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Es wird luftig für die Alpakas Die Wolle muss runter für den Sommer: Alljährliches Scheren auf dem Zernitzer Alpakahof Zwei Eichen

Mutter Natur lässt den Alpakas für die kalte Jahreszeit ein wertvolles Vlies wachsen. Doch für den Sommer muss die Wolle runter. Einmal im Jahr kommen die Tiere vom Zernitzer Zwei Eichen-Hof auf den Schertisch.

Von Petra Wiese 06.06.2021, 00:00
Schokolada auf dem Schertisch: Heinz Rühlich setzt vorsichtig die Maschine an, während Heidi Rühlich das Alpaka hält.
Schokolada auf dem Schertisch: Heinz Rühlich setzt vorsichtig die Maschine an, während Heidi Rühlich das Alpaka hält. Foto: Petra Wiese

Zernitz - Endlich Sommer! Zeit für T-Shirts und kurze Hosen. Man stelle sich vor, bei den Temperaturen immer noch im dicken Wollpullover herumlaufen zu müssen. So würde es den Alpakas gehen, wenn sie nicht geschoren werden.

Etwa drei Kilogramm Wolle lässt ein Tier in gutem Alter bei der Schur. Auf dem Alpakahof in Zernitz werden die Tiere einmal im Jahr geschoren. Da richten sich Heinz und Heidelinde Rühlich nach den Temperaturen. Bei ihren beiden Kleinen warteten sie bis Mitte Mai, da es lange noch recht kalt war. 

Die beiden Kleinen sind Vanillo und Verena Schokolada - der Nachwuchs aus dem vergangenen Jahr, inzwischen elf Monate alt. Schokopudding und Vanillesauce - nach ihren Farben bekamen sie ihre Namen. Nachdem alle Alttiere bereits ihr Wollkleid losgeworden sind, sollten nun auch die beiden „unters Messer“. Ganz in Ruhe, ohne Stress.

Jungtier wiegt 20 Kilogramm

Doch dass etwas im Busch ist, merkten die Tiere instinktiv. Vanillo versteckte sich ganz hinten in der Herde. Schoko, als die Neugierigere und Mutigere war zuerst an der Reihe.  Da sie Halfter und Strick noch nicht kannte, nahm Heinz Rühlich Schoko hoch und trug sie unters Tordach des Hofes. Rund 20 Kilogramm bringt ein Jungtier auf die Waage, mit dem dicken Wollkleid sah das eher nach 60 Kilogramm aus.

Der Schertisch stand bereit, eine Spezialanfertigung, klappbar und mit Halterungen, um die Tiere bei der Schur zu sichern. Beim Scheren der Alttiere sind immer mindestens drei Leute nötig. Die Tiere entwickeln unwahrscheinliche Kräfte und wollen sich natürlich wehren. 

Dass sie Angst haben, ist kein Wunder. „Alpakas sind Fluchttiere", erklärt Heidi Rühlich, „sie wollen nicht weg von der Herde, und sie wissen natürlich nicht, was mit ihnen geschieht.“ Der kleinen Schoko war die Angst anzumerken.

Abrutscher können gefährlich sein

Mit geübten Griffen legten die Rühlichs das Jungtier auf den Tisch. Lange genug Erfahrung haben sie. Um das Scheren zu lernen, besuchten sie Kurse, nachdem sie sich 2004 entschlossen hatten, eine eigene Alpakazucht aufzubauen. 2006 führten sie dann ihre erste Schur auf dem Hof in Zernitz durch.   Ein leises, manchmal lauteres Wimmern ist von Schoko zu vernehmen. Heidi Rühlich legt ihre Hände auf, streichelt das Tier, spricht beruhigende Worte. Mit der Schere geht Heinz Rühlich vor. „Die Haut ist wie Transparentpapier“, sagt er. Da darf es keinen Abrutscher geben. Nach den Vorderbeinen sind die Hinterbeine dran, dann der Bauch. Zwischendrin wird die Wolle vom Tisch eingesammelt und in Säcke gefüllt. Da kommt einiges zusammen. Eine etwa zehn Zentimeter dicke Wollschicht schleppte Schokolada mit sich herum.  

Ohne die Schur würden die Tiere leiden müssen. Sie ertragen die Hitze nicht. Das führt bis zum Kreislaufkollaps. Die Haut braucht außerdem Luft und Licht zum Gedeihen. Die Wolle muss also runter. Auch die Alpakas in den Anden werden geschoren. Wilde Alpakas gibt es nicht. Sie wurden schon vor mehreren Tausend Jahren domestiziert. Ihr Vlies in den verschiedensten Farben ist es, das die Tiere besonders und wertvoll macht. Die Faser hat eine hohe thermische Kapazität, ist besonders widerstandsfähig und fein dabei.

