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Fund in der Elbe Das erste Fernsehkabel der Welt

Das extreme Niedrigwasser der Elbe lässt bei Breitenhagen ein Stück deutscher Technikgeschichte zum Vorschein kommen.

Von Thomas Linßner 24.08.2019, 01:01

Breitenhagen l Werner Rehnecke ist schuld. Warum? Er löste eine Recherche aus, die über Wochen ging und immer interessanter wurde. Doch der Reihe nach.

Eigentlich will ich Werner Rehnecke nur etwas über die Breitenhagener Kirche fragen, die er mit anderen Freiwilligen in den 1990ern ehrenamtlich instand setzte. „Ach, bei der Gelegenheit möchte ich dir mal was zeigen“, macht mich der 81-Jährige am Telefon neugierig.

„Durch das Niedrigwasser sind zwei alte Kabel zum Vorschein gekommen, die in Höhe des Kantorweges die Elbe kreuzen.“

Hört sich interessant an. Da machen wir mal einen Termin ... zeige ich mich unverbindlich interessiert, aber nicht gleich euphorisch. Gott sei Dank frage ich Werner - ich kenne ihn seit über 20 Jahren - ob er etwas Genaueres zu den „alten Kabeln“ sagen kann. „Als ich Kind war, wurde erzählt, dass es Fernsehkabel aus den 30er Jahren sind ...“

Spätestens an dieser Stelle läuten bei mir alle Alarmglocken. Und zwar gewaltig.

Fernsehkabel? Aus den 1930ern?? Bei Breitenhagen???

Dazu sei erklärt: Auf dem Brocken im Harz stand der erste Fernsehsender der Welt. Im Frühjahr 1935 legte die Deutsche Fernkabel-Gesellschaft im Auftrag der Reichspost ein Breitbandkabel zwischen Berlin und Leipzig aus. Es folgte 1938 eine Verbindung zum Feldberg (Taunus) mit einem Abzweig zum ... Brocken. Wer auf die Landkarte schaut, wird sehen, dass die kürzeste Strecke von Berlin in den Harz über den Elbe-Saale-Winkel führt. Luftlinie sind es etwa 260 Kilometer.

Nur einen Tag, nachdem Werner Rehnecke mir den Tipp gegeben hatte, hole ich ihn ab. Die sonst sattgrünen Wiesen sind gelb und vertrocknet. „Wir müssen nur fünf Buhnen flussabwärts gehen“, zeigt mein Führer die Elbe hin­ab. Deren Sandstrände sind groß und weiß und ziemlich idyllisch. Über uns kreist ein Seeadler, ein paar Wildgänse äugen in der Ferne sorgenvoll gen Himmel. Das Biosphärenreservat Steckby/Lödderitz ist nicht weit.

Werner erzählt, dass die Russen die Kabel nach dem Krieg als Reparationsleistung ausgraben ließen. Viele junge Breitenhagener und Rosenburger seien zwangsverpflichtet worden. Nicht primär, weil man das Fernsehkabel in der Sowjetunion brauchte, sondern um die Kommunikationsstrecken im besiegten Deutschland auszuschalten. „Nur ein Rest im Flussbett ist erhalten. Da kamen die ja nicht ran, weil das Wasser bis an die Ufer reichte.“ Jetzt aber hat sich die Elbe auf ein Minimum zurück gezogen.

Nach ein paar Schritten sind wir da. Werner zeigt gelassen auf zwei parallel liegende Trassen, die aus dem Flussbett aufsteigen. Man muss schon genau hingucken: Wie Muscheln den Bug einer spanischen Galeone bevölkern kleine Kieselsteine die geteerten Schutzrohre aus Gusseisen. Sie heben sich kaum vom Umfeld ab. Wo sie aufhören, werden armdicke, schwarze Kabel sichtbar.

Donnerwetter. Das sieht ziemlich alt aus. Aber sind das auch wirklich zwei der ersten Fernsehkabel der Welt, die einen Superlativ bedeuten würden?

Ich fotografiere mir die Finger wund ... „Und das erste Fernsehkabel der Welt zum Brocken wollen Sie gefunden haben? In der Elbe?“

Der Breitenhagener Heimatgeschichtler Heinz-Armin Sixdorf kramt in seinen Erinnerungen. Ja, von so einer Verbindung habe er gehört. „Besser aber, du fragst Fritz König. Der müsste das wissen.“ Treffer: Der 94-Jährige – er ist der älteste Breitenhagener – bestätigt die Vermutung.

