Ärztemangel Netz für Gesundheit wird geknüpft
Ärztemangel in Wolmirstedt: Eine Arbeitsgruppe erstellt bis zum Jahresende ein Konzept für eine bessere medizinische Versorgung.
Wolmirstedt l Der Ärztemangel nervt die Wolmirstedter gewaltig. Viele finden keinen Hausarzt, auf Facharzttermine müssen sie oft monatelang warten. Das Problem ist seit Jahren bekannt. Nun arbeiten Stadt und Uniklinik mit Hochdruck an einer Lösung. Ziel ist ein gesundheitliches Netzwerk, in dem alle lokalen Akteure miteinander verknüpft sind. Am Mittwoch gab es im Ratssaal ein erstes Treffen all derer, die beim Port-Projekt mitwirken könnten. „Port“ steht für Patientenorientierte Primär-und Langzeitversorgung.
Die Allgemeine Wohnungsgenossenschaft (AWG) soll Teil dieses Netzwerkes sein und hat offenbar schon ein paar Trümpfe im Ärmel. Die legte Technikleiter Jens Thormeyer auf den Tisch. „Wir wollen 2018 mit einer neuen Augenärztin starten.“ Die Räumlichkeiten will die AWG herrichten. Im Wohn- und Geschäftskomplex „Wohnen Plus“ in der Damaschkestraße, das demnächst gebaut wird, soll ein neuer Hausarzt seine Praxis eröffnen. Außerdem habe ein Allgemeinmediziner Anfang Mai seine Wohnung in Wolmirstedt bezogen. Auch der soll demnächst praktizieren.
Burkhard John, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), zeigte sich erstaunt, dass die AWG quasi im Alleingang schon beinahe Nägel mit Köpfen gemacht hat. „Wir sollten diese Entwicklung gleich mit in die Gesamtplanung aufnehmen“, forderte er.
Derlei Überraschungen wurden aus dem Bodelschwingh-Haus nicht bekannt gegeben. Dafür bot Vorstand Peter Hugo jede Menge Altbekanntes, das ebenfalls in ein Netzwerk einfließen kann. „Wir haben ein Therapiebad“, erinnerte er, „außerdem gibt es bei uns Angebote wie Rückenschule und ein Seniorencafé.“
Auch Ralf Kürbis, Geschäftsführer des DRK-Kreisverbandes Börde, bekundete die Bereitschaft, in einem Netzwerk mitzuarbeiten. Das Deutsche Rote Kreuz verfügt beispielsweise über ambulante Pflegedienste und wird zudem voraussichtlich 2017 in der Julius-Bremer-Straße mit dem Bau eines Seniorenwohnkomplexes beginnen.
Zum Netzwerk sollen aber auch Sportvereine, Apotheker, Ernährungsberater, Hol- und Bringedienste oder Physiotherapeuten gehören. Damit soll Gesundheitsvorsorge und Heilunterstützung nicht allein den Ärzten auferlegt, sondern auf viele Schultern verteilt werden, nicht zuletzt auf die Bürger selbst. „Einem langen gesunden Leben liegt nur zu 30 Prozent eine gute ärztliche Versorgung zugrunde“, erklärt Martina Schmiedhofer, die zum Team der Uniklinik gehört. Die anderen 70 Prozent liegen im Lebensumfeld. Dazu gehört die Verfügbarkeit sauberen Wassers ebenso wie soziales Eingebundensein. „Bürger sollen sich nicht ausgeliefert fühlen, wenn es um ihre Gesundheit geht, sondern wissen, was sie selber dazu beitragen können und sei es der gemeinsame Sport mit den Nachbarn.“
Martina Schmiedhofer möchte demnächst Interviews mit Wolmirstedter Bürgern führen. Dazu wird sie in Sportvereinen oder Begegnungsstätten auftauchen und auch beim Stadtfest am Stand des Roten Kreuzes auf Bürger zugehen. „Ich möchte Stimmungen erspüren.“ Am 26. Juni ist außerdem ein medizinischer Sonntag geplant.
Martin Westphal ist Werkleiter des Zielitzer Kaliwerkes und Vorsitzender des Sportvereins Kali Wolmirstedt. Er hat das Ohr an der Masse und teilt seine bisherigen Erfahrungen mit. „Bürger werden sich ein Ärztehaus oder zumindest eine schnelle Anbindung an einen Hausarzt wünschen.“ Nöte der Bürger, die durch die schwierige Arztsituation entstehen, wirken letztlich bis in den Betriebsablauf hinein. „Manche Mitarbeiter sind nur deshalb lange im Krankenstand, weil sie auf einen Facharzttermin warten.“
Dem Bau eines Ärztehauses oder einer Art Polyklinik steht auch Swen Pazina positiv gegenüber. „Bürger wollen kurze Wege und Parkplätze vor der Tür der Arztpraxis“, mutmaßt der Vorstand des Bodelschwingh-Hauses.
Ob die Zentralisierung der medizinischen Leistungen das einzig Wahre ist, bezeifelt Dr. Jan Hülsemann. Der Ärztliche Direktor des Magdeburger Universitätsklinikums plädiert für ein Aufbrechen bisheriger Denkstrukturen. „Nicht alles muss ein Arzt machen“, betont er. Vieles können durch qualifiziertes medizinisches Personal erledigt werden. Auch Telemedizin, bei der sich Arzt und Patient am Bildschirm austauschen, kann bei einigen Behandlungen zeitweise den direkten Kontakt ersetzen.
Port-Federführer Professor Markus Herrmann sieht das Projekt auf einem guten Weg. „Weder die Stadt noch die Otto-von-Guericke-Universität kann einen Plan vorgeben. Der muss wachsen.“
Bis Jahresende soll ein Konzept stehen. Wenn das überzeugt, fördert die Robert-Bosch-Stiftung die Umsetzung, wie bereits jetzt die Konzeptionsphase.