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Gastronomie öffnet wieder Zerbster Gastronomen sehen Neustart nach monatelanger Zwangspause mit gemischten Gefühlen

Seit 19. Mai darf die Außengastronomie wieder öffnen, die Gasträume als Modellprojekt. Die geschundenen Wirte freuen sich, sehen die Lockerungen allerdings nur als längst überfälligen, ersten Schritt. Die Volksstimme hat sich bei Zerbster Gastronomen umgehört.

Von Thomas Kirchner und Daniela Apel 25.05.2021, 17:30
Tom Hebäcker und Susann Krüger bereiten den Biergarten der Gaststube „Zur Stadtmauer“ in der Haselopstraße für den Abend vor. Seit der Öffnung am 19. Mai ist der Außenbereich direkt an der Zerbster Stadtmauer gut besucht.
Tom Hebäcker und Susann Krüger bereiten den Biergarten der Gaststube „Zur Stadtmauer“ in der Haselopstraße für den Abend vor. Seit der Öffnung am 19. Mai ist der Außenbereich direkt an der Zerbster Stadtmauer gut besucht. Foto: Thomas Kirchner

Zerbst - Elf Zerbster Gastronomen nehmen laut Internetseite des Landkreises Anhalt-Bitterfeld am Modellprojekt zur Öffnung der Innengastronomie teil, das erst einmal befristet bis zum 17. Juni läuft. Tom Hebäcker mit seiner Gaststube „Zur Stadtmauer“ und dem Gartenlokal „Blume“ gehört jedoch nicht dazu.

 Hebäckers Gaststube und Biergarten „Zur Stadtmauer“

„Das ist mir zu unsicher. Was passiert nach dem 17. Juni? Ich warte ab, wie es danach weiter geht“, sagt Hebäcker. Dass er seine Biergärten wieder öffnen darf, freut ihn. Euphorie sieht allerdings anders aus. „Sicher bin ich froh, dass wir wieder starten können und zumindest ein Stück Normalität leben können. Doch das kann auch nur ein erster Schritt sein. Seit Oktober lebt die Gastronomie größtenteils nur vom Außer-Haus-Verkauf und noch immer sind größere Feiern tabu – eine der Haupteinnahmequellen der Gastronomen und Caterer“, macht Hebäcker deutlich.

Voraussetzung für den Zutritt seien die drei G’s – geimpft, genesen, getestet. „Im Zweifelsfall haben wir auch Selbsttests vorrätig, den die Gäste bei uns unter Aufsicht durchführen können, falls jemand vergessen hat, sich testen zu lassen“, so Hebäcker.

Ein weiteres Problem sei, dass sich viele Fachkräfte aus der Gastronomie anderweitig einen Job gesucht haben. „Die Personalsituation war schon immer angespannt. Doch wer kann schon ewig von Kurzarbeitergeld leben?“, so Hebäcker. Da sei es nur verständlich, dass sich die Leute nach anderen Jobs umsehen. „Und eine Universität haben wir in Zerbst nicht, wo Studenten ständig auf Jobsuche sind – auch in der Gastronomie“, sagt Hebäcker.

„Unter den Linden“, Bone

Michael Ludwigs Aussagen sind Hebäckers Schilderungen sehr ähnlich. Ludwig bringt die gleichen Argumente vor wie sein Zerbster Gastronomie-Kollege.  Er ist noch vorsichtiger und öffnet die Terrasse vor seinem Lokal „Unter den Linden“ und den Gastraum in Bone erstmalig am kommenden Sonntag zum Mittagstisch. „Das wird auch vorläufig so bleiben – sonntags zum Mittagstisch. Wer weiß, was in einem, in zwei oder in drei Monaten ist? Müssen wir wieder schließen? Wie entwickeln sich die Zahlen? Wareneinkauf, Personalplanung, Familienfeiern, bei all dem fehlt uns noch immer Planungssicherheit“, sagt Ludwig.

Zwischen Mai und September hatte der Gastronom mehr als 30 Hochzeiten im Kalender. Die meisten davon seien bereits von 2020 ins Jahr 2021 verschoben worden oder vom Frühjahr in den Spätsommer. „Wenn überhaupt, dürfen gerade einmal sechs davon stattfinden. Das allein zeigt, auf welch dünnem Eis wir uns bewegen“, betont Ludwig.

„Zum Biber“, Steckby

Die Türen der Gaststätte „Zum Biber“ in Steckby sind ebenfalls noch geschlossen. Hinter den Kulissen laufen aber bereits emsig die Vorbereitungen. Denn ab diesem Freitag wird der am Elberadweg gelegene Anlaufpunkt für viele Radtouristen und Ausflügler endlich wieder geöffnet  sein. „Seit November hatten wir zu“, sagt Andrea Hoffmann, die gemeinsam mit ihrem Bruder Ronald Finger das traditionsreiche Gasthaus führt. Zwar boten sie  auf Vorbestellung Essen zum Mitnehmen an, „aber das lief nicht so“, gesteht jener. Hier war zwar auf die Stammgäste Verlass, aber das reicht auf Dauer eben nicht aus. Allmählich gehen die finanziellen Rücklagen zur Neige, wie Ronald Finger gesteht. 

