Theaterfestival Theatertreffen hat begonnen: Sieben-Stunden-Stück als Start
Mit einem Sittenbild über Schwule in New York beginnt in Berlin das Theatertreffen. Das Stück kommt vom Bayerischen Staatsschauspiel und dauert - Achtung! - sieben Stunden inklusive Pausen.
Berlin - Mit einem langen Theaterstück im Stil einer Streamingdienst-Serie hat am Freitagnachmittag das Berliner Theatertreffen begonnen. „Das Vermächtnis“ handelt vom Leben einer Gruppe Schwuler in New York. Das lange Stück mit drei Pausen umfasst viele Figuren, Schauplätze, hat Cliffhanger und ist mit seinen Erzählbögen „gebaut wie eine moderne Netflix-Serie“, heißt es schon in der Ankündigung zu der Produktion des Münchner Residenztheaters.
Inszeniert hat das etwa siebenstündige Stück der auch mit Filmen erfahrene Regisseur Philipp Stölzl („Der Medicus“, „Nordwand“, „Ich war noch niemals in New York“).
Das Drama vom Bayerischen Staatsschauspiel entwirft ein Gesellschaftspanorama, ausgehend vom Schock der linksliberalen Gay-Szene angesichts des Wahlsiegs von Donald Trump im Jahr 2016. Es geht etwa darum, wie zerbrechlich das Erbe des Schwulenaktivismus ist, der in Zeiten der Aids-Krise in den 80ern aufgekommen war.
Inszenierung und Text seien so gebaut, dass das „im besten Sinne wie ein Binge-Watching-Serien-Abend dahinfliegt“, hatte Carolin Hochleichter, eine der Festivalleiterinnen, vorab der Deutschen Presse-Agentur erklärt. Es sei eine „Ansage, dass wir eben nicht mit einem Häppchen von anderthalb Stunden starten, sondern mit einem Sieben-Stunden-Marathon“.
„Das Vermächtnis“ ist also ein Drama im Serienstil, aber eben auch schickes Schauspieler-Theater. Das Stück steht damit im Gegensatz zu manch anderer eingeladener Inszenierung beim Theatertreffen, die Kritiker dem sogenannten Dramaturgentheater zuordnen würden.
„Auf deutschen Bühnen grassieren Projektifizierung und Performeritis“, meinte etwa kürzlich der „Welt“-Autor Jakob Hayner. „Schauspielkunst spielt nur noch eine untergeordnete Rolle.“
„Dramaturgentheater“ bringe gesellschaftspolitische Anliegen, Diskurse und Thesen statt Geschichten oder Gespräche auf die Bühne, monieren Kritiker. „Welt“-Autor Hayner zählt zum Beispiel die „Ibsen-Überschreibung „Nora““ von den Münchner Kammerspielen dazu. Sie steht beim Theatertreffen am 19. und 20. Mai auf dem Programm.
Das Berliner Theatertreffen zählt zu den großen Bühnenfestivals im deutschsprachigen Raum. Eine Jury lädt dafür jährlich zehn besonders bemerkenswerte Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ein. 2023 kommen die Theaterarbeiten aus München, Wien, Basel, Dessau, Bochum und Berlin. Das Festival geht bis zum 28. Mai.
2022 hatte das Festival erstmal seit der Corona-Pandemie wieder mit Publikum stattgefunden, 2021 und 2020 war das Festival wegen der Ausbreitung des Coronavirus nur digital über die Bühne gegangen.
Theatertreffen 2023 - „Zehn bemerkenswerte Inszenierungen der Saison, ausgewählt von einer Kritiker*innen-Jury, geben einen komprimierten Einblick in die deutschsprachige Theaterszene“:
- Residenztheater München: „Das Vermächtnis (TheInheritance)“ von Matthew Lopez aus dem Amerikanischen von Hannes Becker, frei nach dem Roman „Howards End“ von E.M. Forster, Regie und Bühne: Philipp Stölzl
- Volksbühne Berlin: „Ophelia's Got Talent“ von Florentina Holzinger, Konzept und Regie Florentina Holzinger, eine Produktion der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin und Spirit in Koproduktion u.a. mit Productiehuis Theater Rotterdam, Tanzquartier Wien
- Deutsches Theater Berlin: „Der Einzige und sein Eigentum“, ein Stück Musiktheater von Sebastian Hartmann und PC Nackt nach Max Stirner, Regie und Bühne: Sebastian Hartmann
- Schauspielhaus Bochum: „Der Bus nach Dachau“ von De Warme Winkel und Ensemble, Konzept und Regie: Vincent Rietveld, Ward Weemhoff (De Warme Winkel); eine Produktion von Schauspielhaus Bochum und De Warme Winkel, Koproduzent Internationaal Theater Amsterdam
- Münchner Kammerspiele: „Nora“, ein Thriller von Sivan Ben Yishai, Henrik Ibsen, Gerhild Steinbuch, Ivna Žic, Deutsche Übersetzung: Tobias Herzberg, Hinrich Schmidt-Henkel, Regie: Felicitas Brucker
- Theater Basel: „Ein Sommernachtstraum“ von William Shakespeare, Deutsch von Angela Schanelec in Zusammenarbeit mit Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens, Regie: Antú Romero Nunes
- Burgtheater Wien: „Die Eingeborenen von Maria Blut“ von Maria Lazar, Bühnenfassung: Lucia Bihler und Alexander Kerlin; Regie: Lucia Bihler
- Schauspielhaus Bochum: „Kinder der Sonne“ von Maxim Gorki, Deutsch von Ulrike Zemmer, Regie: Mateja Koležnik
- Burgtheater Wien: „Zwiegespräch“ von Peter Handke, Regie: Rieke Süßkow
- Anhaltisches Theater Dessau: „Hamlet“, Tragödie von William Shakespeare, Fassung von Philipp Preuss unter Verwendung der Übersetzung von Marius von Mayenburg, Regie: Philipp Preuss