1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Reitsport in Sachsen-Anhalt: Das Leben ist (k)ein Ponyhof

EIL

Reitsport in Sachsen-Anhalt Das Leben ist (k)ein Ponyhof

Bei den Spielen in Paris zählen die deutschen Reiter um Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl zu den Top-Favoriten. Was sie eint: Alle haben mal klein angefangen. So wie Anais Brandt (16), Skady Trümper (16) und Niklas Reichert – Sachsen-Anhalts erfolgreichster Reit-Nachwuchs.

Von Janette Beck 27.07.2024, 18:24
Auf dem Sprung in die nationale Spitze? Anais Brandt aus Rottmersleben erlernte das Ponyreiten-ABC in der Reitschule Beschnidt in Schackensleben. Kürzlich überzeugte die 16-Jährige mit Rang zwei bei den Süddeutschen Meisterschaften.
Auf dem Sprung in die nationale Spitze? Anais Brandt aus Rottmersleben erlernte das Ponyreiten-ABC in der Reitschule Beschnidt in Schackensleben. Kürzlich überzeugte die 16-Jährige mit Rang zwei bei den Süddeutschen Meisterschaften. Foto: K. Schmidt

Sie hießen Moritz, Funny oder Wolle – wie bei Dressurreiterin Jessica von Bredow-Werndl, Doppelolympiasiegerin von Tokio 2021. Die Rede ist von den ersten Pferden, auf denen Deutschlands Top-Reiter, die bei Olympia bis dato 95 (!) Medaillen holten, angefangen haben. aber nicht nur für Olympiasieger in der Dressur oder im Spring- oder Vielseitigkeitsreiten, auch für Hobbyreiter, Reitsportanfänger oder Turnierreiter gilt: Wer reiten will, braucht zuallererst einen vierbeinigen Lehrmeister.

Und so ist es oft das erste Pferd, das ganz tiefe Spuren im Herzen eines Reiters hinterlässt. „Wolle hat regelrecht auf mich aufgepasst. Er war klein und weiß und unheimlich brav“, schwärmt von Bredow-Werndl noch heute von ihrem „perfekten“ Schulpony. „Wolle hat mir den Einstieg in den Reitsport so einfach wie möglich gemacht, weil er sooo ehrlich war und nett.“

Von wegen klein und süß

Klein anfangen also. Auch im Reitsport. Das erklärt natürlich, warum Sachsen-Anhalts erfolgreichste Nachwuchsreiter, Anais Brandt (16), Skady Trümper (16) und Niklas Reichert (13), auf Ponys reiten. Süß, gehorsam, händelbare Größe, lange Mähne, große Kulleraugen, frische Luft um die Nase beim Ausritt in die Natur ... Och, wie schön und wie beneidenswert. Das Leben ist ein Ponyhof – denkt sich unsereins.

Doch weit gefehlt. So mittendrin im Springparcour auf dem Reiterhof von Landestrainer Maik Kebernick in Westdorf bei Aschersleben wird einem ganz anders. Wenn die jungen Reiter auf einen drauf zu galoppieren, im letzten Moment die Kurve kriegen und mit einem Irrsinns-Tempo Hindernisse von bis zu 1,35 Meter Höhe oder Graben von 4,00 Metern Breite überspringen, löst sich die romantische Vorstellung vom Ponyhof schnell in Luft auf. Was bleibt, ist gehöriger Respekt. Vor der Größe der Ponys, die mit einem Stockmaß von bis zu 1,48 Meter eher kleine Warmblut-Pferde sind. Und vor dem Können der jungen Reiter. Ponyspringreiten, wie es die drei Landeskader inzwischen betreiben, ist Leistungssport pur. Und harte Arbeit. Erst recht, wenn man sich auf die deutschen Meisterschaften vorbereitet und wie an diesem Ferientag vom Landestrainer buchstäblich an die Kandare genommen wird.

Raus bei Wind und Wetter

Dass es plötzlich gewittert und wie aus Eimern gießt, stört Anais Brandt nicht. „Das ist okay für uns. Kein Ding.“ Und auch ihre Melly, wie bei den anderen zwei Teamkollegen ein Deutsches Reitpony, lässt sich nicht beirren und nimmt die Hindernisse mit Bravour. Skady und ihr 12-jähriges Pony Q-Magic ebenso. Nur mit Niklas, dem „jungen Wilden“, gehen mal wieder die Pferde durch. Es poltert mächtig, als er mit Cyano, vom Donnern begleitet, aus dem Rhythmus kommt und den Oxer (Hindernis für einen Hochweitsprung) reißt. Der 13-Jährige ärgert sich, klopft aber seinem Schimmel beruhigend den Hals. „Alles guuuuut.“

Kebernick, pitschnass bis auf die Knochen, registriert all das mit einem Augenzwinkern. „Wir sind halt Outdoorsportler, da müssen wir durch. Ob bei Gluthitze, Platzregen oder Eiseskälte, egal, die Pferde wollen und müssen raus und bewegt werden“, sagt er. Außerdem: Auch bei Meisterschaften müsse man es nehmen, wie es kommt. „Da ist so ein Wetter wie heute eine gute Schule – für Reiter und für Pony.“

Im Visier des Bundestrainers

Der Pferdewirt, Züchter und Ausbilder weiß, wovon er spricht. Auf seinem Hof, auf dem es an diesem Nachmittag von Kindern und Eltern, die gerade Ferien auf dem Reiterhof machen, nur so wimmelt, stehen 15 Pferde. Seit 2005 ist er als Landestrainer im Ponybereich verantwortlich. 2022 kam der Reiternachwuchs bis 21 Jahre hinzu. In Anais, Skady und Niklas sieht er großes Potenzial. „Die drei sind auf dem besten Weg, dem ostdeutschen Reitsport zu mehr Renommee zu verhelfen. Sie sind sehr ehrgeizig und wollen es unbedingt.“

