Amateurfußball Hass in der Nachspielzeit
Nach einem vermeintlichen Foul steht ein afrikanischer Fußballer von Grana im Burgenlandkreis in den sozialen Netzwerken am Pranger.
Grana l Im Vereinsheim von Blau-Weiß Grana stehen viele Bierflaschen herum. Verschlossen. Um ihre Hälse hat sich eine dünne Staubschicht gelegt. Zu feiern gab es hier lange nichts mehr. In der Liga will seit Ende August niemand mehr gegen Grana spielen. Aus Protest. Aus Angst, heißt es.
31. August, zweite Halbzeit, Grana führt auswärts in Löbitz mit 4:1. Moritz Prater geht verletzt zu Boden, Momodou Jawara steht daneben. Kurze Zeit später wird der 17-Jährige per Hubschrauber ins Krankenhaus nach Jena geflogen. Diagnose: mehrfacher Schien- und Wadenbeinbruch. Heute, drei Wochen später, hat Prater die letzte Operation hinter sich, „der Schmerzkatheter ist jetzt raus, jetzt muss er das Bein sechs Wochen hochlegen“, sagt sein Vater Frank. Der ist auch Vereinsvorsitzender in Löbitz. Für ihn ist klar, was passiert ist. Jawara hätte seinen Sohn vorsetzlich verletzt, sei wie schon des Öfteren in der Vergangenheit böswillig eingestiegen. Johannes Heger, Granas Kapitän und Vorstandsmitglied, stand wenige Meter daneben. „Beide Spieler haben gegen den Ball getreten, ein klassischer Pressschlag.“ Mario Schettig, Granas Trainer, nickt. „Es tut uns unendlich leid für den Jungen, aber das war ein Pressschlag“, sagt auch er. Nicht nur Prater, die gesamte Liga sieht das anders.
Ein Artikel vom Naumburger Tageblatt verbreitet sich. Darin steht: „Mamodon Jawara ist übrigens nicht das erste Mal so unrühmlich aufgefallen. Bereits in der vergangenen Saison hatte er drei anderen Spielern gegnerischer Teams Bein- und Knöchelbrüche zugefügt.“ Zwei Sätze, die hängenbleiben.
Der TSV Tröglitz reist eine Woche später zum Pokalspiel in Grana an, tritt aber nicht an. Weil Jawaras Name auf dem Spielberichtsbogen steht. „Wir mussten einfach reagieren“, sagt Tröglitz‘ Vorsitzender Jörg Heinold. „Wir haben mit dem Spieler unsere eigenen Erfahrungen gemacht.“ In der vergangenen Saison sei Jawara einem seiner Spieler von hinten in den Rücken gesprungen, „ein kompletter Ausraster“. Granas Vereinsvorsitzender Björn Koch will das nicht schönreden. „Wir haben mit ihm gesprochen, das war natürlich nicht in Ordnung.“
Eine Aktion, die knapp ein Jahr später wie Treibstoff für den längst nicht mehr aufzuhaltenden Hass-Zug gegen Jawara wirkt, der immer schneller, erbarmungsloser unterwegs ist – und nach rechts lenkt. Auf Propaganda-Plattformen prangert die Überschrift „Brutalo Armutsasylant bricht vier jungen Fußballern grundlos Beine.“ Dazu ein Foto von Jawara. „Drecksschwein“, einer von vielen Facebook-Kommentaren. Viele hat Heger bereits gelöscht.
Es ist ein Fall, der zeigt, wie schnell sich das Kollektiv im virtuellen Raum versammelt, verbündet, jedes Daumen-Hoch- Emoji den Zug einen km/h schneller macht. Menschen, die bei keinem der viel zitierten „vier Fälle“ dabei waren, applaudieren virtuell jedem neuen Boykott. Auch der SV Teuchern reiste am 14. September zum Auswärtsspiel in Grana an und nach der Erwärmung wieder ab. Weil Jawaras Name auf dem Spielberichtsbogen steht. „Wir müssen unsere Spieler schützen“, sagt der Vorsitzende Dirk Angermann. „Er soll in Löbitz und in der letzten Saison angeblich schon drei Spieler verletzt haben.“ Ein Satz, der hängenbleibt. Wieder. Auch bei Jawara. Als Teuchern bereits abgereist ist, sitzt der 29-Jährige, der 2015 vor dem Militär-Regime in Guinea-Bissau floh, noch immer in der Kabine. „Wenn keiner mehr gegen uns spielen will wegen mir, dann höre ich auf“, sagt er. Heger und Koch wollen das nicht. „Wir werden nicht einknicken.“
2015 kamen Bewohner des damals benachbarten Asylheims auf den Sportplatz von Grana, trainierten schon bald mit. Heute hat Grana Spieler aus 14 Nationen, verhalf einigen von ihnen zu Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. „Der Verein hängt seine integrative Arbeit nicht an die große Glocke“, sagt Kretzschaus Bürgermeisterin Anemone Just. Dass viele Mitglieder nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, sei bisher in der Gemeinde kaum Gesprächsthema gewesen.
