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Corona-Krise Warum wir uns an die Lockerungen gewöhnen müssen

Die Neuinfektionen gehen zurück, die Inzidenz sinkt: Deutschland öffnet sich wieder. Doch wie kommen wir mit den zurückgewonnenen Freiheiten zurecht? Und welche Corona-Maßnahmen könnten uns auch in Zukunft nützen?

Von Mona Wenisch, dpa Aktualisiert: 29.05.2021, 10:44
Wann ist es Zeit, der Maske Lebewohl zu sagen?
Wann ist es Zeit, der Maske Lebewohl zu sagen? Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa

Düsseldorf/Leipzig - Dicht gedrängt im Club tanzen, ohne Maske Bahn fahren: Aus Sicht von Experten werden sich viele Menschen nach den Lockerungen der Corona-Maßnahmen an ihre zurückgewonnenen Freiheiten erst wieder gewöhnen müssen.

„Sich von den neuen Gewohnheiten und Regeln jetzt wieder zu lösen, fällt vielen schwer“, sagt Simone Dohle, Gesundheits- und Sozialpsychologin an der Uni Köln. Abstand halten, Maske tragen und zu Hause arbeiten - diese Routinen seien für die Menschen eine Art Anker gewesen, der geholfen habe, durch die Unsicherheiten der Pandemie zu kommen.

Einen Cappuccino im Café trinken, in der Innenstadt shoppen gehen - jeder Mensch habe ein anderes Tempo bei der Rückkehr zur Normalität, sagt Martin Grunwald, experimenteller Psychologe und Leiter des Haptik Labors an der Uni Leipzig. Es werde nun eine Übergangszeit brauchen, um sich an die Lockerungen zu gewöhnen. „Die jungen Leute werden die Eisbrecher sein.“

Dauerhaft auf Händeschütteln, Umarmungen und Küsschen zu verzichten, sei aber undenkbar. Die Nähe zu anderen sei in der Natur des Menschen verankert, so der Experte. „Für unsere Spezies ist es ziemlich dramatisch, wenn wir uns nicht unbefangen berühren können.“

Bereits zu Beginn der Pandemie sei es den Menschen schwer gefallen, sich an die neuen Maßnahmen und die fehlende Nähe zu gewöhnen, sagt Dohle. Beim Einkaufen an die Maske denken, bei der Begrüßung nicht die Hand, sondern den Ellbogen reichen: Verhalten, das erst nach vielen Wiederholungen zur Routine werde. Gewohnheiten zu ändern, sei ein großer kognitiver Aufwand. „Am Anfang haben sich Masketragen und Abstandhalten komisch angefühlt, jetzt ist es der neue Status quo.“

Deshalb sei es derzeit auch ein komisches Gefühl, im Fernsehen Menschenmassen zu sehen, die eng beieinander stünden oder feierten. „Menschliche Nähe ist aber ein Grundbedürfnis“, sagt Dohle. „Es gibt Leute, die sehnen sich danach, wieder in Menschenmassen zu stehen. Die werden dann auch schnell wieder in Clubs wollen.“ Andere, die sich dabei unwohl fühlten, würden damit noch warten.

Früher oder später seien Küsschen, Umarmungen und Nähe aber wieder Teil unseres Alltags, sagt Grunwald. „Ich denke nicht, dass es langfristig Veränderungen in unserem sozialen Körperkontakt geben wird. In ein bis zwei Jahren wird das quasi vergessen sein.“

Können wir nach der Pandemie Maske, Abstand und Co. also aus unserem Leben verbannen? Lieber nicht, sagt Jörg Timm, Direktor des Instituts der Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. „Wenn man selbst Zeichen einer Erkältung hat, ist es durchaus sinnvoll, auch in Zukunft eine Maske aufzuziehen, um andere zu schützen“. Vor allem mit Blick auf die Grippesaison.

„Wir hatten eine gewisse Sorglosigkeit bei der Ansteckungsgefahr für das Umfeld, wenn man selbst krank ist“, sagt Timm. „Das Bewusstsein, das während Corona entstanden ist, dass ich mit meiner persönlichen Erkrankung auch andere Menschen gefährden kann, ist wichtig.“ Auch regelmäßiges Händewaschen und das Einhalten der Husten-Etikette hätten während der Krise Wirkung gezeigt, die Grippesaison sei vollständig ausgefallen. „Gründliches Händewaschen und deutlich weniger Händeschütteln wirken.“