Harz-Gebirgslauf Trotz Mukoviszidose zum Brockenmarathon
Ingo Sparenberg leidet an einer schweren Erbkrankheit. Gerade deswegen tritt er als einer von 3400 den Brockenmarathon bei Wernigerode an.
Wernigerode l 7000 Kalorien hat Ingo Sparenberg während des Ultramarathons zu sich genommen. Das entspricht 78 Bananen. Der Husten während des 60-Kilometer-Laufs raubte seinem Körper Kraft. Kraft, die er kompensieren musste. Ingo Sparenberg hat Mukoviszidose. Eine Erbkrankheit, bei der die Organe zähflüssigen Schleim produzieren und mal früher, mal später nicht mehr richtig funktionieren. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Erkrankten liegt bei 40 Jahren. Ingo Sparenberg ist 41 Jahre alt.
„Ich glaube, ohne das Laufen würde es mich schon nicht mehr geben“, sagt Sparenberg. Am Sonnabend, 13. Oktober, tritt er beim 41. Harz-Gebirgslauf an. Sein Ziel: Die gut 42 Kilometer überstehen. Er nimmt zum ersten Mal am Brockenmarathon teil. Überhaupt lautet sein Credo: „Ich mache alles nur ein Mal.“ Er weiß schließlich nie, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Ein Mal ist er einen Marathon gelaufen, ein Mal einen Triathlon, ein Mal einen Ultramarathon, und ein Mal will er über den Brocken laufen. Der Unterschied zu anderen Marathons sind das Hochgebirgsklima und die Steigung von 1000 Höhenmetern. Laut Veranstalter ist er einer der schwierigsten Ausdauerläufe Deutschlands, den nur sehr gut trainierte Läufer antreten sollten.
Ingo Sparenberg weiß, dass es nur wenige Mukoviszidose-Patienten schaffen, einen Marathon zu laufen. Noch weniger schaffen einen Ultramarathon. Er nimmt 50 Tabletten am Tag. Hinzu kommen Antibiotika- und Cortison-Sprays und Inhalationen. Er muss oft husten, um den zähen Schleim, den seine Lunge produziert, loszuwerden. Das Atmen fällt ihm schwerer als gesunden Menschen. Er hat nur noch eine Lungenfunktion von etwa 65 Prozent. Gesund sind 120. „Halten Sie sich ein Blatt Papier vor den Mund und stechen vorher mit einem Stift ein kleines Loch. So fühlt sich Luft holen für mich an.“
Heute um 9 Uhr steht Ingo Sparenberg an der Himmelpforte in Hasserode und wartet auf das Startsignal für den Marathon. Er bekommt 50 Prozent weniger Luft als die Läufer neben, hinter, vor ihm. Beim Joggen muss er jeden Luftzug planen. Er darf nicht zu viel husten. Andernfalls macht sein Körper schlapp, er bricht zusammen.
Warum tut er sich an? „Es hält mich am Leben“. Ingo Sparenberg fühlt, dass das Laufen seinem Körper und seiner Seele gut tut. Er glaubt daran, dass der Sport der Schlüssel ist, den Krankheitsverlauf so lange wie möglich aufzuhalten. Auch der Schlüssel dazu, die schweren Operationen zu überstehen, zu überleben. Sein Ziel: So lange wie möglich will er selbstständig sein, ohne fremde Hilfe leben können.
Die letzte OP hatte er 2016, dazu Lungenentzündungen. 2013 erlitt er einen Darmverschluss und musste operiert werden. Während seines Südostasien-Urlaubs. Ausgerechnet. Mit der Reise wollte er sich und seine Frau für den Triathlon belohnen, den er zuvor bewältigt hatte. Ein bisschen zur Ruhe kommen. In Vietnam aber stand sein Leben auf der Kippe. Sein Darm neigt zu massiven Verwachsungen. Ein Darmverschluss kann dann schnell tödlich enden. Er schiebt es auf seine Fitness, dass er überlebt hat. Erinnerungen an die Reise hat er keine mehr. Die Krankheit hat sie ausradiert. Drei Jahre später bereiste er noch einmal das südostasiatische Land, schaute sich das Krankenhaus an, in dem er behandelt wurde und die Wohnung, in der seine Frau zur der Zeit lebte. „Ich habe meinen Frieden mit dem Vergessen geschlossen“, sagt er.
Nach den Operationen hat er sich immer wieder zurück auf den Asphalt gekämpft. Ist erst spaziert und schließlich wieder gejoggt. Am stolzesten ist er auf seinen Comeback-Lauf ein Jahr nach der Notoperation in Vietnam. Er lief einen Halbmarathon in Magdeburg. Ebenso freut er sich, den Ultramarathon ein Jahr später gemeistert zu haben.
Ingo Sparenberg lebt seit 19 Jahren in Bayern. Der gebürtige Magdeburger hat die Elbstadt der Liebe wegen verlassen. Bei der Reha hat er sie kennengelernt. Seine Frau Regina leidet ebenfalls an Mukoviszidose. Ihre Lunge funktioniert nur noch zu 30 Prozent. Sie kann keine Koffer mehr tragen, keinen Kirchturm mehr erklimmen, nicht dem Bus hinterher rennen. Sie leben mit der Frage: Wer von ihnen wird ohne den anderen sein?
„Das deprimiert uns nicht jeden Tag“, sagt Ingo Sparenberg. Und ergänzt: „Zu 95 Prozent sind wir lebensfroh und haben Hummeln im Hintern.“ Die fehlende fünf Prozent sind die Momente, in denen er darüber nachdenkt, auf wie vielen Beerdigungen von Freunden er schon war. Dann kommt ihm der Gedanke, dass er nicht der Allerletzte sein möchte, der geht.
Schon immer ist die Krankheit und damit der Tod Teil seines Lebens. Bei der Geburt erlitt er einen Darmverschluss. Die Ärzte diagnostizierten Mukoviszidose. Die ersten eineinhalb Jahre seines Lebens verbrachte er im Krankenhaus. Seine Eltern machten später kein Geheimnis daraus, was passiert, wenn er seine Tabletten nicht nimmt. Er ließ sich zum Technischen Zeichner ausbilden, wurde aber aufgrund der Krankheit früh verrentet.
Seit einigen Jahren engagiert sich Ingo Sparenberg für den Verein Mukoviszidose und ist Mitglied des Vorstandes. Außerdem hat er selbst ein Projekt initiiert, mit dem er den Verein unterstützt: Er dokumentiert seine Läufe auf seiner Internetseite und sammelt Spenden für die Projekte des Vereins Mukoviszidose. Ein mühsames Vorhaben. „Ich frage 100 Leute und einer gibt etwas.“ 11.500 Euro hat er bisher zusammen bekommen.
Zurzeit sammelt er Geld für den Ausbau an Rehaplätzen für Mukoviszidose-Erkrankte. Im Schnitt könnten laut Sparenberg Patienten alle zwei Jahre zur Reha fahren. „Wegen der medizinischen Fortschritte werden wir immer älter, auch immer mehr. Die Anzahl an Rehaplätzen steigt aber nicht mit“, so Sparenberg. Das gesammelte Geld will der Mukoviszidose-Verein Rehakliniken für den Ausbau spenden. Ingo Sparenberg hofft, der Gesellschaft mit seinem Engagement ein klein wenig zurückzugeben, wurde er doch schon früh in seinem Leben zum Rentenempfänger.