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Polizeieinsatz Großeinsatz nach Chemieunfall im Harz

Auf einem Firmengelände in Ilsenburg (Harz) tritt Schwefelsäure aus. Dutzende Spezialisten sind im Einsatz.

Von Dennis Lotzmann 04.08.2019, 08:56

Ilsenburg l Zu der Havarie im Produktionsablauf war es mitten in den Nacht gekommen. Der Notruf aus der CST GmbH in der Bakenröder Straße ging gegen 1.20 Uhr in der Kreis-Leitstelle ein. Die dortigen Verantwortlichen zögerten nach dem Eingang der Informationen keine Sekunde und lösten Gefahrgut-Großalarm aus. Neben den ortsansässigen Feuerwehren, deren Kräfte gerade die Begleitung der Romantischen Nacht im Kloster Drübeck abgeschlossen hatten, wurden die Experten der ABC-Fachdienstgruppe im Katastrophenschutz aus den Betten geklingelt.

Vor Ort, so ABC-Fachdienstleiter Alexander Beck aus Blankenburg später, stellte sich die Situation tatsächlich problematisch dar. Aus bislang ungeklärten Gründen waren zwischen 2000 und 4000 Liter hochkonzentrierte Schwefelsäure ausgetreten und hatten den Boden einer Fertigungshalle großflächig geflutet. Die sich bildenden Gase wiederum gefährdeten die anwesenden Mitarbeiter.

Diese konnten sich dem Vernehmen nach selbstständig aus der Gefahrenzone retten und warteten auf die alarmierten Rettungskräfte, die wenig später eintrafen. Während die ABC-Trupps unter Vollschutz an die erste Lageerkundung gingen, wurden nach Becks Angaben insgesamt 27 Mitarbeiter ins Klinikum Wernigerode eingeliefert und dort von einem Notarzt untersucht.

Bis auf acht Betroffene, die laut Kreisverwaltung zu weitergehenden Untersuchungen in die Kliniken Quedlinburg und Goslar gebracht wurden, konnten alle übrigen sofort nach Hause. Auch die anderen acht CST-Beschäftigten konnten wenig später aufatmen – es gab auch für sie Entwarnung.

Vor Ort lief derweil der Großeinsatz an. Mehrere ABC-Experten erkundeten unter Vollschutz die Lage und begannen anschließend mit dem Entfernen der Säure. Dabei kamen spezielle Bindemittel zum Einsatz, so ABC-Chef Beck. Die Arbeiten gestalteten sich langwierig und dauerten bis in Vormittagsstunden an.

Weil anfangs die Gefährdung im näheren Umfeld nicht präzise abschätzbar war, wurden rund 150 Beschäftigte aus angrenzenden Firmen – insbesondere bei Thyssen-Krupp – evakuiert. Da es im Industriegebiet keine Wohnbebauung gibt und die Gaswolke nicht in Richtung Stadt zog, mussten Anwohner nicht evakuiert werden. Bewohner aus Ilsenburg wurden lediglich gebeten, aufgrund der abziehenden und sich verteilenden Gaswolke die Fenster geschlossen zu halten. Dafür wurden unter anderem einschlägige Warn-Apps wie „Nina“ genutzt.

Insgesamt 22 Kameraden der ABC-Trupps waren stundenlang in Chemikalienschutzanzügen im Einsatz. Hinzu kamen nach Becks Worten weitere 14 Kameraden, die – mit Gebläseanzügen ausgestattet – die Dekontamination der im Hallenbereich eingesetzten Kameraden übernahmen.

Begleitet wurden die Reinigungsarbeiten mit der chemischen Analyse zahlreicher Proben, um die Gefährlichkeit der Substanz genau abschätzen zu können.

Die Kreisverwaltung rief nach Bekanntwerden des Chemieunglücks den Stab für außergewöhnliche Ereignisse zusammen, um die Rettungsarbeiten zentral zu koordinieren. Da anfangs auch von einem Massenanfall von Verletzten ausgegangen worden war, rückten auch zahlreiche Rettungskräfte sowie Notärzte in Richtung Ilsenburg aus.