Deshalb haben sich die Beiden nach Bekanntgabe des Modellprojektes zur Öffnung entschlossen, aber einige Tage damit gewartet. Denn: „Man kann nicht von null auf hundert durchstarten“, formuliert es Andrea Hoffmann. Zwar gab es über Pfingsten durchaus bereits Anfragen, ob sie auf hätten, aber dazu müsse eben einiges organisiert werden. Das beginnt bei der chemischen Reinigung der so lange ungenutzten Bierleitung und endet beim Einkauf von ausreichend Getränken.

„Auch Schnelltests habe ich bestellt“, sagt Ronald Finger. Denn daran soll es letztlich nicht scheitern, wenn jemand im Biergarten oder ins Gasthaus einkehren möchte. Zugleich hofft er, dass die Testpflicht bald entfällt und im Saal des „Bibers“ wieder Veranstaltungen wie die Sitzungen der Steckbyer Karnevalisten oder private Geburtstagsfeiern stattfinden können. Auch die Öffnung der Pension für alle Gäste und nicht nur Geschäftsreisende sei aus wirtschaftlicher Sicht dringend notwendig, wie Ronald Finger schildert.

Restaurant „Vogelherd“

Die Möglichkeit, dank des Modellprojektes plötzlich öffnen zu dürfen, kam für Gabriele Erdmann zwar überraschend, dennoch entschied sie sich zusammen mit ihrem Mann, daran teilzunehmen. So empfingen sie am Freitag nach langer Zwangspause in ihrem Park-Restaurant „Vogelherd“ die ersten Gäste. „Es hat einfach wieder Spaß gemacht“, erklärt die Küchenchefin lächelnd.

Die Hoffnung auf Besserung hat sie trotz Zweifeln und Verdruss in den vergangenen Monaten nie aufgegeben. Zumal von sehr vielen Seiten Zuspruch kam. Diese „Halten Sie durch!“-Motivation während der jetzigen Pandemie erinnere sie an die schwierige Wende-Zeit, blickt Gabriele Erdmann zurück.  Sie strahlt Zuversicht aus und will nicht jammern. Sie erzählt von den Anträgen auf Kurzarbeitergeld, November- und Dezemberhilfe sowie den Überbrückungsgeldern, die ihnen genehmigt wurden. „Da hat sich unser Steuerbüro gut eingesetzt“, sagt sie. „Das möchte man aber nicht endlos ausschöpfen“, bemerkt Gabriele Erdmann.

Viel lieber will sie wie wohl jeder zur Normalität zurückkehren. Die Öffnung der Gastronomiebetriebe ist für sie ein Schritt in diese Richtung. Und da stehen nicht nur die Lieferanten in den Startlöchern, wie Gabriele Erdmann schildert, sondern ebenfalls die Gäste. Das hat sich über Pfingsten gezeigt, als einige den Weg zum „Vogelherd“ fanden, um dort mal wieder zu speisen. „Entweder haben sie einen Negativ-Test vorgelegt oder den Impfausweis gezeigt“, habe es diesbezüglich keine Probleme gegeben, berichtet Gabriele Erdmann.

Sie sieht wie ihr Kollege Tom Hebäcker vielmehr im Fachkräftemangel eine Herausforderung auf die Gastronomen zukommen. „Das wird ein richtiger Wettbewerb“, befürchtet Gabriele Erdmann. Die personelle Situation sei vor der Pandemie schon nicht leicht gewesen und werde nun noch schwieriger. „Wir suchen einen Jungkoch“, ist sie gespannt, ob dies von Erfolg gekrönt ist.

Allein 30 Hochzeiten hat Michael Ludwig in seinem Kalender. Die meisten sind verschoben und das bereits mehrere Male.
Allein 30 Hochzeiten hat Michael Ludwig in seinem Kalender. Die meisten sind verschoben und das bereits mehrere Male.
Foto: Thomas Kirchner
Andrea Hoffmann und Ronald Finger führen in Steckby die Gaststätte „Zum Biber“. Am 28. Mai öffnen sie endlich wieder. Bis dahin muss der Biergarten noch hergerichtet werden.
Andrea Hoffmann und Ronald Finger führen in Steckby die Gaststätte „Zum Biber“. Am 28. Mai öffnen sie endlich wieder. Bis dahin muss der Biergarten noch hergerichtet werden.
Foto: Daniela Apel
Gabriele Erdmann konnte bereits die ersten Gäste im Zerbster Park-Restaurant „Vogelherd“ begrüßen.
Gabriele Erdmann konnte bereits die ersten Gäste im Zerbster Park-Restaurant „Vogelherd“ begrüßen.
Foto: Daniela Apel