Der Kabelgraben verlief durch das Dorf in Richtung Groß Rosenburg. Am Ortsausgang habe „eine Art Verstärker“ gestanden. Im Nachbarort Rosenburg auch. Die Leute dort nennen das Gebäude in der Nienburger Straße 11 noch heute „Post“, ohne eigentlich zu wissen warum. „Ein Nebengebäude wurde nach dem Krieg gesprengt, die Kabel ausgegraben“, weiß auch Stadtwehrleiter Detlef August, dessen Sohn das Haus gekauft hat.

Fazit: Übereinstimmend bestätigen Ortskundige die Geschichte mit den „Ausgrabungen“. 1945 oder 1946 müssen Heerscharen von Menschen aus dem Elbe-Saale-Winkel unter Aufsicht der Besatzer gebuddelt haben. So auch die spätere Ehefrau von Kapitän Theo Grötschel (90). „Das war irgend so ein Telefonkabel. Fernsehen gab es damals ja noch nicht.“

Doch, gab es. Der erste Sender stand auf dem Brocken.

Also sollte man die Spurensuche ebenda fortsetzen.

Christoph Lampert ist Geschäftsführer des Brockenmuseums. Unter der Überschrift „Als die Bilder laufen lernten“ beschäftigt sich ein Raum des Hauses mit dem Thema. „Das in Deutschland hergestellte FK 504 war eines der ersten Breitband-Fernkabel der Welt. Von Berlin aus verlegt, versorgte es zwei Fernsehsender – auf dem Brocken und dem Großen Feldberg – mit einem Fernsehsignal.“ Zeitgleich konnten 200 Telefongespräche übertragen werden. Lampert deutet stolz auf eine Vitrine, wo ein aufgetrieseltes Stück dieses historischen Kabels zu sehen ist. Bis zu 60 000 Besucher kämen pro Jahr in das Museum. Die meisten interessierten sich aber eher für die Abhörgeschichten der Staatssicherheit und weniger für die Pioniergeschichte des Fernsehens. Dennoch fragt Christoph Lampert neugierig: „Und das erste Fernsehkabel der Welt zum Brocken wollen Sie gefunden haben? In der Elbe?“

Ein Beweis wäre nur mit der Eisensäge zu erbringen. Man müsste in Breitenhagen ein Segment abtrennen und mit dem Brockenstück vergleichen ...

Jetzt kommt das Wasser- und Schifffahrtsamt ins Spiel. Ulf Möbius vom Außenbezirk Niegripp stellt prinzipiell klar: Wenn dort kein Ankerverbots- oder Dükerzeichen am Ufer steht, liegt dort keine aktuelle Leitung.

Aber so genau wissen können man das nie.

„Nicht ungefährlich, an dem Kabel einfach so die Eisensäge anzusetzen. Und wenn es doch eine Hochspannungsleitung ist?“, geht es mir tagelang durch den Kopf. Glücklicherweise habe ich einen Freund, der Fernsehmechaniker-Meister und ein wandelndes Technik-Lexikon ist. Vor allem besitzt er ein Induktiosstrom-Prüfgerät, mit dessen Hilfe man von außen feststellen kann, ob das Kabel spannungsführend ist oder nicht.

Ich übertrage meine Begeisterung auf den Barbyer Fährhausbewohner Heinrich Bernau. Der hat ein schnelles Boot und düst ruck, zuck mit sämtlichen Equipment (Säge, Spitzhacke, Schürfkellen, Spaten) zur Breitenhagener Fundstelle. Ralph Gaßler, Heinrich und ich fangen an zu sägen. Ein bisschen mulmig ist uns schon. Nach einem Schnittzentimeter steht fest: Da ist keine Spannung drauf. Nach halbstündiger Quälerei, und dem Wechsel mehrerer Sägeblätter, steht fest: Das Kabel ist identisch mit dem auf dem Brocken.

Heureka!!!

Für museale Zwecke bergen wir zwei Schutzrohrsegmente aus Gusseisen. Die Teermasse ist noch elastisch. Sie wird problemlos entfernt. Die Halbschalen werden von zwei M16-Schrauben zusammen gehalten. Nach ein paar kurzen Schlägen mit dem Hammer lassen sich die Muttern per Hand (!) lösen. Man glaubt es kaum: Sie liegen seit 81 Jahren auf dem Elbegrund.

Wir sind ziemlich euphorisch. Der Beweis ist erbracht. Die „Artefakte“ werden wir einem Museum vermachen.

Als wir unsere Schätze an der Barbyer Fährstelle aus dem Motorboot laden, fragt eine Spaziergängerin neugierig, was wir da haben. Ich erklärte stolz wie Bolle, dass wir eines der ältesten Fernsehkabel der Welt geborgen haben. „So kann man auch seinen Sonntagnachmittag verbringen“, antwortet die Frau unbeeindruckt und widmet sich wieder ihrem Smartphone ...