Auf den Sportplätzen im Burgenlandkreis aber sehr wohl. Erstaunlich sachlich berichten Heger und Koch von Beschimpfungen an Spieltagen, von Rassismus als Alltagsphänomen im Amateurfußball. „Einmal hieß es ‚oh, da läuft wieder das Kohle-Brikett herum‘“, sagt Heger und winkt ab. Bisher hätten das die Spieler immer gut weggesteckt. Seit drei Wochen ist das anders. „Die Anfeindungen gegen ‚Momo‘, die beziehen die anderen Spieler auch auf sich. Sie fühlen sich nicht mehr erwünscht“, sagt Koch. Schiedsrichter würden vor der Partie Dinge sagen wie „Wer nicht Deutsch spricht, sieht rot“ oder „Hier sind mir zu viele Ausländer auf dem Platz“. Der KFV-Vorsitzende Thomas Reichert streitet das ab. Generell sei das ja eine gute Sache, „was da so gemacht wird in Grana mit der Integration“, sagt er. Aber wenn man mal bei den Spielen sei, da sehe man schon, was da so am Spielfeldrand abgeht. Auf die Frage, was genau er damit meine, antwortet Reichert: „Na, was da so rumhoppelt.“ Konkreter wird er nicht. Muss er auch nicht.
Vor wenigen Tagen verkündete einer der Hauptsponsoren, dass Grana erst einmal nicht mehr mit den Trikots und seinem Firmenlogo auflaufen darf. Die Mannschaft solle doch bitte wieder nur mit deutschen Spielern auflaufen.
Um die Hautfarbe, die Herkunft Jawaras, darum gehe es überhaupt nicht, beteuern alle Vereinsvertreter. „Das hätte auch Müller, Meier, Schulze sein können“, sagt Angermann. Auch Heinold erklärt: „Es geht uns nur um den Fußballspieler, der sich nicht korrekt verhält und das muss Folgen haben.“ Es sei gesellschaftlich leider eine Unsitte geworden, dass in solchen Fällen sofort rechte Kräfte auf den Zug aufspringen würden.
Eintracht Profen II ist planmäßig Granas nächster Gegner. „Vier schwere Knochenbrüche in einem Jahr, das kann kein Zufall sein“, sagt Fußball-Abteilungsleiter Ronny Friedrich. Auch hier basiert die Meinung auf „dem Austausch mit den anderen Vereinen“. Selber habe der Verein keine schlechten Erfahrungen mit Jawara gemacht. Laut einer Statistik des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft von 2016 ereignet sich jeder dritte Sportunfall im Fußball – bei jedem vierten davon kommt es zum Knochenbruch.
Kathleen Arndt, die Schiedsrichterin bei der Partie in Löbitz, wollte sich gegenüber der Volksstimme nicht äußern. Jawara sah nach dem vermeintlichen Foul gegen Prater keine Karte. Der Fußballverband Sachsen-Anhalt hat alle Spielberichtsbögen der vergangenen vier Jahre mit Granaer Beteiligung begutachtet. „In keinem einzigen steht etwas von diesen vier Fällen“, sagt FSA-Geschäftsführer Christian Reinhardt. Zum Vorfall in Löbitz gebe es widersprüchliche Aussagen. „Meine Befürchtung ist, dass die Situation politisiert wird.“
Einer der vermeintlichen „vier Fälle“ soll sich am 15. Juni 2018 im Heimspiel gegen Motor Zeitz II zugetragen haben. Heiko Dunkel sagt: „Meinem Sohn Kevin Kunze wurde das Sprunggelenk im linken Fuß durch diesen Spieler gebrochen.“ Der Ball sei lange weg gewesen. Im Spielberichtsbogen steht davon nichts. Jawara sah auch keine Karte. Kunze sei bis Spielende, so Dunkel, an der Seitenlinie behandelt worden. „Der Spieler hat selbst zur Grätsche gegen Momo angesetzt und sich dabei verletzt“, sagt Koch. Der zweite Fall, 22. September 2018. Hohenmölsen und Grana trennen sich 2:2. „Unserem Spieler wurde das Bein gebrochen“, sagt der Vize-Vorsitzende des SV Hohenmölsen, Stephan Schubert. Wieder soll es Jawara gewesen sein. Wieder ist nichts dokumentiert. Auf die Frage, ob das Foulspiel vorsätzlich gewesen sei, antwortet Schubert: „Nein, bei einem Zweikampf.“ Er hofft darauf, dass die Diskussion wieder sachlicher wird, „das wurde alles viel zu sehr emotionalisiert“. Antworten könnten die Unparteiischen liefern, doch selbst Tobias Czäczine, im KFV für das Schiedsrichterwesen verantwortlich, sagt: „Ich möchte mich dazu nicht äußern.“
Am Dienstag treffen sich alle Vereinsvertreter, auch der KFV und der FSA sind dabei. Friedrich will das Gespräch abwarten, „erst dann werden wir entscheiden, ob wir gegen Grana antreten“. Reichert sagt: „Ich setze auf die Vernunft.“ Koch schüttelt den Kopf. „Die wollen, dass wir Momo nicht mehr aufstellen, aber das wird nicht passieren.“