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Die Macht der Bilder Wie das plötzlich Rumpeln auf Colphuser Wiese bei Barby um die Welt ging

Wie schnell sich schon damals Sensationen verbreiteten, beweist diese Geschichte: Am Abend des 4. April 1914 war am Stadtrand von Barby ein Militärflugzeug notgelandet. Tags drauf gab es das Foto als Ansichtskarte.

Von Thomas Linßner 05.07.2024, 06:17
Im schwachen Licht des Aprilabends sind einige Personen  nach der langen Belichtungszeit verschwommen. Der Pilot nicht. Er steht ruhig und gelassen im Overall auf dem Deck seiner Rumpler Taube.
Im schwachen Licht des Aprilabends sind einige Personen nach der langen Belichtungszeit verschwommen. Der Pilot nicht. Er steht ruhig und gelassen im Overall auf dem Deck seiner Rumpler Taube. Foto: Heinrich Viek

Barby - „Fast alle Tage kommen jetzt die Flieger hier vorüber. Diese hier abgebildete Taube ist am Sonnabendabend 1/2 7 Uhr hier gelandet, hatte sich verflogen und wollte Sonntag früh wieder fort und dabei brach der Propeller, jetzt steht der Flugapparat im Colphus in der Scheune. Barby wird noch Fliegerstadt.“

Diese von Stolz begleiteten Sätze schreibt ein Barbyer Onkel am 6. April 1914 an seine Nichte Frieda Preller in Eisleben. Dank einer gut leserlichen Ansichtskarte wissen wir heute von diesem Ereignis.Es handelt sich um eine so genannte Rumplertaube, die auf der Colphuser Wiese notlandete. Vermutlich ist dem Piloten, der einen kaiserlichen Flieger-Overall trägt, das Benzin knapp geworden, weil er die Orientierung verlor. Das kann heute bei kleineren Sportflugzeugen immer mal wieder vorkommen.

In den Kinderschuhen

Die Landung der Rumpler Taube auf der Colphuser Wiese geschieht zu einer Zeit, in der das Flugwesen noch in den Kinderschuhen steckt. Dementsprechend ist die Bevölkerung für dieses Thema sensibilisiert. Schon 1912 wird mit der Beförderung der Post auf dem Luftweg begonnen. Auf der Route Darmstadt-Frankfurt (Main) fliegt der Euler-Doppeldecker „Gelber Hund“. 1913 findet die Kieler Flugwoche statt, wo sich zeigt, dass der „Traum vom Fliegen“ allmählich vom Sport zum Beruf wird.

Als die Rumpler Taube in Barby notlandet, steht das deutsche Kaiserreich an der Schwelle eines Krieges. Dementsprechend wird auch das Flugwesen voran getrieben, dessen Wert militärisch erkannt wird.

Die Kunde von der Notlandung verbreitet sich in Windeseile. Auch der Barbyer Fotograf Heinrich Viek hört davon. Ein Schäfer, dessen Herde auf dem Colphuser Domänengut steht und der die Landung beobachtet hatte, pocht bei dem Fotografen an die Tür, der im Magdeburger Tor 16 seinen Laden hat.

Riesige Plattenkamera

Viek schnappt die riesige Plattenkamera und macht sich auf den Weg. „Eine Flugzeuglandung in Barby – das hat es noch nicht gegeben. Davon mache ich eine Ansichtskarte“, wittert der Lichtbildner ein gutes Geschäft.

Doch vor dem Erfolg steht der Schweiß. Heinrich Viek schnauft über den Colphuser Damm (der heute Bahnhofstraße heißt), biegt hinter der „Froschvilla“ in einen Feldweg ein (der heute Colphuser Damm heißt …), wo er bereits den Flieger sieht.

Nach zehn Minuten ist er am Ort des Geschehens. Weil der Barbyer Fotografenmeister Kaiser Wilhelm mehrfach ablichtete, als der bei Amtsrat von Dietze zur Hasenjagd weilte und deswegen einen „gewissen Öffentlichkeitsbonus“ hat, lässt ihn der Schutzmann bis an das Flugzeug heran.

Zuvor musste der Polizist die Schaulustigen im Zaume halten, damit sie der Flugmaschine nicht zu sehr auf die Pelle rücken.

Heinrich Viek entwickelt seine Fotoplatte noch am selben Abend, für die das Abendlicht gerade noch ausreichend war. Tags darauf – es ist ein Sonntag (!) – bietet er sie als Postkarte in seinem Laden an. Die Silbergroschen klingen in der Kasse.

Verkaufshit Ansichtskarte

Die Leute, die die Sensation verschicken, frankieren die Karten mit einer Fünf-Pfennig-Marke. Auch der Onkel von Frieda Preller kauft ein paar Stück. So wird die Kunde, dass in Barby eine Rumpler Taube notgelandet ist, in die Welt getragen.

Anmerkung: Die Ansichtskarte, die dieser Geschichte zugrunde liegt, wurde am 6. April 1914 geschrieben und abgestempelt. Der 6. April war ein Montag. Der Schreiber berichtet davon, dass das Flugzeug „Sonnabendabend 1/2 7 Uhr“ gelandet sei. Bemüht man den Kalender, stellt man verblüfft fest, dass zwischen dem Ereignis und dem Versenden nur ein Tag lag.

Und da sage noch einer, dass öffentlichkeitswirksame Publikation ein Kind unserer Tage sei…