Jurist in Untersuchungshaft Wegen Staatsanwalt: Kokain-Kurier bekommt neuen Prozess
Der Spediteur einer Bande von Drogenhändlern hat das Urteil gegen ihn vor dem Bundesgerichtshof angefochten. Die Revision hatte teilweise Erfolg. Hintergrund sind Ermittlungen gegen den Staatsanwalt.
Hannover/Leipzig - Im Zusammenhang mit dem Fall eines inzwischen in U-Haft sitzenden Staatsanwalts hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil gegen ein Mitglied einer Kokain-Bande teilweise aufgehoben. Eine andere Kammer des Landgerichts Hannover müsse neu über das Strafmaß entscheiden, verkündete der 6. Strafsenat des BGH mit Sitz in Leipzig. Die Verteidiger des Spediteurs des Drogen-Kartells hatten das Urteil angefochten. Der Unternehmer aus dem Harz war laut BGH verantwortlich für den Transport der Drogen aus dem Hamburger Hafen in die Niederlande. Im Februar 2021 wurden im Hamburger Hafen rund 14 Tonnen Kokain mit einem Marktwert von rund 448 Millionen Euro entdeckt.
„Mein Mandant hatte kein faires Verfahren“, sagte Rechtsanwalt Pascal Ackermann. Obwohl der Spediteur schon im Oktober 2022 Angaben zu dem inzwischen inhaftierten Staatsanwalt gemacht habe, sei dieser Sitzungsvertreter in dem Prozess gegen seinen Mandanten geworden und habe sogar das Plädoyer im März 2023 gehalten.
BGH: Angeklagter machte Angaben zu „Schmiergeldern“
Laut BGH machte der Angeklagte im Zwischenverfahren Angaben zu Personen aus dem Bereich von Polizei und Justiz, die gegen „Schmiergelder“ Informationen an Mitglieder der Gruppierung herausgegeben hätten. Er bezichtigte namentlich den in seinem Verfahren die Ermittlungen führenden Staatsanwalt und machte zu dessen Handlungen einzelne weitere Angaben. Dies führte – nach den Urteilsfeststellungen – zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Juristen durch die Staatsanwaltschaft Hannover.
Dieses Verfahren wurde im Oktober 2023 eingestellt, weil sich der Tatverdacht nicht erhärtete. Die Ermittlungen wurden im Juni 2024 wieder aufgenommen. Nach der Entschlüsslung von Chats Krimineller über Drogengeschäfte sei die Erkenntnislage eine andere gewesen, erläuterte das niedersächsische Justizministerium. Seit Ende Oktober 2024 sitzt der 39-jährige Jurist unter anderem wegen Bestechlichkeit in Untersuchungshaft. Er soll die Bande mit Informationen versorgt haben. Führende Köpfe des Kokain-Kartells flüchteten nach Dubai und konnten bei einer Razzia nicht gefasst werden.
Bisher hat sich der inhaftierte Staatsanwalt nicht öffentlich zu den Vorwürfen gegen ihn geäußert. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Der Spediteur war im März 2023 vom Landgericht Hannover zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der Schuldspruch bleibe bestehen, sagte der Vorsitzende Richter Burkhard Feilcke in Leipzig. Die Verurteilung wegen bandenmäßigen Drogenhandels ist damit rechtskräftig.
BGH: Landgericht würdigte nicht „Aufklärungsbemühungen“
Allerdings habe die Strafkammer des Landgerichts Hannover die „Aufklärungsbemühungen“ des Angeklagten hinsichtlich des Staatsanwalts nicht einmal erörtert. „Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Kammer eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn sie die Aufklärungsbemühungen in den Blick genommen hätte“, sagte Feilcke. In Bezug auf einen Mitarbeiter der Polizei, der auch bestochen worden sein soll, habe das Gericht die Aufklärungsbemühungen des Angeklagten zumindest thematisiert.
In dem neuen Prozess vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts Hannover könnte der Spediteur eine mildere Strafe erhalten. Verteidiger Ackermann hofft darauf, dass der neue Prozess im Frühjahr 2025 startet. Die Richter dürfen in dem Revisionsprozess kein höheres Strafmaß verhängen. Die Mindeststrafe für bandenmäßigen Handel mit Drogen in nicht geringer Menge liegt bei fünf Jahren Haft.
Bundesrichter sehen keine schweren Pflichtverletzungen
Das Recht auf ein faires Verfahren sieht der BGH nicht als verletzt an, weil damals nur vage Verdachtsmomente gegen den Staatsanwalt bestanden hätten, wie der Vorsitzende Richter in Leipzig begründete. Es seien keine schweren Pflichtverletzungen des Staatsanwalts in dem Verfahren ersichtlich. Zudem sei ihm während des gesamten Prozesses sein Vorgesetzter, ein Oberstaatsanwalt, zur Seite gestellt worden.
Verteidiger Ackermann blieb nach der Entscheidung in Leipzig bei der Auffassung, dass sein Mandant kein faires Verfahren gehabt habe. „Ich bin der Meinung, man hätte damals schon den Staatsanwalt austauschen müssen“, sagte der Rechtsanwalt aus Hannover. „Er hat die Verhandlung maßgeblich geleitet und er hat im Ergebnis auch das Plädoyer komplett alleine gehalten.“ Dabei hätte der Staatsanwalt eigentlich auch „seine eigenen Tatbeiträge“ würdigen müssen, sagte Ackermann.
Durch den Fall ist Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) unter Druck geraten. Die oppositionelle CDU spricht von einem „Justizskandal“, weil die Ministerin die Sache zwei Jahre laufengelassen und sich nicht gekümmert habe. Wahlmann weist diesen Vorwurf zurück. Nach dpa-Informationen war der Beschuldigte noch in diesem Sommer Sitzungsvertreter in einem Drogenprozess.