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Vor 100 Jahren wurde das Eisenmoorbad Lindau eröffnet / Diätsanatorium zu DDR-Zeiten – Letzter Teil Kurkonzerte und lange Autoschlangen

Von Manuela Langner 03.06.2010, 07:19

Vor 100 Jahren wurde am 18. Mai in Lindau das Eisenmoorbad eröffnet. Zu DDR-Zeiten verbrachten über 30 000 Patienten ihren Aufenthalt im Diätsanatorium. Seit 1994 stehen die Häuser leer. Der neue Eigentümer ist abgetaucht.

Lindau. Gebrechlich auf dem Weg vom Bahnhof zum Eisenmoorbad und mit den Krücken unter dem Arm nach der Kur fröhlich auf dem Rückweg. Dieses Bild hat sich als eine von vielen prägnanten Erinnerungen an das "Anhaltinische Eisenmoorbad Lindau in Anhalt, zu erreichen über die Berlin-Nordhausener Staatsbahn" tief in das Gedächtnis der gebürtigen Lindauerin, heute in Güterglück lebenden Marion Lehmann eingebrannt. Ihre Mutter Elsbeth Krause hatte einige Jahre im Eisenmoorbad gearbeitet und gern von dieser Zeit erzählt. Ihre Erinnerungsstücke an die Kureinrichtung hütet Marion Lehmann wie einen Schatz.

"Auf jeden Fall war es für Lindau eine Blütezeit. Es entstanden viele Arbeitsplätze", sagte Marion Lehmann. Die Auslastung sei besser als in Bad Schmiedeberg gewesen und viele wohlhabende Leute seien nach Lindau zur Kur gekommen. An Botschafter Kennedy kann sie sich noch namentlich erinnern. Während er im Auto angereist sei, hatten die meisten Kurgäste vorwiegend die Eisenbahn genutzt. Seit 1879 verfügte Lindau über einen Bahnanschluss.

Lindauer, die nicht direkt im Eisenmoorbad arbeiteten, konnten trotzdem durch die Einrichtung profitieren. Viele Familien verdienten sich mit der Vermietung von Fremdenzimmern ein Zubrot. Händler, Handwerker und Gastwirte hatten zusätzliche Kundschaft.

"Das Moor wurde von den Quaster Wiesen, gleich hinter dem Schwimmbad beginnend, gestochen und auf kleinen Loren über Schienen bis zum Badehaus gekarrt", schilderte Marion Lehmann. Das ehemalige Badehaus, zu DDR-Zeiten als Haus 1 bekannt, war als erstes Gebäude des Eisenmoorbads errichtet worden. An die Empfangs- und Besuchsräume schlossen sich im langgezogenen hinteren Trakt die Badezellen und im letzten Abschnitt die Maschinenräume an, in denen die Moorerde erhitzt und für die Behandlung vorbereitet wurde.

Soldaten zertrümmern die Badezellen

Der charakteristische Laubengang ist nur noch auf alten Fotografien aus den 1920er und 30er Jahren zu sehen. Vor und während des Zweiten Weltkrieges erlebte das Eisenmoorbad eine wechselvolle Geschichte.

Bis im Mai 1945 von sowjetischen Soldaten der Bädertrakt total verwüstet und die repräsentative Tanne vor der ansehnlichen Freitreppe ins Badehaus abgesägt worden sei, erinnerte sich Marion Lehmann. Glücklicherweise habe es nach dem Krieg Leute gegeben, die die vorhandenen Gebäude sinnvoll nutzten und zum Diätsanatorium umgestalteten. Wiederum seien viele Arbeitsplätze für die Stadt geschaffen worden. "Vom Bekanntheitsgrad und den Schönheiten von einst sind heute nur der verwilderte Park und die heruntergekommenen Gebäude geblieben", fügte Marion Lehmann mit großer Enttäuschung an. Sie hat die Kurkonzerte im Park und die langen Schlangen geparkter Autos entlang der Straßen nach Quast und Lietzo, weil Lindau ein so beliebter Ausflugsort gewesen ist, nicht vergessen.

