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Corona-Pandemie Restaurant-Öffnungen: Wenn die Bundes-Notbremse kommt, steht das Modellprojekt im Harz vor dem Aus

Die Freude bei den Gastronomen in Wernigerode und dem Harzkreis war groß, als sie ihre Außenterrassen wieder öffnen durften. Die anstehende Entscheidung über das Infektionsschutzgesetz in Berlin bremst die Euphorie nun wieder aus.

Von Ivonne Sielaff Aktualisiert: 13:31
Noch dürfen Gäste in Wernigerode die Außenterassen nutzen. Doch nun droht das Modellprojekt zu kippen.
Noch dürfen Gäste in Wernigerode die Außenterassen nutzen. Doch nun droht das Modellprojekt zu kippen. Foto: Ivonne Sielaff

Wernigerode. „Wir machen solange auf, wie wir dürfen“, steht für Thomas Fessel fest. Wie etliche andere Gastronomen in Wernigerode verfolgt er die aktuellen Entwicklungen in Berlin. Für den Inhaber von Tommi’s Pub ist klar: Sollte das neue Infektionsschutzgesetz und damit die Bundes-Notbremse spruchreif sein, bedeutet das das Aus für das Modellprojekt im Harzkreis.

Cafés, Restaurants und Kneipen müssten ihre Außenterrassen wieder schließen, weil die Sieben-Tage-Inzidenz im Harzkreis mit aktuell 168 deutlich über der vom Bund festgesetzten Grenze von 100 liegt. „Wir warten mal ab“, sagt Fessel mit Blick auf die anstehende Entscheidung im Bundestag. „Was sollen wir auch machen? Es hilft nichts.“

Dabei sei das Pilotprojekt, das das Land für neun Städte des Harzkreises genehmigt hat, für ihn gut angelaufen. „Die Leute haben es angenommen.“ Seit dem Start am Freitag hat Fessels Pub geöffnet. „Freitag und Sonntag lief es gut. Das Wetter muss eben mitspielen“, sagt der Wernigeröder. „Das Schöne ist: Man sieht endlich wieder glückliche Menschen.“ Probleme habe lediglich das Einscannen der ausgedruckten QR-Codes bereitet. Der Großteil der Gäste nutze für die erforderliche Corona-Testung in den Testzentren die App PassGo. Testwillige ohne Handy beziehungsweise App erhalten bei negativem Testergebnis einen ausgedruckten QR-Code. „Das Scannen hat nicht immer funktioniert“, so Fessel. „Wir haben den Code dann einfach abfotografiert.“

Freude über ein bisschen Normalität

Erfahrungen, die auch Michael Wiecker im Café am Markt gemacht hat. „Aber mit dem QR-Code in der Hand, haben die Gäste ja den Beweis erbracht, dass sie negativ getestet sind“, sagt der Gastronom. Das Projekt sei für ihn „grundsätzlich erfolgreich“ gestartet – vom durchwachsenen Wetter mal abgesehen. „Die Stadt war am Wochenende gut belebt“, so seine Beobachtung. „Dennoch verlief alles geordnet.“ Ihm sei es eine Freude, den Leuten ein bisschen Normalität zurückgeben zu können.

Dabei setzt Wiecker nicht nur auf PassGo, sondern zusätzlich auf die App iGuest zur Aufnahme von Kontaktdaten und Verweildauer. „Wir haben den QR-Code auf die Tische geklebt. Die Gäste scannen ihn ein und haben automatisch eingecheckt.“ Wenn das Gesundheitsamt diese Daten zur Kontaktverfolgung benötige, gehen diese verschlüsselt raus. Sogar die Speisekarte könne mit Hilfe eines weiteren QR-Codes gelesen werden. „Es muss also niemand etwas anfassen.“

Die sich anbahnende Bundes-Notbremse sieht Wiecker kritisch – ebenso wie den Grenz-Inzidenzwert 100. „Ich halte es für falsch, Lockerungen und Notbremse an nur einer Zahl festzumachen.“ Modellprojekte wie jetzt im Harzkreis seien eine gute Möglichkeit, um nach Wegen aus dem Lockdown zu suchen. „Es geht ja nicht nur um die reine Öffnung der Außengastronomie, sondern darum zu testen, wie sich die Öffnungen auf die Infektionszahlen auswirken, was möglich ist und was nicht.“

Sicherheit ist oberstes Gebot

Ein Aspekt, den auch Alexandra Voigt vom Hotel/Restaurant Blocksberg in Silstedt hervorhebt. Von einer vom Bund übergestülpten Notbremse hält sie wenig. „Die Bundesregierung sollte den Länderchefs ein bisschen mehr Vertrauen schenken“, sagt Voigt. „Sie können besser einschätzen, was für ihr Land das Richtige ist.“ Sachsen-Anhalts Landeschef Reiner Haseloff (CDU) setze eben auf Modellprojekte.

