Nach den Zahlen der Bedarfsplanung dürfte es im Salzlandkreis kaum Versorgungslücken geben - theoretisch In neuer Augenarztpraxis glühen die Telefone heiß
Nach der Eröffnung einer Praxis für Augenheilkunde am Montag am Schönebecker Markt klingelten dort gestern die Telefone heiß. Weit über 100 Personen wollten für sich oder einen Angehörigen einen termin vereinbaren. Der Bedarf an augenärztlicher Versorgung muss enorm sein. Obwohl der Bedarfsplan kaum Versorgungslücken offenbart.
Schönebeck l Auf dem Papier sieht es gut aus. Ja, es gibt fehlende Ärzte im Salzlandkreis, allein bei Hausärzten werden derzeit 23 Mediziner gesucht. Bei den Fachärzten sollen aber lediglich drei Stellen nicht besetzt sein, darunter zwei Augenarztpraxen in Bernburg. Ein sogenannter Bedarfsplan soll die medizinische Versorgung bundesweit regeln. Erstellt wird er maßgeblich vom Spitzenverband der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung auf Bundesebene. In diesem Plan ist von einem Optimum (angegeben mit 100 Prozent) die Rede und von einem Maximum (angegeben mit 110 Prozent). Ist das Maximum erreicht, gibt es sogar eine Sperre. Ärzte dürfen sich dann nicht mehr niederlassen.
Wie sehr Theorie und Wahrheit manchmal auseinanderliegen, wird jetzt vor dem Hintergrund der Praxiseröffnung einer Augenärztin in Schönebeck deutlich. Seit Montag praktiziert Dr. Eleonòre Koleszàr am Schönebecker Markt 17-19. Gestern glühte in der Praxis das Telefon heiß. Eine lange Schlange von Menschen bildete sich am Anmeldetresen den gesamten Tag über, die allesamt einen Termin bei der Augenärztin ergattern wollten. Viele Anrufer mussten ihr Glück mehrfach versuchen oder kamen erst gar nicht durch. Auch bei der Volksstimme riefen Bürger an, die wissen wollten, was denn mit dem Telfonanschluss los sei. Falsche Rufnummer veröffentlicht? Nein, alles korrekt. Der Andrang war einfach nicht zu bewältigen. "Wir gehen ans Telefon, so gut wir das schaffen", sagte Schwester Birgit gegenüber der Volksstimme.
Ihre Kollegin platzierte kurz vor 12 Uhr einen Zettel an der Eingangstür mit dem Hinweis: "Anmeldungen heute ab 15 Uhr". So wollten die Schwestern den Ansturm in handhabbare Bahnen lenken.
In der Lokalredaktion nutzten 30 Personen die Möglichkeit, um ihre Erfrahrungen mit der Suche nach einem Termin beim Facharzt zu schildern.
Etwa Erika Schulze aus Schönebeck. Ihr Mann ist Diabetiker und auf regelmäßige augenärztliche Untersuchungen angewiesen. Einen Termin bei einer Schönebecker Augenarztpraxis habe er ein Jahr lang nicht bekommen. "Es hieß lediglich, privat würde es gehen. Da habe ich ein paar passende Worte gesagt", berichtet Erika Schulze. Ihre Einschätzung: "Deutschland ist so fortschrittlich und schön. Aber auf dem Gebiet der ärztlichen Versorgung gibt es unhaltbare Zustände."
Ähnlich erging es Christel M. aus Calbe. Sie war jahrelang Patientin in einer Schönebecker Augenarztpraxis. "Als ich einen Vorsorgetermin wollte, hieß es, das sei nicht möglich. Es gebe zu viele chronische Patienten. Ich könnte aber die sogenannte Komfortsprechstunde nutzen. Das hat eine Tante von mir getan und jedes Mal 80 Euro bezahlen müssen. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Meine Krankenkasse sagt mir, dass sie sich nicht einmischen kann. Muss ich erst selbst chronisch krank werden, um einen Termin zu bekommen?"
Kerstin Irmscher aus Klein-mühlingen berichtete von der schier endlosen Terminsuche für ihren Ehemann, der mit Diabetes lebt. In Schönebeck blieb das Ansinnen nach einem Augenarzttermin erfolglos. "In Magdeburg habe ich das Telefonbuch hoch und runter durchgewählt und endlich Erfolg gehabt." Die Augenärztin, zu der ihr Mann dann gefahren sei, habe ihm aber private Leistungen in Höhe von knapp 300 Euro als absolut nötig dargestellt. Leistungen, die die Kassen angeblich nicht übernehmen. "Einen Termin als Privatpatient würde man aber fast überall sofort bekommen. Das zeigt doch, dass Zeitkapazität vorhanden ist", ärgert sich Kerstin Irmscher über geschäftstüchtige Mediziner.
Detlef B. aus Barby schätzt die ärztliche Versorgung im Salzlandkreis als insgesamt "sehr schlecht" ein. "Besonders, wenn man als neuer Patient zu einem Facharzt muss, ist die Suche nahezu ergebnislos." Er habe sich darüber bei der Ärztekammer beschwert und über diesen Weg immerhin einen Augenarzt-Termin bekommen. Ein Nachhaken bei der Krankenkasse habe hingegen nichts gebracht. "Das ist kein Zustand", ärgert er sich.
Der Volksstimme liegen noch weitere Wortmeldungen vor, die - soweit vom Seitenplatz her möglich - in den kommenden Tagen abgedruckt werden. An dieser Stelle soll jetzt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zu Wort kommen. KV-Pressesprecherin Ursula Günther äußert Verständnis gegenüber dem zur Sprache gebrachten Ärger. "Gehen wir nach den Zahlen der Bedarfsplanung, dürfte es eigentlich kaum Lücken geben. Die Realität sieht aber anders aus. Hier muss es Nachbesserungen geben", ist sie sich sicher.
Sachsen-Anhalts KV-Vorsitzender Burkhard John - übrigens niedergelassener Arzt in Schönebeck - stellt in Aussicht, dass sich die Berdarfsplanungsbereiche im Salzlandkreis bald ändern werden. Anstelle der Altkreise werde der gesamte Kreis als Planungsgröße betrachtet. Er macht ein weiteres Fenster auf indem er sagt: "Planung ist die eine Seite. Die andere ist: Wo bekommen wir die fehlenden Ärzte her?"
(Berichterstattung wird fortgesetzt)