1. Startseite
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Justiz: Fallzahl beim Täter-Opfer-Ausgleich gestiegen

Justiz Fallzahl beim Täter-Opfer-Ausgleich gestiegen

Wer Opfer einer Straftat wird, will meist nicht nur eine Bestrafung des Täters. Es geht auch um Fragen zum Geschehen und um Gefühle, die vor Gericht kaum Platz haben. Der Täter-Opfer-Ausgleich auf Mitbestimmung und Wiedergutmachung. Er wird wieder häufiger genutzt.

Von dpa Aktualisiert: 07.08.2023, 07:49
Ein Mann und eine Frau begrüßen sich mit Handschlag.
Ein Mann und eine Frau begrüßen sich mit Handschlag. Silas Stein/dpa

Magdeburg - Täter und Opfer setzen sich an einem Tisch, sprechen über die Tat - es kann Erklärungen geben, eine Entschuldigung oder eine Wiedergutmachung: Die Zahl solcher Täter-Opfer-Ausgleiche ist in Sachsen-Anhalt nach Jahren des Rückgangs wieder gestiegen. Im vergangenen Jahr landeten bei den Schlichterinnen und Schlichtern 595 Fälle, das waren 40 mehr als noch im Jahr 2021, teilte der Projektleiter für den Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) in Sachsen-Anhalt, Tobias Lentzy, mit.

Die meisten Verfahren wiesen Amts- und Staatsanwälte zu, allerdings herrsche noch zu viel Zurückhaltung. Es seien 404 Fälle erfolgreich geschlichtet worden. 184 scheiterten, etwa weil die am Konflikt Beteiligten nicht wollten oder nicht reagierten. In nur sieben Fällen kam es inhaltlich zu keiner Einigung, weil etwa die Kompromissbereitschaft fehlte. Auch für das laufende Jahr zeichnet sich eine weitere Steigerung ab, bis zur Jahresmitte gab es 311 Fälle und damit mehr als bis zum gleichen Zeitpunkt 2022.

In der Folge der Schlichtungen wurden im vergangenen Jahr laut Lentzy etwa 67.000 Euro Schadensersatzleistungen gezahlt und rund 19.000 Euro Schmerzensgeld. Zudem wurden den Täterinnen und Tätern 1328 Arbeitsstunden auferlegt. Im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs habe es aber auch Geschenke gegeben, Ausflüge, Erlebnistage oder bei Diebstählen wurden entwendete Sachen zurückgegeben. Teils gab es auch Vereinbarungen zum künftigen Verhalten.

Lentzy nannte ein Beispiel, wonach sich ein Paar nach einem Beziehungskonflikt mit Handgreiflichkeiten und Beleidigungen darauf verständigte, dass neben der Aussprache und einer Wiedergutmachung, er in aufkommenden Konfliktsituationen erst einmal joggen geht und sie auf dem Balkon raucht und Musik hört, bevor geredet wird. Das habe mehrfach funktioniert, sagte Lentzy.

An den Verfahren waren nicht nur 669 Täter und 636 Opfer beteiligt, sondern auch 572 Dritte wie Erziehungsberechtigte, Betreuerinnen und Rechtsanwälte. Beim Täter-Opfer-Ausgleich geht es nicht um Bestrafung und Vergeltung, sondern Täter und Opfer sprechen miteinander und es gibt eine von beiden Seiten gewollte Wiedergutmachung. So können Strafverfahren vermieden werden. Zugleich kommen Gefühle, Ängste, Leid, Sorgen und auch Wünsche im Gegensatz zu einem Strafverfahren vor Gericht zum Tragen. Es müssen sich allerdings Täter und Opfer freiwillig dazu bereiterklären.

Die Statistik zeigt, dass die meisten Fälle (68,1 Prozent) binnen eines Vierteljahres abgeschlossen waren, nach einem halben Jahr waren es 97,3 Prozent. Beim Täter-Opfer-Ausgleich ging es am häufigsten um Körperverletzungen - 260 Fälle waren das den Angaben zufolge im Jahr 2022. 79 Mal ging es um Sachbeschädigungen, 61 Mal um Betrug und in 57 Fällen um Beleidigungen, zudem waren 49 Mal Bedrohungen und Nötigungen unter den behandelten Taten. Lentzy sieht noch viel Luft nach oben, etwa bei Fällen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung, Nötigung, Nachbarschaftsstreitigkeiten. „Die Konflikte leben weiter, wenn die Justiz die Verfahren einstellt oder Taten mit kleinen Summen ahndet.“

Projektleiter Lentzy will mit dem Täter-Opfer-Ausgleich möglichst auch die Gefängnisse und inhaftierte Straftäter erreichen. Im dritten Quartal sollen Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausgelotet werden. Erste Fälle habe es schon gegeben. So wandte sich ein nach einem lebensgefährlichen Messerangriff Verurteilter aus der Justizvollzugsanstalt in Burg an die Schlichter, wie Lentzy berichtete.

Er brachte Täter und Opfer zu einem zweieinhalbstündigen Gespräch zusammen, es gab Erklärungen zu den Hintergründen der Tat. Und: „Der Täter hat sich aufrichtig und unter Tränen entschuldigt.“ Das Opfer habe nun keine Angst mehr davor, wenn man sich nach der Entlassung am selben Wohnort treffe. „Sie werden sich dann grüßen“, erwartet der Schlichter. Dieser Fall ist laut Lentzy idealtypisch und wird sich nicht unbedingt in ähnlicher Form wiederholen. Etwa 15 bis 20 Verfahren pro Jahr aus den Gefängnissen hält er für denkbar.

Der Täter-Opfer-Ausgleich, der vom Land Sachsen-Anhalt und aus Mitteln der EU gefördert wird, wird für Erwachsene wie für Jugendliche in Sachsen-Anhalt angeboten.