Noch immer unter Schock Weihnachtsmarktbesucher aus Stendal von Amokfahrer erfasst: „Bloß weg hier!“
Die Mutter und ihr Lebensgefährte sind verletzt, Tochter und Freund wie durch ein Wunder unbeschadet. Wie eine Familie aus Stendal den Anschlag von Magdeburg überlebt hat.
Stendal. - Annemarie Wolff verschlägt es die Stimme. Die junge Frau berichtet gerade vom schrecklichsten Augenblick in ihrem 25-jährigen Leben. Ihre Mutter und deren Freund wurden vom Auto des Amokfahrers vom Magdeburger Weihnachtsmarkt erfasst und zu Boden geworfen.
„Wir standen am Mandelhaus an einer kleinen Gasse zwischen zwei Buden“, berichtet Annemarie Wolff. Es sollte ein schönes Familientreffen werden mit Bummel über den Magdeburger Weihnachtsmarkt und Abstecher zu den Lichterwelten.
Wie eine schwarze Wand: Auto des Täters rast auf Familie zu
Annemarie Wolff und ihr Freund aßen Schmalzgebäck, Mutter Sandra, ihr Lebensgefährte Maik sowie dessen Nichte und ihr Partner standen zusammen und scherzten über die vom Puderzucker weiß bestäubten Wintersachen.
Die junge Frau wollte zu einem Papierkorb gehen, als sie plötzlich schnell aufeinanderfolgende Aufprallgeräusche vernahm. „Bupp, bupp, bupp“ und „wie jemand aufs Gas drückte“, sagt sie. „Ich drehte mich um und sah eine schwarze Wand, die auf mich zukam. Links und rechts flogen die Leute beiseite. Mein Freund schrie: ‚Weg, weg, weg‘. Ich bin dann in diese Seitengasse“.
Anschlag auf Weihnachtsmarkt in Magdeburg: Was ist bekannt?
Anschlag von Magdeburg: Familie aus Stendal rettet sich in Seitengasse
Sie drehte sich um, sah das Auto an sich vorbeirasen und „die ganzen Leute, wie sie auf dem Boden lagen“. Ihr erster Gedanke war: „Mama, Mama, wo ist Mama?“ Dann sah sie die beiden vor sich auf dem Boden liegen.
Maik Treibe wurde vom schwarzen Auto des Amokfahrers zu Boden geworfen. Seine linke Wade und ein Knöchel weisen Schnittwunden auf, dazu Schmerzen in den Rippen. Ein Stück Zahn war abgebrochen. Zum Glück im Unglück war er von dem Auto aus der Schneise der Verwüstung fortgedrückt worden. „Ich fiel auf eine Frau, sie hatte die Augen offen. Ob sie noch lebte, weiß ich nicht.“
Auto rast in Menschenmenge: Überlebende unter Schock
Seine Partnerin, Annemaries Mutter Sandra, wurde wahrscheinlich von einem der anderen menschlichen Körper getroffen und zu Boden geworfen. „Ich stand völlig unter Schock“, berichtet die Verkäuferin.
„Meine Brille und meine Handtasche waren weggeflogen“, sagt sie. Erst allmählich wurde ihr klar, was geschehen war. „Mein Freund und ich haben ihr hochgeholfen und nur gesagt: ‚Guckt nicht hin, guckt nicht hin!' Er wollte nicht, dass sie die vielen Opfer sahen.“
Wie können Opfer den Abend des Anschlags von Magdeburg verarbeiten
Kurz nach der Wahnsinnstat gellten die Sirenen, kamen Polizei, Feuerwehr und Rettungsfahrzeuge, kreisten Hubschrauber über der Stadt. „Mein Freund ist bei der Feuerwehr, er wollte noch helfen“, sagt Annemarie Wolff. „Ich sagte nur: ‚Schatz, wir müssen hier weg. 'Maik konnte nur humpeln, wir mussten ihn stützen.“
Die Suche nach dem Auto schien ewig zu dauern. Schließlich erreichte die Gruppe den Wagen des Freundes von Annemarie und fuhr ins Krankenhaus nach Gardelegen. „Dort erkundigten sich Ärzte und Schwestern nach den Verletzungen und fuhren uns im Rollstuhl zum Röntgen“, erzählt Sandra Wolff. Nach 23 Uhr waren sie zu Hause und versuchten, das Geschehene zu begreifen, indem sie darüber redeten.
Anschlag von Magdeburg überlebt: Familie fordert Aufklärung
„Nach so einem Erlebnis sieht man die Welt mit anderen Augen“, sagt Annemarie Wolff. Dann versagt ihre Stimme.
Trauer und Gedenken am Sonntag
(Kamera: Thomas Schulz/Schnitt: Christian Kadlubietz)Es wird lange dauern, bis die Mitglieder der Familie den Schrecken verarbeitet haben wird. Sie wollen seelsorgerischen Beistand suchen. Fragen bleiben, ebenso Trauer und die Wut.
„Wir gehen zur Polizei und erstatten Anzeige“, sagt Maik Treibe. Die Wolffs wollen, dass der Schuldige bestraft und die für die Sicherheitslücken Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Zuerst aber wollen sie der Opfer gedenken. Vor dem Rathaus in Stendal stellen sie Kerzen auf und eine Engelsfigur. Denn dass sie ihr Leben einem Schutzengel verdanken, ist ihre feste Überzeugung.