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Walter Dach schrieb einst eine Geschichte über den Uhrmacher Paul Grube aus Egeln Schriftsteller erinnert an den "Tiedmaker"

Von Nadja Bergling 12.05.2012, 03:20

Walter Dach aus Egeln schrieb Romane und Geschichten. Kopien seiner Bücher wurden dem Egelner Museum übergeben. Darunter auch eine Episode über den Uhrmacher Paul Grube, den "August Tiedmaker".

Egeln l Walter Dach wurde am 27. September 1900 in Egeln geboren. Seine Familie wohnte in der Wortstraße. Er war Schriftsteller. Sein bekanntestes Werk "Der Pferdejunge von Sohle 3" wurde in mehrere Sprachen übersetzt und erzählt über seine Kinder- und Lehrzeit in den Schächten um Egeln. Auch der "Roman einer Jugend" spielt in Egeln. Die Namen sind leicht verfremdet, aber wer sich in Egeln auskennt, weiß genau, worum es sich handelt. "Seine Tochter Monika Dach hat die Bücher, die nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden sind, teilweise abgeschrieben und dem Egelner Museum übergeben", erklärt Museumsleiter Uwe Lachmuth. Eine weitere Geschichte schrieb Walter Dach über den Uhrmacher "Tiedmaker", den viele natürlich unter seinem bürgerlichen Namen Paul Grube kennen.

Im Rahmen der Serie "Egelner Heimatgeschichte" veröffentlich die Volksstimme heute genau diese Geschichte:

Tiedmaker ist sein Name, August Tiedmaker. In Goldbuchstaben steht es, seit ich denken kann, über seiner Ladentür, hübsch verschnörkelt auf schwarzem Glasschild. Links und rechts davon ist je eine Uhr aufgemalt: ein Regulator, wie ihn heutzutage kein Hochzeiter mehr kauft, und eine Kuckucksuhr mit Gewichten, wie sie auch recht selten in unseren Stuben geworden sind.

Weil man in unserem Städtchen "Tit" statt "Zeit" und "Maker" statt " Macher" spricht, darum hat unser Uhrmacher einen Namen, wie er ihn besser nicht haben kann. August Tiedmaker auf hochdeutsch. Ja, das ist noch ein Name! Gewiss einer aus der Zeit, da die Baumüller, Waldmanns, Schöppendahls und Langhans entstanden sind und die Uhrmacher "Nürnberger Eier" bauten.

August Tiedmaker und seine Uhren haben mich begleitet von Jugend auf. Zu den ersten Dingen, die das Kleinkind in der zu entdeckenden Umwelt wahrnimmt, gehörten des Meisters "Ticktack" über dem Sofa und in Vaters Westentasche. Hei, das war Spielzeug! Leider bekam man es nicht selbstherrlich genug. Ich schrie, schrie fürchterlich. Schließlich gab es einige Klapse.

August Tiedmaker also ist schuldig an meinen Hieben, auch an den Hieben meiner Altersgenossen. Doch der aufkeimenden Freundschaft tat das nichts. Sein schmales Schaufenster zog uns immer wieder an; es lagen und hingen Uhren über Uhren darin. Eine war dabei, eine sogenannte Weltuhr. Farbige Lämpchen glühten rings am Zifferblatt, Namen ferner Städte standen darunter. Die größeren Jungen sagten, man könne von der Uhr ablesen, dass in Amerika Nacht ist, wenn bei uns Tag ist.

Hinter dieser ehrfurchtsgebietenden Weltuhr, saß darin im Laden August Tiedmaker an seinem Werktisch. Ein Gewirr von Werkzeugen und Uhrteilen deckte den Tisch, man sah es gut von draußen. Und darüber gebeugt, fingerte der Meister, fügte Schräubchen zu Rädchen, ölte und polierte.

Der lauteste Junge wurde still vor diesem Fenster. Wir standen oft zu fünft, ja zehn davor. Nie hat uns August Tiedmaker verjagt, er sah uns anscheinend gar nicht und gerade dieses schweigsame Insichversunkensein zwang uns zu scheuer Betrachtung.

Uhren vom Tiedmaker waren ein Stück Heimat

Einmal aber, ich stand allein vorm Fenster, sah Tiedmaker unvermutet mich an. Zu gleicher Zeit ließ er die Lupe aus seiner Augenhöhle in die Hand fallen - die Lupe, die für mich keine Lupe war. "Mudder! Mudder!", rannte ich nach Hause. "Der Tiedmaker hat sin Ooge verlorn!"

Lange Zeit haben wir Kinder geglaubt, dass der alte Tiedmaker wirklich die Stunde "macht". Gelegentlich in seinem Laden stehen, war Erlebnis. Tiedmaker hielt darauf, dass alle Uhren gingen. So waren denn alle vier Wände lebendig; tickten, tackten, weich und hart, schnell und bedächtig. Kein Astronom, der den Zeiten der Gestirne nachgrübelt, kann tiefere Andacht haben, als wir Kinder vor Tiedmaker Uhren. War aber eine volle Stunde gekommen, etwa die Zwölfte, dann brach das Geheimnis der Zeit mit tönender Wucht zehn Minuten lang in die Ladenstube. Alle Uhren gaben her, was sie hatten; eine läutete, eine gongte. Eine klingelte... Das Ganze war eine gewaltige Uhren-Symphonie.

Als ich Glockenjunge an der Marienkirche war, hatte ich auch die Turmuhr zu betreuen, deren Triebwerk im Jahrhunderte altem Chorgewölbe stand. Es war meine Aufgabe, die schweren Uhrgewichte aus der dunklen Tiefe des Schachtes heraufzuwinden und damit der Uhr neue Kraft zu geben, wie ein Herz in der Brust zu schlagen.

Die Turmuhr aber wollte oft nicht mehr so, wie sie sollte. Dann musste ich zu Meister Tiedmaker laufen. Zusammen stiegen wir im Turm zum Uhrgemach, ich vorneweg, der Alte mir nach. "O, je!", wenn eine Eule aufraschelte und "O, je!" wenn man durch eine Luke über Dächer und Feldflur sehen konnte. Ich war ihm auf dem Weg zur Uhr durchaus über, denn ich war hier heimisch.

Doch waren wir oben am Uhrwerk angekommen, dann wuchs der keuchende Tiedmaker in meinen Augen und wurde wieder so geheimnisvoll wichtig, wie er unten am Werktisch seines Ladens war. Mit dem Räder- und Hebelwerk der großen Uhr war er so vertraut. Ja, er kroch in das eiserne Rätsel hinein, schraubte, hämmerte und pfiff ein Lied, das froh um die Lampe tanzte, die ich ihm vor die Hände hielt.

Zwischendurch rief er auch wohl "O, je!", wenn gar zu viel reparaturbedürftig war, aber schaffte es zuguterletzt doch immer und die Knechte vom Gut, die Schulkinder und die Fabrikarbeiter konnten wieder die richtige Zeit ablesen.

Alle, die wir vom Heimatstädtchen hinaus in die Fremde zogen, nahmen Uhren mit von August Tiedmaker. Es war ein Stück Heimat, das mit uns ging. Kam mal einer nach Hause, dann legte er gern seine Uhr auf des Meisters Werktisch, wenn sie zu ölen war und hielt dabei einen fröhlichen Schwatz über drinnen und draußen.

Und nun soll August Tiedmaker gestorben sein? " O, je!". Da ist die Heimat ein Stückchen ärmer geworden. August Tiedmaker aber gewiss nicht! Er ist nur ganz in jenem Geist, der Herr ist über Zeit und Ewigkeit.