Gedenktag Stendal gedenkt Opfern des Holocausts und protestiert gegen Rechtsextremismus
Mit einem Zeitzeuginnen-Gespräch und einer Demonstration setzt Stendal am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus ein Zeichen für Weltoffenheit und Toleranz.
Stendal - Während Henriette Kretz ihre Lebensgeschichte erzählt, herrscht absolute Stille im Musikforum Katharinenkirche in Stendal. Die 89-Jährige erlebte als Kind den Holocaust und ist am 27. Januar – dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus – in die Hansestadt gekommen, um als Zeitzeugin über ihren Lebensweg und ihre Zukunftsvisionen zu sprechen. Nach dem Zeitzeugengespräch demonstrieren hunderte Stendaler auf dem Sperlingsberg gegen Rechtsextremismus.
Bei dem Gespräch bringt Henriette Kretz die etwa 200 Gäste mit ihren Erzählungen zum Schmunzeln, zeitgleich fließt aber auch die eine oder andere Träne. Henriette Kretz wurde 1934 als polnische Jüdin geboren. Die Verfolgung ihrer Familie begann mit dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 wurde die Familie in ein Zwangsghetto eingewiesen. Henriette Kretz überlebte die deutsche Judenverfolgung in verschiedenen Verstecken.
Henriette Kretz überlebt in einem Waisenhaus bis Kriegsende
Sie schaffte es, allein und unentdeckt zu einem katholischen Waisenhaus zu gelangen, das sie durch die Arbeit ihres Vaters kannte und in dem sie, wie mehrere andere Waisen verfolgter Familien, bis Kriegsende unerkannt Unterschlupf fand. Angesprochen auf die derzeitige Situation im Land findet sie die passenden Worte: „Wir müssen mehr aus der Vergangenheit lernen und sollten uns unsere Freiheit nicht nehmenlassen. Wir dürfen nicht vergessen, wir sind alle Menschen.“ Zudem appelliert sie an die Jugend und blickt in dieser Hinsicht hoffnungsvoll in die Zukunft. „Ich glaube an die Jugend. Sie sind klug und lassen sich nicht verführen.“
Mit diesen Worten im Hinterkopf hatten nach dem Zeitzeuginnen-Gespräch im Musikforum viele der Gäste ihr nächstes Ziel schon klar vor Augen: den Sperlingsberg in Stendals Innenstadt. Der Verein „Herz statt Hetze“ hatte für 12 Uhr zu einem Protest gegen Rechtsruck und für Demokratie aufgerufen. So wie es in den vergangenen Tagen unter anderem in Hamburg und Berlin der Fall war.
450 Menschen demonstrieren in Stendal gegen Rechtsextremismus
Etwa 450 Menschen folgten dieser Einladungen und versammelten sich in Stendals Innenstadt, um ein Zeichen für Toleranz, Demokratie und Frieden zu setzen. Jacob Beuchel (SPD) vom Verein zeigte sich vom großen Zuspruch begeistert.
Die Rednerliste war lang. Neben Politikern wie Herbert Wollmann (SPD), Thomas Weise (CDU) und dem Oberbürgermeister Bastian Sieler (parteilos) kamen unter anderem Katrin Reimer-Gordinskaya von der Hochschule Magdeburg-Stendal und Adrian Prelle, Vorsitzender des Kreisschülerrates, auf der Kundgebung zu Wort. In ihren Reden kritisierten sie unter anderem das Geheimtreffen von AfD-Mitgliedern in Potsdam.
In den Städten Seehausen, Tangermünde und Tangerhütte wurden am Sonnabend ebenfalls Stimmen gegen Rechts laut und es wurde zu Protesten und Kundgebungen geladen.