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Fahndung Ex-RAF-Terroristen: Garweg und Staub in Berlin?

Nach der Festnahme von Daniela Klette halten sich die Behörden bedeckt - wohl auch weil von ihren Komplizen jede Spur fehlt. Dabei könnten Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg ganz in der Nähe sein.

Von Christina Sticht, Thomas Struk und Mirjam Uhrich, dpa Aktualisiert: 29.02.2024, 21:07
Ein Spezialanhänger mit einer speziellen Sicherheitstruhe (blauer, runder Deckel), steht in der Sebastianstraße.
Ein Spezialanhänger mit einer speziellen Sicherheitstruhe (blauer, runder Deckel), steht in der Sebastianstraße. Annette Riedl/dpa

Berlin/Hannover - Für ihre Hausmitbewohner in Berlin-Kreuzberg war es am Mittwoch schon der zweite Schock: Erst erfuhren sie, dass ihre freundliche Nachbarin mit dem grauen Zopf eine seit mehr als 30 Jahre gesuchte RAF-Terroristin ist. Dann mussten die Bewohner des siebengeschossigen Mietshauses in der Sebastianstraße auf Anordnung der Polizei ihre Wohnungen verlassen - zu ihrer eigenen Sicherheit. Denn bei Daniela Klette wurden „schwere Kriegswaffen“ entdeckt, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden am Donnerstag sagte. Nach ihren Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg wird nun intensiv gefahndet. Die beiden könnten sich auch in Berlin aufhalten, vermuten die Ermittler.

Die Adressen der Gesuchten kennen die Ermittler nicht. Aber: Von ihren Wohnungen könnte „ein Gefährdungspotenzial für die Bevölkerung ausgehen“, warnen sie mit Blick auf die Waffen- und Sprengmittelfunde bei Klette. Das LKA Niedersachsen stellte am Abend klar, dass für die Stadt Berlin keine konkrete Gefährdungslage bestehe. Diese sei auch nicht von beiden zunächst als gefährlich eingestuften Gegenständen ausgegangen, auf die aus ermittlungstaktischen Gründen nicht näher eingegangen werden könne. Es sei dennoch nicht auszuschließen, dass von den gesuchten mutmaßlichen Räubern Staub und Garweg eine Gefahr ausgehen kann. Die Behörden baten die Bürgerinnen und Bürger am Donnerstagnachmittag, die Polizei bei der Fahndung zu unterstützen.

Die Warnung kommt nicht ohne Grund. Zuvor hatten die Ermittler im Wohnhaus von Klette einen gefährlichen Fund gemacht. Sie entdeckten unter anderem Sprengmittel, eine Panzerfaustgranate und mehrere Waffen. Darunter seien eine Kalaschnikow, eine Maschinenpistole und eine Kurzwaffe samt Munition. Da liege die Vermutung nahe - so die Ermittler -, dass auch Staub und Garweg Waffen und Sprengstoff gebunkert haben könnten.

Mittwochabend hatten Kriminaltechniker eine Granate aus dem Wohnhaus von Klette getragen, am Donnerstagmorgen wurde ein weiterer wohl gefährlicher Gegenstand herausgetragen und in ein Spezialfahrzeug verladen. Später folgte ein drittes Fundstück, wie dpa-Reporter beobachteten. „Die Granate sowie Sprengmittel wurden mithilfe spezieller Transporttechnik abtransportiert und an einem gesicherten Ort unschädlich gemacht“, bestätigten dann auch die Ermittler. Auch Nachbarn aus einem gegenüberliegenden Haus mussten währenddessen ihre Wohnungen verlassen, die Straße wurde abgeriegelt. Erst am frühen Donnerstagmorgen wurde die Sperrung aufgehoben und die Anwohner konnten zurück.

Die linksextremistische Vereinigung Rote Armee Fraktion (RAF) war über Jahrzehnte der Inbegriff von Terror und Mord im Westen des noch geteilten Deutschlands. Angehörige der Opfer kritisierten nach der Festnahme Klettes die Behörden. „Die Tatsache, dass eine RAF-Terroristin 20 Jahre vom Verfassungsschutz unentdeckt und unbehelligt mitten in Berlin leben kann, ist mir unheimlich“, sagte Jörg Schleyer der „Bild“. Diesen Umstand müsse die Politik untersuchen und über Konsequenzen „nachdenken“. Der 70-Jährige ist der jüngste Sohn des 1977 von der RAF ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer.

