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Rückblick: Unmut der Einwohner entlud sich am 17. Juni 1953 in der Region 500 Personen forderten vom VPKA Wolmirstedt, einen Sportler freizulassen

Von Marita Bullmann 08.06.2013, 03:16

60 Jahre ist es her, dass sich Bürger in einer republikweiten Aktion gegen die Zustände in der DDR auflehnten. Die Situation spitzte sich am 17. Juni 1953 zu. Die Volksstimme fragte im Kreis- und Stadtarchiv nach, was aus dieser Zeit überliefert ist.

Haldensleben l Viele einzelne Mappen mit Berichten aus jener Zeit müssten durchgesehen werden, um Bruchstücke aus jener Zeit zu erfahren. Einiges hat Archivmitarbeiterin Katrin Jobke dazu gefunden. Sie verweist aber auch auf Veröffentlichungen zu diesem Thema. Einige davon gehen über das bisher in der Volksstimme Veröffentlichte hinaus.

"Im Kreis Haldensleben blieb es um den 17. Juni 1953 im Vergleich zu anderen Kreisen recht ruhig", schlussfolgert Anne Haertel in der Broschüre "Die Ereignisse um den 17. Juni 1953 im Bezirk Magdeburg", herausgegeben vom Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt. Anders sah es mit dem damaligen Kreis Wolmirstedt aus.

"Der Kreis Wolmirstedt ist in der Untersuchung der Ereignisse um den 17. Juni 1953 im ehemaligen Bezirk Magdeburg schon aufgrund seiner direkten Anschlusslage zur Bezirkshauptstadt interessant. Die Atmosphäre bewegte sich auch hier zwischen Angst und Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderungen und war höchst angespannt. Im Kreisgebiet wurden intensive Truppenbewegungen der Roten Armee beobachtet. Auf den Dörfern begann - so zum Beispiel in Colbitz - die Ausgangssperre um 20 Uhr. Generell waren draußen auf der Straße Gruppenbildungen von mehr als drei Personen nicht gestattet."

Sowjetischer Panzer fuhr vor den Bahnhof Haldensleben

"Im Kreis Haldensleben waren es vor allem Arbeiter aus Magdeburger Betrieben, die den ,Geist der Revolution\' in unser Kreisgebiet getragen hatten", hatte Thomas Kübler, der damalige Leiter des Haldensleber Kreisarchivs, in einem Beitrag für die Volksstimme, der am 17. Juni 1991 erschien, geschrieben. "Zeitzeugenberichte belegen, dass es auf dem Haldensleber Bahnhof zu einer ,kleinen Kundgebung\' kam, die aber ,durch Funktionäre des Rates des Kreises bald aufgelöst werden konnte.\' Nicht zuletzt wohl auch deshalb, da ein sowjetischer Panzer der Garnison Hillersleben vor dem Bahnhof aufgefahren war."

Kübler sieht einen Grund dafür, dass es im Kreis Haldensleben relativ ruhig blieb, darin, dass der Aufstand weitgehend von Arbeiterkreisen getragen worden war, es im Kreis aber kaum Betriebe mit einer größeren Beschäftigtenzahl gegeben habe, "die eine Organisation zur innerbetrieblichen Protestkundgebung oder geschlossenen Teilnahme an einer Demonstration zugelassen hätten."

Außer in den Keramischen Werken kam es in den anderen, zumeist privaten Betrieben kaum zu Arbeitsniederlegungen. Zu dem Zeitpunkt existierten kaum volkseigene Betriebe im Kreis, vermerkte Thomas Kübler. Als größte Betriebe, gemessen an der Beschäftigtenzahl, führte er unter anderem die Reina-Werke Haldensleben mit 66, Dampfsägewerk Fanta und Dreßler in Haldensleben mit 93, die Flachsröste Döhren mit 222 und die Tabakwerke Bebertal mit 168 Beschäftigten an.

Bei den bereits bestehenden Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) gab es jedoch als Folge des 17. Juni Auflösungserscheinungen, merkte Kübler an. Beispiele seien die LPG "Frieden" Hasselburg, "Vorwärts" Haldensleben, "Freie Erde" Bodendorf, Bebertal und Bülstringen. Die SED habe dann darauf orientiert, diese LPG "mit dem guten Kern der alten LPG" neu zu gründen.

Heftiger ging es im Kreis Wolmirstedt zu, bilanzierte auch der Historiker Wilfried Lübeck in der Volksstimme und in einem Beitrag in der Jahresschrift des Kreismuseums 2004. "Mit 34 verurteilten Personen lag der Kreis hinter Magdeburg und Schönebeck an 3. Stelle im Bezirk im Zeitraum bis Juli 1954", fasst Lübeck zusammen.

Signale der Unzufriedenheit seien im Mai aus dem Elektromotorenwerk in Barleben gekommen, wo das Beitragsaufkommen für den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) von 8000 auf 3000 Mark zurückgegangen war und aus dem Möbelwerk Bleiche, dessen Mitarbeiter im April und Mai gar nicht zahlten.

Der 1. Sekretär der Kreisleitung wurde in Barleben ausgepfiffen

Der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung, begleitet von zwei Kriminalbeamten, wurde am 17. Juni im Barleber Elektromotorenwerk ausgepfiffen. Gegen 14 Uhr versammelten sich vor dem Volkspolizeikreisamt (VPKA) circa 500 Personen, die die Freilassung eines Wolmirstedter Sportlers forderten, der am Vortag verhaftet worden war. Der Druck half. Der Verhaftete wurde freigelassen.

Die Massen gingen aber nicht auseinander und forderten weitere Freilassungen. Doch "als die aufgeregte Menge in Wolmirstedt versuchte, die Häftlinge zu befreien, waren die ersten 6 Kräder unserer Freunde zur Stelle", zitierte Lübeck aus einem Bericht der Wolmirstedter Kreisleitung, den er im Landeshauptarchiv eingesehen hatte.

Lübeck berichtete außerdem: "Auf Befehl des Stadtkommandanten von Magdeburg wurde um 21 Uhr der Ausnahmezustand über den Kreis Wolmirstedt verhängt und in verschiedenen Orten fuhren Panzer auf. Ab 20 Uhr wurden auf den Bahnhöfen Wolmirstedt, Barleben und Niederndodeleben Polizeikräfte stationiert. In der Kreisstadt zusätzlich in der Trafo-Station und E-Werk."

Die Volksstimme wird in den nächsten Tagen noch auf einige der Berichte zurückkommen. Interessant wäre es jedoch, noch Augenzeugen dazu zu hören. Wenn Sie, liebe Leser, noch aus eigenem Erleben oder aus Berichten von Eltern, Großeltern oder aus anderen Quellen etwas aus jener Zeit zu berichten haben, dann wenden Sie sich an die Volksstimme-Redaktion in Haldensleben, Magdeburger Straße 10, 39340 Haldensleben, oder per E-Mail an redaktion.haldensleben@volksstimme.de. Sie können ab Montag auch anrufen unter (03904) 666934.