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Schulsozialarbeit Lesepaten: Selten und heiß begehrt

Das Projekt "Lesepaten" soll 2018 im Landkreis Stendal mit einem neuen Konzept wiederbelebt werden.

Von Matthias C. Kuhn 27.12.2017, 15:27

Stendal l Lesen ist eine Grundkompetenz, die jeder Mensch beherrschen sollte. Dabei geht es nicht mehr nur um das Verstehen der Buchstaben, Worte und Sätze – es geht um das Identifizieren von Informationen und deren Zusammenhang sowie das Übernehmen dieser auf andere Bereiche des Lebens. Diese komplexe Fähigkeit wird Lesekompetenz genannt und beispielsweise in der PISA-Studie gemessen. Und eigentlich sollte diese Kompetenz jedes Kind nach Verlassen der Schule mehr oder weniger besitzen.

Die aktuelle Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU-Studie) von Anfang Dezember belegt aber, dass immer noch jedes fünfte Kind nach der Grundschulzeit erhebliche Leseschwächen aufweist. Somit erscheint es logisch, dass Kindern mit Leseschwächen Hilfe angeboten werden sollte. Im Landkreis Stendal wollen ehrenamtliche „Lesepaten“ an den Unterrichtsstätten Kindern und Jugendlichen auf freiwilliger Basis das Lesen näherbringen. Doch bislang sind die Bemühungen gescheitert.

„Das Projekt ist gestorben“, bringt es Schulsozialarbeiterin Diana Kunze, Juri-Gagarin-Grundschule Stendal, auf den Punkt. Was vor gut acht Jahren von Engagierten auf Landkreisebene ersonnen wurde, existiert nicht mehr. Schon von Anfang an sei das Projekt „schlecht angelaufen“, erinnert sich auch Doreen Geisler, die vor etwa zwei Jahren als Koordinatorin für den DRK-Kreisverband „Östliche Altmark“ Lesepaten an Schulen vermittelt habe. Sie meint, dass es nur an vier Grundschulen Stendals Lesepaten gegeben habe. Den aktuellen Projektstand müsste die regionale Netzwerkstelle für die Schulsozialarbeit im Landkreis Stendal wissen, vermutet sie.

„Das Projekt ist eingeschlafen“, gibt Janine Heinrich, Koordinatorin der Netzwerkstelle, auf Nachfrage zu und fügt an: „Was sehr schade ist.“ Denn der Grundgedanke des Projektes sei weiterhin aktuell: Lesedefizite von Kindern und Jugendlichen abzubauen. Die Kindheitswissenschaftlerin weiß zu genau um die Probleme, die sich daraus ergeben können. Und dem wollte das Projekt „Lesepaten“ entgegenwirken. Konzipiert war es auf der Basis von Ehrenamtlichen, die an den Schulen des Landkreises mit Kindern und Jugendlichen auf freiwilliger Basis lesen.

Warum es gescheitert ist, kann Heinrich nur vermuten. Zu geringe Bereitschaft der Schulen, zu wenige Ehrenamtliche oder Probleme bei der Koordination von Lesepaten und Schulen.

Auch Geisler erzählt, dass es vermutlich am Problem zwischen Verfügbarkeit von Lesepaten und Zeiträumen der Schulen gescheitert sei. Da wird Kunze konkreter. Die Schulsozialarbeiterin verweist auf organisatorische Probleme an Schulen durch Fahrkinder oder feste Zeiträume. Dazu komme, dass die Lesepaten einmal pro Woche für mindestens ein Schuljahr zur Verfügung stehen müssten. Doch ein solches ehrenamtliches Engagement sei immer rückläufiger, bilanziert sie ihre Erfahrungen. Unter dem Strich gäbe es Initiativen Einzelner.

Im Kern habe die Idee der Lesepaten in der Sprachförderung von Migranten überlebt. So gibt es an der Grundschule „Juri Gagarin“ Freiwillige, die Kindern mit Migrationshintergrund durch (Vor)-Lesen die deutsche Sprache näherbringen. Dass es eine Vielzahl an Initiativen zu dieser Thematik im Landkreis gibt, bestätigt auch Bianca Weber, Bildungskoordinatorin für Neuzuwanderer beim Schulverwaltungs- und Kulturamt Landkreis Stendal. Sie kann mit vielen Ansprechpartnern aufwarten, die sich damit befassen.

Mit diesem Zustand will sich die Koordinatorin der Schulsozialarbeit nicht zufriedengeben: „Das alte Konzept der Lesepaten hat nicht funktioniert. Ein neues Konzept muss her.“ Sie will den Grundgedanken der Lesepaten wieder mit Leben erfüllen. Konkret gebe es zwar noch kein neues Konzept, doch könne sie sich vorstellen, dass ein solches im ersten Quartal 2018 erarbeitet sein könne. Die Lesepatenschaft sollte aus ihrer Sicht nicht nur auf Schulen beschränkt werden, sondern bereits in den Kindertagesstätten beginnen. Und auch der Ort des Geschehens sollte neben den schulischen Einrichtungen um Orte wie Freizeitclubs und -zentren ergänzt werden. Aber wesentlicher seien die Menschen, die sich als Lesepaten zur Verfügung stellen. „Lesepaten müssen Spaß am Vorlesen und Lesen haben“, nennt Heinrich eine Grundvoraussetzung. Dabei sei das Alter egal – vom Jugendlichen bis zum Senior seien Ehrenamtliche willkommen. Sie ruft alle Kitas, Schulen, Jugendeinrichtungen und Lesebegeisterte des Landkreises auf, aktiv am Neustart der „Lesepaten“ mitzuwirken.