Mit Erfolg: Im Juni hat das Trio bei den süddeutschen Meisterschaften im Ponyreiten als Team Sachsen-Anhalt den „Nationenpreis“ gewonnen. Anais stand zudem im Einzel auf dem Silberpodest. Bei den Landesmeisterschaften vor zehn Tagen mischte sie mit Melly sogar bei den großen Pferden mit, wurde Zweite. Der Nachwuchs-Bundestrainer habe alle drei bereits im Visier. „Aber nicht nur sie, auch ihre Eltern stehen voll hinter dem Sport“, betont Kebernick. „Davon gibt es leider viel zu wenige.“ Die meisten Anfänger wollen nur „rumspielen“, wie die Profis zu sagen pflegen. „Aber Reiten als Leistungssport ist harte Arbeit. Für Reiter und Pferd. Und es ist ein sehr teures Hobby. Das wird oft unterschätzt.“

„Oh ja!“ Bestätigt Anais’ Mutter, Kathleen. Wie die Mütter der anderen beiden auch, hat sie ihr Kind samt Pony im Pferdeanhänger nach Westdorf kutschiert. Niemand in der Familie hatte je mit Reiten etwas am Hut, erzählt sie. Bis der Tochter das Cheerleading nicht mehr gefiel und ihr Mädchen in der Grundschule vom Reiten vorschwärmten. Die damals Neunjährige setzte sich in Hohendodenleben auf ein Pony – das war der Beginn einer großen Leidenschaft, die schnell ins Geld ging. Abgesehen von anfangs 30 Euro für eine Stunde Reitunterricht auf einem Schulpferd – das Ganze dann auch als Sport zu betreiben, ist ein Luxus, den man sich leisten können muss, bestätigen die Mütter unisono. „An einem Turnierwochenende kommen mal locker 1.000 Euro zusammen.“

Ganz zu schweigen von einem soliden Sportpony. Das kostet ab 20.000 Euro aufwärts. Für die „Fertigen“ mit Top-Stammbaum blättern die Stars der Szene gar 100.000 Euro hin. „Aber was tut man nicht alles für sein Kind. Und mir ist es lieber, Anais ist im Stall und lernt, Verantwortung zu übernehmen, als dass sie in der Bushaltestelle im Dorf abhängt oder am Handy klebt.“

Die 16-Jährige lächelt. Sie weiß zu schätzen, dass sie ihren „Pferdemädchen-Traum“ auf dem Vierseitenhof in Rottmersleben (Landkreis Börde) leben darf. „Hätte Mama gewusst, was auf sie zukommt, als ich ein eigenes Pony haben wollte, weil mir das Reiten im Schulbetrieb nicht mehr ausreichte und ich unbedingt Turniere reiten wollte, hätte sie vielleicht nicht ja gesagt.“

Denn nach Bobby, ihrem Anfänger-Pony, folgten Goldi und schließlich Melly – „per Zufall gefunden auf ,ehorses’“, Europas führendem Online-Marktplatz zum Kauf und Verkauf von Pferden und jeden Alters. „Es war Liebe auf dem ersten Blick“, sagt Anais, die in den letzten vier Jahren fast jeden Tag im Stall war. Unter den Fittichen von Heimtrainerin Romy Neumeister aus Satuelle ist sie gemeinsam mit Melly gewachsen. „Wir haben beide voneinander gelernt und uns als Team nach oben gearbeitet. Schade, dass unser Weg bald zu Ende ist.“

Ab 17 Jahre aufs große Pferd

Warum das denn? „Das Ponyreiten endet bei Vollendung des 16. Lebensjahrs“, klärt Skady auf. Danach geht es auf Großpferden weitern. Auch sie ist auf Abschiedstour. Doch während Anais noch bei „ehorses“ nach einem geeigneten und vor allem bezahlbaren Sportpferd Ausschau hält (Melly will sie behalten und eventuell als Leasing-Pferd anderen junge Sportler zur Verfügung stellen) müsse sich Skady „zum Glück keine Sorgen machen“. Denn Vater Marko betreibt in Klosterrode (Mansfeld-Südharz) einen Reit-, Zucht- und Pensionsstall. „Mir wurde das Reiten also in die Wiege gelegt, ich kann nichts dafür“, grinst sie Mama Claudia an. Die Auswahl an Pferden ist groß. Viele sind wie Q-Magic auf dem Hof geboren und ausgebildet worden. „Das erleichtert vieles“, gibt sie zu.

Auch Niklas profitiert davon, dass Mutter Alena in Plötzkau einen Reiterhof führt. Hat er jahrelang einen Bogen um die Pferde gemacht, ließ er sich im Alter von neun Jahren vom großen Bruder und dessen „abgelegtem“ Pony mit dem Pferde-Virus infizieren. Von da an erübrigte sich die Frage: Wo ist Niklas? Auch derzeit ist er jeden Tag im Stall zu finden. Doch das sei kein Ferienspaß. „Ich darf jeden Morgen früh raus, ausmisten, füttern, putzen. Neben Cyano muss ich mich noch um zwei weitere Ponys kümmern und sie reiten. Dazu wollen auch noch vier Großpferde bewegt und versorgt werden“, stöhnt er.

Zeit, um von Olympia zu träumen, bleibt da kaum. Das sei „eh unrealistisch“, sind sich die drei Youngster s einig. Aber irgendwann mal beim CIAO in Aachen starten und „dann alle weghauen“, wie jüngst Ostdeutschlands aktuell bester Springreiter André Thieme (siehe Infokasten). „Ja, das wär’s!!“