Wolle für Bekleidung und Bettfüllungen

Die Faserstärke wird in Mikron gemessen. Unter 20 Mikron sind besonders weich und elastisch. Schafwolle liegt bei 40 Mikron, erläutert Heidi Rühlich zum Vergleich. In I. und II. Qualität wird die Wolle der Alpakas sortiert. Die I. Qualität wird für Strick- und Webgarn verwendet. Bekleidung kann daraus gemacht werden, während die II. Qualität mit den härteren Grannenhaaren für Bettenfüllungen genutzt wird.  

Einmal wenden bitte – und Schoko wird auf der anderen Seite geschoren. Zuletzt ist die Frisur dran, schließlich sollen die Haare nicht in den Augen hängen. Heidi Rühlich nimmt die Schere, um sensible und schwer erreichbare Stellen nachzuschneiden.

Die Gelegenheit ist günstig, gleich den Allgemeinzustand des Tieres anzuschauen. Die Zähne werden gescheckt, die Nägel verschnitten, Vitamine verabreicht. Dann hat es Schoko überstanden, ganz tapfer. Ganz zierlich und schlank wirkt sie nun mit schokoladenbrauner samtiger Haut. Sie bekommt zum ersten Mal das Halfter umgelegt, und Heinz Rühlich führt sie zurück zur Herde. 

Scheren ist Schwerstarbeit

Eine halbe bis dreiviertel Stunde dauert die Schur eines Alttieres in der Regel. 25 ausgewachsene Alpakas gibt es derzeit auf dem Zwei Eichen-Hof. Zwei Tage im Akkord wurde in diesem Jahr geschoren. Schwerstarbeit. Bei den beiden Jungtieren ließ man sich mehr Zeit. Bei der alljährlichen Schur machen die Hengste immer den Anfang, erzählt Heidi Rühlich. Der Erste, der dran kommt, hat es nicht leicht. Kommt er „nackig“ zurück in die Herde, versammeln sich alle anderen um ihn herum und lachen ihn regelrecht aus. Der Arme schämt sich dann auch und duckt sich ab – bis der Zweite ohne Wolle zurück

kommt. „Da lacht der Erste schon wieder mit“, so Heidi Rühlich. Der kleine Vanillo hat noch viel mehr Angst als Schokolada, als er auf dem Schertisch liegt. Sein Vlies ist sogar noch ein wenig dicker – zwölf bis 15 Zentimeter stark. Wieder kommen zwei volle Säcke zusammen. Die Wolle der beiden Jungtiere werde sie nicht abgeben, hat Heidi Rühlich beschlossen. Die ist einfach zu schön. Die wird dann per Hand versponnen. Ansonsten wird die „Ernte“ von den Alpakas für die Verarbeitung beim Alpaka- und Lama-Zuchtverband Mitteldeutschland e.V. abgegeben. Da findet jedes Jahr eine Wollsammlung für die Züchter statt.  

Hofführungen mit Alpakas wieder möglich

Vanillo ist froh, nach den Strapazen wieder in der Herde zu sein. Als das Tor aufgeht, rennen alle auf die saftigen Wiesen hinaus. Stuten und Hengste werden getrennt gehalten. Bis zur Schur durfte Vanillo noch bei seiner Mutter und den Frauen bleiben. Wenn es im Sommer wieder neuen Nachwuchs in Zernitz gibt, sind Vanillo und Schokolada nicht mehr die Kleinen. 

Während der Pandemie war es ruhig geworden auf dem Alpakahof. Veranstaltungen hat es keine gegeben. Alpakawanderungen waren nachgefragt. Mit den neuesten Lockerungen kann es nun auch in Zernitz langsam wieder losgehen. Hofführungen und geführte Wanderungen mit Alpakas sind wieder möglich. Der Hofladen kann besucht werden. Infos gibt es unter www.alpacahof-zweieichen.de.

Ganz zart sieht Vanillo nach der Schur aus. Mit der Herde geht es auf die Weide.
Ganz zart sieht Vanillo nach der Schur aus. Mit der Herde geht es auf die Weide.
Foto: Wiese
Zum Schluss bekommt Vanillo noch seine Frisur.
Zum Schluss bekommt Vanillo noch seine Frisur.
Foto: Wiese
Heinz Rühlich trägt Vanillo zum Scheren. Das Jungtier sieht mit der Wolle schwerer aus als es ist.
Heinz Rühlich trägt Vanillo zum Scheren. Das Jungtier sieht mit der Wolle schwerer aus als es ist.
Foto: Wiese
Schokolada nach dem Scheren zurück in der Herde.
Schokolada nach dem Scheren zurück in der Herde.
Foto: Wiese
Die flauschige Schokolada vor dem Scheren.
Die flauschige Schokolada vor dem Scheren.
Foto: Wiese