Am 1. Januar 1978 war das Diätsanatorium in die Verantwortung des Rates des Kreises Zerbst übergegangen. Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld hielt sich mit seinen Auskünften bedeckt. Keine Angaben wurden gemacht, zu welchem Preis der Vorgänger-Landkreis Anhalt-Zerbst das Park- und Gebäude-Ensemble 2004 verkauft hatte. Pressesprecherin Marina Jank wies darauf hin, dass bei einer Versteigerung kein Einfluss besteht, wer der neue Besitzer wird.

Lindau beauftragt einen Gutachter

Mit dem, der es geworden ist, kann niemand glücklich sein. Oder doch? Die Lindauer, die Vertreter des neuen Eigentümers in ihrer Stadt erlebt haben, berichteten, dass das Auftreten vor allem eine Nutzung als sehr wahrscheinlich vermittelte, und zwar die, bei der sich vor dem Haus eine rote Leuchte befindet.

Hätten das die Lindauer gewollt? So weit ist es aber nicht gekommen. Der Besitzer investierte keine müde Mark in sein neues Objekt. Lindau hat noch als eigenständige Stadt Schritte unternommen, am Sanatorium doch noch etwas zu bewegen, einen erneuten Besitzerwechsel anzustrengen. Laut Ortsbürgermeister Helmut Seidler wurde ein Gutachter beauftragt, den Wert des Ensembles zu ermitteln.

Im Logierhaus, später Haus 2, wächst eine Birke aus der Hauswand, sämtliche Scheiben, Türen, Fenster und zurückgelassene Einrichtungsgegenstände sind kurz und klein geschlagen worden. Im Kurhaus ist gekokelt worden. Das Dach des Speisessaals ist teilweise eingestürzt. Im Park waren Liebhaber am Werk: Storchenmühle, Brunnenfiguren und Zwergenhäuschen sind weg. Die Liste ließe sich lang und ausführlich fortsetzen.

Die Frage nach dem Wert der Anlage ist vielleicht die falsche. Besser fragt man wohl, wie viel Substanz zu welchem Preis noch zu retten ist? Und für welche Nutzung?

Zur Wendezeit hatte es in Lindau die Überzeugung gegeben, das Diätsanatorium als Kureinrichtung halten zu können. Warum auch nicht? Die Stadt hatte das Moor durch ein angesehenes Institut erneut untersuchen lassen. Ergebnis: Es hatte nichts von seiner hervorragenden Heilkraft eingebüßt. Bloß waren Abbau und Aufbereitung zu teuer, um konkurrenzfähig zu sein.

Erhalten hat sich beispielsweise das Prospekt zum Badejahr 1927, in dem Prof. Dr. Heyer dem Moor unter anderem eine bessere Qualität als dem Bad Schmiedeberger beschei nigte.

Modernisierung stoppt das Aus nicht

Aber selbst wenn das heilkräftige Moor in Lindau kostengünstig hätte abgebaut werden können, wer hätte in die Stadt zum Kuren kommen wollen?

Kino, Theater, Museen, Sehenswürdigkeiten, Einkaufsmöglichkeiten? Der Stadt hätte die einladende Infrastruktur gefehlt, die sie mit ihren 1200 Einwohnern einfach nicht vorhalten kann. Trotzdem war Ende 1990 noch über einen Bettenhausneubau diskutiert, nach Investoren gesucht und 1991/92 das Logierhaus modernisiert worden. Aus Mehrbettzimmern wurden komfortablere Einzelzimmer. Aber schon zum Jahresende 1990 hatte die Bundesanstalt für Angestellte die Belegung des Lindauer Sanatoriums gekündigt. Im August 1994 gingen die Lichter aus. Für immer?