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Tafel Alle gegen Staßfurts Tafelbetreiber

Staßfurts Tafelbetreiber hat erneut alle gegen sich aufgebracht. Die Stadt hat den Vertrag zum 30. Juni gekündigt.

17.05.2020, 23:01

Staßfurt l In diesen Tagen ist die Schlange bei der Ausgabe der Lebensmittelbeutel an der Staßfurter Tafel besonders lang. Knapp 100 Bedürftige waren zum Beispiel am Dienstag in den „Kaiserhof“ gekommen, wo die Tafel beheimatet ist. Und weil in der Corona-Krise natürlich Abstände eingehalten werden müssen, konnten immer nur wenige Menschen in das Gebäude. Die Schlange zog sich also draußen für alle Autofahrer sichtbar bis zur Bode.

Natürlich braucht es die Staßfurter Tafel. Natürlich muss es ab dem 1. Juli weiter gehen. Fakt ist: Die Stadt Staßfurt hat dem Staßfurter „Verein für Soziales und Betreuung“, der die Tafel betreibt, nun die Räume gekündigt. So war es der mehrheitliche Wunsch der Fraktionen im Stadtrat, die mit dem Vereinschef Steffen Globig gebrochen hatten. Dieser Vertrauensverlust ist nicht mehr zu kitten. Am 30. Juni läuft der Vertrag aus. Der Verein steht dann ohne Gebäude da.

Wie es danach weiter geht, wird aber heißer denn je diskutiert. Nachdem anfangs mehrere Optionen denkbar waren, scheint die einzig realistische Option nun nur die zu sein, dass die Arbeiterwohlfahrt (Awo) Salzland übernimmt, die im Salzlandkreis bereits Tafeln in Schönebeck, Calbe, Barby, Biere und Groß Rosenburg betreibt. Dazu finden bei der Awo derzeit interne Abstimmungen statt. „Die Awo steht Gewehr bei Fuß, sollte ein neuer Betreiber gebraucht werden“, sagt Ines Grimm-Hübner, Geschäftsführerin der Awo Salzland. „Solange es aber einen Tafelverein in Staßfurt gibt, der nach den Grundsätzen der Tafeln arbeitet, sehen wir keinen Handlungsbedarf. Es liegt an Steffen Globig und seinem Verein, ein neues Objekt zu finden.“ Zwei Tafeln wird es nach den Grundsätzen dabei nicht geben.

Steffen Globig hingegen hat vor anderthalb Wochen in den Räumlichkeiten der Tafel mit Staßfurts Oberbürgermeister Sven Wagner (SPD), dem Vorsitzenden des Ausschusses für Jugend, Senioren und Soziales Michael Hauschild (SPD), dem Landesvorsitzenden der Tafeln Sachsen-Anhalt Andreas Steppuhn, und der Inklusions- und Gleichstellungsbeauftragten Christine Fischmann zusammengesessen. Spontan kamen mehrere Mitarbeiter der Tafel hinzu. Steffen Globig soll dabei seinen Willen bekundet haben, an einer harmonischen Übergabe an einen neuen Träger mitzuarbeiten.

Doch schon kurz darauf fühlen alle Beteiligten sich von Steffen Globig arg getäuscht. „Es gab von ihm aufgesetzte Schriften, die im Internet herumgingen, Aufrufe zu Kleindemos und zu guter letzt wurde eine Mitarbeiterin freigestellt, weil sie über einen Termin im Rathaus informiert hatte“, erklärt Christine Fischmann. „Ich bin mehr als irritiert vom Vorgehen des Vereins. Wie sehr man sich doch in Menschen täuschen kann“, sagt Oberbürgermeister Wagner. „Ich sehe keine Kooperationsbereitschaft mehr bei ihm, über den 30. Juni hinaus mit der Stadt zusammenzuarbeiten.“

Steffen Globig versichert, dass er mit den Schriften nichts zu tun hat. Die Freistellung der Mitarbeiterin habe tiefer gehende Gründe. Schon mehrmals habe diese ihre Kompetenzen überschritten. „Ich musste sie aus der Schusslinie nehmen“, sagt er.

Globig wiederum ist enttäuscht von der Stadt. „Aus meiner Sicht wird nicht mit offenen Karten gespielt. Die Stadt mischt sich da in Sachen ein, die sie nichts angehen. Die Stadt hat hinter unserem Rücken mit anderen Betreibern gesprochen. Es sollte eine Sache zwischen unserem Verein und der Awo sein, wie es weiter geht. Ich beeinflusse die Leute nicht und habe das Gefühl, dass meine Mitarbeiter für dumm verkauft werden.“

Er will ein Gespräch mit der Awo. „Ich bin für Verhandlungen. Die Awo müsste sich langsam outen. Ich biete der Awo die Hand. Ich wollte diese Eskalation nicht“, sagt Globig. Die Awo hingegen sieht dafür keinen Bedarf. Weil es eben bereits einen Tafelbetreiber gibt.

Die Awo teilt mit, dass es bereits Ende 2018 Gespräche mit dem damaligen Betreiber der Tafel zu einer Fortführung des Tafelbetriebes gegeben habe. Weil ein neuer Verein gegründet wurde, wurden die Gespräche beendet.