Damit Feuerwehren und Rettungskräfte ungehindert zur Einsatzstelle gelangten, sperrte die Polizei auf der Autobahn 36 die Abfahrt Ilsenburg sowie die Verbindung zwischen Veckenstedt und Ilsenburg bis etwa 6 Uhr, so ein Sprecher aus dem Harzer Revier.

Letztlich waren mehr als 200 Einsatzkräfte vor Ort. Neben den Feuerwehren aus Ilsenburg, Drübeck und Darlingerode waren auch ABC-Experten der Wehren aus Blankenburg, Cattenstedt, Ditfurt, Ballenstedt, Hasselfelde, Halberstadt, Wernigerode, Silstedt, Thale, Benneckenstein, Wienrode sowie Tanne/Sorge, Rohrsheim, Schmatzfeld, Benzingerode und Abbenrode vor Ort. Hinzu kamen Kreisbrandmeister Kai-Uwe Lohse, der Leitende Notarzt sowie der organisatorische Leiter Rettungsdienst.

Zudem hatten die Harzer Unterstützung aus dem Nachbarkreis Goslar angefordert. Von dort kamen die Wehren aus Bad Harzburg und Goslar sowie der dortige Kreisbrandmeister. Letztlich kamen sie jedoch nicht mehr zum Einsatz.

Die Ursache der folgenschweren Havarie ist bislang unklar. Nach Polizeiangaben waren Vertreter der Gewerbeaufsicht vor Ort. Sie waren am Sonntag für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Nach Informationen der Volksstimme soll die konzentrierte Säure firmenintern aus einem Überlaufbecken ausgetreten sein. Dieses soll schlicht übergelaufen sein, hieß es. Die Ursachen dafür sind bislang unklar. Die sich daraufhin gebildete Gaswolke zog sofort ins Freie, weil die Belegschaft aufgrund der Hitze die Hallentore geöffnet hatte. Glück im Unglück, dass die Wolke danach nicht in Richtung Stadtgebiet zog.

Verantwortliche der Firma CST GmbH eilten nach Bekanntwerden der Havarie zwar vor Ort, waren jedoch für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Das Unternehmen war 2009 gegründet worden, gehört inzwischen zur chinesischen Minth-Gruppe, deren Deutschland-Zentrale sich in  München befindet. Das Unternehmen hat sich auf die chemisch-elektrolytische Veredelung von metallischen Bauteilen spezialisiert und beliefert insbesondere Automobilkonzerne mit verchromten Bauteilen.

Nach dem Abschluss der havariebedingten Arbeiten am Sonntagmittag gab es am Nachmittag erneut einen Alarm für Feuerwehr, ABC-Trupp sowie Polizei und Umweltamt. Anlass war massives Fischsterben im nahen Ellerbach. Vor Ort war aber schnell klar, dass es keine Parallelen zum Chemieunfall gibt, weil das Fischsterben bachaufwärts registriert wurde. „Wir gehen hier von Wasser- und insbesondere Sauerstoffmangel aus“, so Kreisbrandmeister Kai-Uwe Lohse. Verantwortliche der Stadt Ilsenburg wollen dem Ellerbach zusätzlich Wasser und Sauerstoff

Ebenso wie ABC-Truppführer Beck dankte Lohse den Einsatzkräften. „Die Havarie hat einmal mehr gezeigt, dass wir hier eine hochmotivierte und einsatzbereite Truppe am Start haben.“ Alles sei perfekt und geordnet über die Bühne gegangen – bis hin zur logistischen Versorgung: Nudeln mit Tomatensoße am Sonntagmorgen. „Letztendlich funktioniert unser ABC-Paket. Wir müssen aber noch nachordern – bei Messtechnik und Chemikalienschutzanzügen. Denn nur Modernität schafft Motivation.“