Eine Chance, die sie ergriffen hat. „Wir freuen uns, dass wir wieder ein bisschen Spaß haben dürfen.“ Auch wenn die Resonanz im Blocksberg bisher eher verhalten ist. „Wir haben hier auf dem Dorf keine Teststation. Die Leute müssen erst nach Wernigerode fahren.“ So seien bisher nur vereinzelt Gäste dagewesen. „Wir haben uns trotzdem dafür entschieden, mitzumachen. Wir liefern ohnehin außer Haus, sind also da.“ Einfacher wäre es ihrer Meinung nach, wenn die Gäste ohne Testung im Außenbereich sitzen dürften. „Es ist doch erwiesen, dass das Risiko einer Ansteckung draußen sehr gering ist.“ Begrüßen würde sie, wenn Gastronomen ihre Innenräume für Negativ Getestete öffnen könnten. „Unsere Tische stehen weit auseinander, wir haben Desinfektionsmittel, und wir testen unser Mitarbeiter bereits seit November.“ Eine Öffnung der Innenräume sieht das Modellprojekt aber nicht vor.

Das erste Fazit der Verantwortlichen im Wernigeröder Rathaus fällt ebenfalls positiv aus. „Für unsere Gastronomen ist es eine tolle Sache“, sagt Rathaussprecherin Kristin Dormann. Inzwischen seien es 18 Gastrobetriebe, die sich beteiligen. Allein zwischen Freitag und Sonntag hätten sich etwa 900 Interessierte an den Teststationen testen lassen. „Die Nachfrage ist also da.“ Wichtig ist Dormann, einmal mehr auf die auf 24 Stunden begrenzte Gültigkeit des negativen Testergebnisses hinzuweisen. Eine ärztliche Bescheinigung oder ein Impfpass würden nicht ausreichen, um bewirtet zu werden. „Es funktioniert nur über die App.“ Wer kein Smartphone besitze, müsse im Testzentrum 15 Minuten Zeit einplanen, bis das Ergebnis mit dem QR-Code ausgehändigt werde. Die Quittung allein werde von den Gastronomen nicht akzeptiert. „Die Einhaltung der Regeln ist wichtig. Sicherheit ist oberstes Gebot.“

Land steht hinter Modellprojekt im Harzkreis

Wie bei den Gastronomen sind die aktuellen Entwicklungen in Berlin auch im Rathaus ein Thema. „Sollte die Notbremse und damit das Aus für das Projekt kommen, dann haben wir es wenigstens versucht“, sagt Kristin Dormann. „Es gibt eben auch diese Krankheit und ihre Folgen. Man muss beide Seiten der Medaille berücksichtigen.“

Landrat Thomas Balcerowski (CDU) jedenfalls wird das Modellprojekt nicht vorzeitig stoppen. Die Bundesregierung habe die Bundes-Notbremse zwar beschlossen, sie müsse aber noch Bundestag und womöglich auch den Bundesrat passieren. „Solange das neue Infektionsschutzgesetz nicht rechtskräftig ist, machen wir weiter“, so Balcerowski auf Nachfrage.

Die Landesregierung zumindest rollt dem Modellprojekt im Harzkreis vorerst keine Steine in den Weg. Am Dienstag verständigte sie sich - trotz Kritik aus den Reihen der Grünen - darauf, angelaufene Projekte weiterzuführen. Neue Projekte werden allerdings nicht mehr genehmigt.

Hoffnung auf Modellprojekt-Klausel

Eine Entscheidung, die Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) mit vorangetrieben hat. „Ich bin weiterhin ein Verfechter der Modellprojekte“, sagt Willingmann zur Volksstimme. Die Erfahrungen des Startwochenendes im Harzkreis hätten ihn sogar bestärkt. „Durch die Testungen haben wir Menschen herausgefischt, die positiv waren, ohne es zu wissen, konnten sie rechtzeitig isolieren und andere schützen.“ Jedoch würde ein Beschluss des Bundes den des Landes aushebeln. Ein Stopp des Projektes wäre allerdings ein „unglückliches Signal“ für die Wirtschaft, die Perspektiven brauche, so der Minister. „Wir müssen mit dem Virus leben.“ Durch die Tests, die Kontaktverfolgung und die Beschränkung auf die Außengastronomie sei das Infektionsrisiko eingegrenzt. „Ein Stopp wäre bedauerlich.“ Er hofft deshalb auf eine „Modellprojekt-Klausel“, die möglicherweise noch Eingang ins Infektionsschutzgesetz finde.

Auch Landrat Balcerowski wäre von einem Projekt-Aus enttäuscht. „Aber es wäre nur aufgeschoben und nicht aufgehoben.“ Sobald der Kreis unter die Inzidenz 100 rutscht, könne das Projekt erneut angeschoben werden. „Die Logistik war nicht umsonst. Wir legen nur eine Pause ein.“