Ende 2019 wurde die Awo durch den Landesverband der Tafeln gefragt, ob eine Kooperation mit der Staßfurter Tafel möglich wäre. Es wurde laut Awo vereinbart, dass der Verein bis März selbst entscheidet, ob er die Tafel fortführt und ansonsten einen Nachfolger sucht. „Die Kündigung der Stadt Staßfurt gegenüber dem Trägerverein ist seit langem bekannt und bisher hat sich an der Situation nichts geändert außer, dass wertvolle Zeit verstrichen ist. Darauf hat die Awo auch in Telefonaten mit Herrn Globig mehrfach hingewiesen. Anstatt mit Halbwahrheiten gegen die Stadt Staßfurt und die Arbeiterwohlfahrt zu Felde zu ziehen, wäre hier mehr Pragmatismus von Seiten des Trägervereins ratsam“, teilt die Awo mit. „Wir haben kein Interesse an einem Grabenkampf mit Herrn Globig und seinem persönlichen Feldzug gegen die Stadt Staßfurt.“

Ines Grimm-Hübner sagt: „Steffen Globig verdreht einiges an Wahrheiten. Ich bin maßlos enttäuscht und nicht mehr bereit, mit ihm zu reden. Ich lasse mich nicht an den Pranger stellen.“ Auch der Landesverband der Tafeln beobachtet die Entwicklung mit Sorge. „Herr Globig ist überhaupt nicht verlässlich, ich bin stinksauer auf ihn. Mein Eindruck ist, dass er mit allen Spielchen treibt. Wir brauchen nun eine friedliche Lösung ab dem 1. Juli“, sagt der Vorsitzende Andreas Steppuhn. „Die weitere Versorgung hat absolute Priorität.“

Am 27. Mai wird es eine Gesprächsrunde im Rathaus mit Michael Hauschild, Ines Grimm-Hübner, Sven Wagner, Christine Fischmann, Andreas Steppuhn und den Mitarbeitern der Tafel geben. Hier soll gezeigt werden, dass es weitergehen wird ab Juli. Vergangene Woche gab es bereits eine Telefonkonferenz der Verwaltung mit den Fraktionen des Stadtrats. Die Politiker sprachen sich erneut für die Awo aus. Am 25. Juni wird im Stadtrat dann auch formal über den Mietvertrag abgestimmt. „Stadtrat und Verwaltung gehen dabei Schulter an Schulter“, sagt Christine Fischmann. „Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden ohne Unterbrechung des Tafelbetriebes“, sagt auch Sven Wagner. Das soziokulturelle Zentrum im Kaiserhof soll dann ab 2021 angegangen werden. Zusammen mit der Awo.

Im Zuge der hitzigen Debatten um die Fortführung der Tafel haben die ehrenamtlichen und in Maßnahmen befindlichen etwa 20 Mitarbeiter einen offenen Brief verfasst. In diesem werfen die Mitarbeiter den Stadträten vor, dass diese über ihre Köpfe Entscheidungen fällen würden, ohne mit diesen zu reden. „Die meisten von ihnen haben noch nie einen Fuß in die Tafel gesetzt", heißt es. „Sie wissen im Grunde gar nichts über die Arbeit, die jeder Mitarbeiter von Montag bis Freitag für die Bedürftigen und sozial schwachen Bürger unserer Stadt leistet."

Gleichzeitig nehmen die Mitarbeiter den Vereinsvorsitzenden Steffen Globig in Schutz. „Es gibt auch viel Positives, was Steffen Globig bisher erreicht hat." Neue Sponsoren, die Senkung der Energiekosten oder die Neugestaltung der Räume werden als Beispiele genannt. „Fehler sind passiert, aber man muss auch verzeihen können", heißt es weiter. „Wir sind gegen eine Übernahme durch die Awo Schönebeck und stehen geschlossen hinter Steffen Globig!"

Die Mitarbeiter haben Angst um ihre Arbeit und vor allem die Befüchtung, dass die Küche geschlossen wird, wenn es einen Trägerwechsel zur Awo gibt. Daher initiierten sie zudem eine Unterschriftensammlung, die Stand Mitte vergangener Woche von 49 Staßfurter Bürgern unterschrieben wurde. „Es geht um soziale Kontakte. Meist sind es alleinstehende Männer, die herkommen. Die würden zu Hause nicht kochen", sagt Mitarbeiterin Nicole Jamrath.

Dany Menza sagt: „Die Tafel lief all die Jahre gut. Ich verstehe nicht, warum das kaputtgemacht wird. Es wird über unsere Köpfe hinweg entschieden. Es geht um die Belange der Bürger." Gleichzeitig wünschen sich die Mitarbeiter, dass die Awo als möglicher neuer Tafelbetreiber das Gespräch mit ihnen sucht.

Steffen Globig versichert dabei, dass er mit dem offenen Brief und der Unterschriftensammlung nichts zu tun hat. „Das haben die Mitarbeiter von sich aus gestartet", sagt er.

Dass es bei einer möglichen Übernahme durch die Awo keine Küche mehr gibt, ist aber gar nicht sicher. Ines Grimm-Hübner, Geschäftsführerin bei der Awo Salzland, sagt dazu: „Wir haben Tafeln, die Essensausgaben anbieten.Natürlich könnte man darüber reden." Eine generelle Absage einer Staßfurter Tafel unter einer möglichen Betreibung der Awo Salzland ohne Ausgabe eines warmen Mittagessens gibt es nicht. Zudem besteht die Möglichkeit, alle Mitarbeiter zu übernehmen. Das sagt auch die Stadt Staßfurt. „Jeder wird gebraucht", sagt Oberbürgermeister Sven Wagner (SPD).