetscherin, macht Übersetzungen und lernt Spanisch. „Damit die grauen Zellen in Bewegung bleiben.“