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Umsturz und Entführung Wie gefährlich waren die Pläne der „Vereinten Patrioten“?

Sie wollten die Regierung stürzen, einen Minister entführen und einen Stromausfall provozieren. Im Prozess hatten die Angeklagten teils abstruse Aussagen dabei. Doch wie gefährlich sind sie wirklich?

Von dpa 06.03.2025, 07:00
Das Urteil könnte schon am Donnerstag fallen. (Archivbild)
Das Urteil könnte schon am Donnerstag fallen. (Archivbild) Thomas Frey/dpa POOL/dpa

Koblenz - Einblicke in abstruse Ideen hat es im Koblenzer Prozess um einen geplanten Umsturz in Deutschland reichlich gegeben. Seit zwei Jahren geht es dort vor dem Oberlandesgericht um die „Vereinten Patrioten“, eine Gruppe sogenannter Reichsbürger, um ihre Pläne und ihre verworrenen Ideen. Die Verschwörungstheorien und Selbstdarstellungen der Anhänger prägten den Prozess. Doch wie gefährlich ist die Gruppe nun?  

„Traditionell organisierte extrem rechte Reichsbürger nutzen das Gericht als Bühne“, analysiert der Politikwissenschaftler Jan Rathje vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie, der sich seit Jahren mit Rechtsextremismus und den „Reichsbürgern“ beschäftigt. Die Anhänger dieser Ideologie erkennen die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht an.

„Reichsbürger versuchen, innerhalb des Gerichtsaals häufig die Existenz des Holocaust infrage zu stellen, mit dem Ziel, damit die Legitimation der Bundesrepublik Deutschlands anzugreifen“, sagt der Wissenschaftler. Das sei eine gängige Strategie. Man habe es hier mit dem explizit antisemitischen und extrem rechten Kern des Milieus zu tun. 

„Mind control“ und „Terror im Hirn“

Vor allem eine der fünf Angeklagten fiel während des Prozesses mit solchen Äußerungen auf: Die mittlerweile 77-Jährige präsentierte immer wieder antisemitische Erzählungen. Für Zuhörer und Zuhörerinnen war es teils sehr schwer, ihren Ausführungen zu folgen.

So bezeichnete die Frau Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als „Geschäftsführer“, fabulierte über eine Nazisiedlung in der Antarktis und darüber, dass die Verzichtsurkunden des Kaisers Fälschungen seien. Von sich selbst sprach die als „Treuhandbegünstigte“ oder „Preußin“, meist in dritter Person. 

Die 77-Jährige gab auch die unter Reichsbürgern verbreitete Auffassung wieder, Deutschland habe keine gültige Verfassung, sondern nur ein provisorisches Grundgesetz. „Dieses wird aber politisch und medial immer wieder als Verfassung propagiert und obendrein hochgelobt“, sagte sie. „Aber mind control, Terror im Hirn, beginnt natürlich mit der Begriffsverdrehung.“ Ihre antisemitischen Äußerungen mischten sich mit völlig abschweifenden Vorträgen, etwa über den Aufbau der Amygdala im Gehirn oder biologische Abläufe.

Letzte Worte in Reimform

Auch andere Angeklagte scheuten nicht vor Show im Gerichtssaal zurück. So sagte ein 47-jähriger, der früher nach eigenen Worten als Comedian auftrat, seine letzten Worte vor dem Urteil in Reimform auf: „Land auf, Land ab ist es längst erkannt: Hier wird versucht zu löschen, was niemals hat gebrannt.“

Gleich am ersten Prozesstag inszenierte sich auch der aus Brandenburg stammende Sven Birkmann, der gerne mit vollem Namen in der Öffentlichkeit genannt werden möchte. Er hielt einen Zettel auf einem Aktenordner hoch, auf dem in kyrillischer Schrift stand: „Mit unserem Bruder. Für Frieden und Freundschaft. Krieg gegen den Faschismus.“ Dazu waren eine blaue Taube und ein rotes Herz gemalt. 

Birkmann sagte im Prozess, dass für ihn alles mit der Corona-Pandemie angefangen habe. Wissenschaftler Rathje erläutert, das Milieu von Reichsbürgern sei während der Hochphase der Proteste gegen Corona-Maßnahmen aktiv auf das sich bildende Querdenker-Milieu zugegangen, auch danach noch. Während der Pandemie habe das gut funktioniert, weil die Feindbilder der Gruppen geteilt worden seien. „Reichsbürger konnten das Feindbild des Staates und der Regierung aufgreifen und noch mal erweitern.“

Entführung Lauterbachs und neue Verfassung geplant?

Dabei klingen schon die Pläne der Gruppe mehr nach Thriller als nach Realität: Laut Anklage wollten sie mit Sprengstoffanschlägen einen mehrwöchigen Stromausfall auslösen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sollte bei einem Talkshow-Auftritt entführt werden. Die Gruppe habe demnach auch eine Reise nach Russland geplant, um Putin um Unterstützung zu bitten. 

Doch damit nicht genug: Bei einer „konstituierenden Versammlung“ in Berlin sei schließlich geplant gewesen, die Regierung abzusetzen und neue Führungspersonen zu bestimmen, hieß es in der Anklage. Dazu sollte laut Plan auch ein Schauspieler als Bundespräsident oder Bundeskanzler im Fernsehen auftreten und die Absetzung der Bundesregierung bekanntgeben.

Wie gefährlich waren die Pläne?

Die Pläne scheinen furchteinflößend und absurd zugleich. Doch der Politikwissenschaftler ordnet ein: „Für das politische System der Bundesrepublik Deutschland stellten die Pläne dieser Gruppe meines Erachtens keine Gefahr dar“, sagt Rathje. „Hätte diese Gruppe diese Pläne allerdings verwirklicht, hätte das durchaus Konsequenzen für Teile der Gesellschaft haben können.“

Ein Blackout könne etwa durchaus auch Menschenleben kosten. „Wesentlich konkreter dürfte es gewesen sein, wenn die Gruppe versucht hätte, den damaligen Gesundheitsminister Lauterbach zu entführen. Dann hätte es durchaus auch zu Blutvergießen und bis hin zur Todesfolge kommen können“, sagt der Experte.

Auch wenn nicht alle der fünf Angeklagten „Reichsbürger“-Ideologien verfolgten, steht für ihn fest: „Hier zeigt sich, dass es Teile der Extremrechten geschafft haben, eine breitere, sich radikalisierende Gruppe von Menschen anzusprechen, die bereit gewesen sind, Gewalttaten auszuüben ohne vollständig ein geschlossenes, souveränistisches oder extrem rechtes Weltbild ausgebildet zu haben.“