"Neue Fassaden – alte Geschichten" (Teil 28) / Marktstraße 27 und 29 Tagelöhnerstuben warten auf Erlösung aus Dornröschenschlaf
In der Serie "Neue Fassaden - alte Geschichten" stellt die Harzer Volksstimme historisch interessante Häuser in Wernigerode vor. Mit diesem Thema haben sich auch Heimatforscher wie Dr. Uwe Lagatz und Mitarbeiter der Oskar Kämmer Schule, unterstützt von der KoBa, befasst. Ihre Erforschung fließt in die Beschreibungen mit ein. Der Rundgang führt heute zur Marktstraße 27 und 29.
Wernigerode. Die Straße vom Markt bis zum früheren Dullenturm hieß um 1415 Ridderstrate. Seit Ende des 17. Jahrhunderts wurde sie komplett Kanzleistraße genannt, seit Wernigerodes westfälischer Zeit Marktstraße. Der nördliche Teil dieser Straße heißt seit 1618 "Am Markt".
Zu den wenigen unsanierten Häusern der Marktstraße gehören die seit mehreren Jahren unbewohnten Gebäude mit den Hausnummern 27 und 29, die es eigentlich verdient hätten, aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküsst zu werden. Möglicherweise schreckt aber die geringe Größe der Häuser interessierte Investoren ab. Da sich die Gebäude genau an einer Biege der Marktstraße befinden, vermuten Heimatforscher, dass sie in eine Lücke hineingebaut wurden. Das Haus Nummer 27 verläuft nach hinten keilförmig zu, wie an der Dachfläche erkennbar ist. Beide Häuser waren nach Einschätzung von Wernigerodes Baudezernent Burkhard Rudo früher einmal ein Gebäude.
Sie stammen aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. An den Schwellen von Nr. 27 fallen dem Betrachter als Schmuck-elemente Taustäbe und in Rollen auslaufende Balkenköpfe sowie Andreaskreuze in den Gefachen auf. In drei Achsen strebt dieses Haus nach oben. Die untere Schwelle trägt die Jahreszahl 1656.
Niedriges Erdgeschoss
Es scheint, als ob das benachbarte Haus Nr. 29 ebenso alt ist. Urkundlich nachweisbar aber ist, dass es um 1800 umgebaut wurde. Über die gesamte Frontbreite befinden sich dort nur zwei Fenster pro Geschoss. Beim Untergeschoss sind noch drei Achsen des Fachwerks zu erkennen, das bei den oberen Geschossen auf zwei Achsen verringert wurde. Die Pfosten stehen doppelt und damit nicht mehr über den alten Balkenköpfen. Auch die Schwellen wurden wohl beim Umbau neu eingezogen. Denn im Gegensatz zu den Füllhölzern fehlen hier die Taustäbe.
Die Erdgeschosse der Häuser sind sehr niedrig. Die Höhen der Hauseingangstüren liegen unter 1,80 Meter. Beide Gebäude wurden während der gesamten Zeit ihres Bestehens von Arbeitern, Handwerkern und Tagelöhnern bewohnt. Der erste Bewohner, der namentlich nachweisbar ist, heißt Hans Soest, der dort 1677 gewohnt hat. Zwei weitere Generationen dieser Familie folgen, bevor 1763 ein Johann Heinrich Wegener das Haus bewohnt, ab 1796 dann der Musikus Friederich Wilhelm Wegener. Es folgen unter anderem ein Fuhrknecht und danach von 1843 bis 1873 drei Schuhmacherfamilien. Ab 1904 wird der Gärtner August Fischer als Hausbewohner genannt.
"Die Haussanierung täte gut", meint Baudezernent Burkhard Rudo. Er sei deshalb mit der in Blankenburg lebenden Eigentümerin, einer jungen Frau, in Kontakt. Dabei gehe es vor allem darum, mögliche Hilfen aufzuzeigen. Hausnachbar Erich Kopetzky sieht ebenso Handlungsbedarf. Er verweist auf die vielen Touristen, die dort kopfschüttelnd stehen bleiben würden. Der Zustand des Gebäudes sei "katastrophal", so seine Überzeugung.