Klettes Festnahme am Montagabend durch Zielfahnder des Landeskriminalamtes (LKA) Niedersachsen feierte die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) als „Meilenstein in der deutschen Kriminalgeschichte“. Aber warum konnte die Linksterroristin nicht früher aufgespürt werden? Der Podcast „Legion“ der Sender NDR und RBB entdeckte bereits im Dezember 2023 bei der Suche nach Daniela Klette eine Frau in Tanzgruppen in Berlin, die ihr täuschend ähnlich sah.

Für den Podcast recherchierte Michael Colborne vom Recherchekollektiv „Bellingcat“ mithilfe einer Gesichtserkennungssoftware. Grundlage waren Fahndungsfotos der jungen Klette. Er habe nur 30 Minuten gebraucht, um zu bestimmen, dass die Fotos auf der Internetseite eines Berliner Capoeira-Studios mit hoher Wahrscheinlichkeit Daniela Klette zeigten, sagte Colborne am Donnerstag der dpa. „Die Tatsache, dass jemand wie ich, der kein Deutsch spricht, so kurze Zeit brauchte, um eine Spur zu finden, die direkt zu Daniela Klette führte, lässt mich fragen, wie sie 30 Jahre lang den Strafverfolgungsbehörden entgehen konnte“, kritisierte der kanadische Journalist.

Das Landeskriminalamt Niedersachsen äußerte sich zunächst nicht zu einer möglichen Fahndung mit Gesichtserkennungssoftware und zur Frage, ob diese überhaupt rechtlich zulässig wäre. Die Datenschutz-Grundverordnung der EU verbietet es, biometrische Daten ohne explizite Einwilligung zu verarbeiten.

Versuche der Bundespolizei mit Gesichtserkennung hätten zu hervorragenden Ergebnissen geführt, sagte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Eine gesetzliche Befugnis, um die Technik bei der Suche nach gefährlichen Tätern, Terroristen oder flüchtigen Tätern anwenden zu dürfen, gebe es allerdings nicht. „Derzeit ist es den Ermittlern nicht erlaubt, das zu tun, das sollte sich ändern“, forderte der Polizeigewerkschafter.

Für die Aufklärung der Morde der linksterroristischen Vereinigung ist die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zuständig. Michael Buback, Sohn des 1977 getöteten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, kritisierte im Berliner „Tagesspiegel“, dass die Erinnerung an die RAF keine besondere Rolle im kollektiven Gedächtnis spiele. „Da nur einer der 34 RAF-Morde vollständig aufgeklärt ist, dürfte noch eine größere Zahl terroristischer Mörder in Freiheit leben“, sagte der 79-Jährige dem Berliner „Tagesspiegel“. „Eine Zahl kann ich nicht nennen, da noch viel zu viel im Dunkeln liegt.“

Gegen Klette liegen laut Bundesanwaltschaft weiterhin Haftbefehle vor. Ermittelt werde gegen sie wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und versuchten Mordes bei Taten Anfang der 90er-Jahre. In Untersuchungshaft sitzt die 65-Jährige derzeit aber wegen sechs bewaffneter Überfälle auf Geldtransporter und Supermärkten in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zwischen 1999 und 2016. Sie schweige zu den Vorwürfen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden am Donnerstag. Konkret sollen Klette, Staub und Garweg laut Staatsanwaltschaft Verden für Taten in Stuhr, Wolfsburg, Hildesheim, Cremlingen, Bochum und Duisburg verantwortlich sein. Dem Trio wird dabei auch versuchter Mord vorgeworfen, weil auch Schüsse bei Überfällen gefallen sein sollen. Garweg, Klette und Staub gehören zur sogenannten dritten Generation der RAF. In ihrer aktiven Zeit wurden der damalige Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen (1989) und Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder (1991) ermordet sowie Herrhausens Fahrer schwer verletzt.