Suchmaschine Ecosia Der Umdenker aus Wittenberg
Ecosia ist zum millionenschweren Unternehmen gereift. Gründer Christian hat seine Anteile dennoch gespendet. Es geht um Glaubwürdigkeit.
Berlin l Kreuzberg, Hinterhofgebäude. Hier sitzt Christian Kroll gerade auf dem Sofa in seinem Büro und zeichnet mit beiden Händen eine Fahrschneise in die Luft. Seine Hände schlängeln sich parallel zueinander immer weiter nach vorn. Stück für Stück. Mit dem Strom. Das sei die imaginäre Fahrbahn, in der sich Ecosia bewege. „Wir versuchen, den großen Tank namens Weltwirtschaftssystem irgendwie umzulenken“, sagt der Gründer. Ökonomie und Ökologie vereinen, das funktioniere sehr wohl.
Ecosia ist eine Suchmaschine, die ihre Werbeeinnahmen nutzt, um Bäume zu pflanzen. Pro Suchanfrage verdient das Unternehmen rund 0,2 Cent, durchschnittlich 40 Suchan fragen bedarf es für einen Setzling. Die gesamten Gewinne fließen in derzeit 22 Baumpflanz-Projekte in Äthiopien und 16 anderen Ländern. Bei jeder Suchanfrage läuft ein für alle sichtbarer Zähler mit, der zeigt, wie viele Bäume bereits gepflanzt worden sind. Ecosia ist bei mehr als 63,5 Millionen angekommen. 40 Mitarbeiter arbeiten täglich daran, dass es schnell noch viel mehr werden. Jahresumsatz: 20 Millionen Euro.
Kroll hätte den Exit längst vollziehen, seine Anteile verkaufen und an den schönsten Katalogstränden dieser Welt hippe, neue Business-Ideen entwickeln können. Stattdessen hat er seine Anteile 2018 gespendet. 99 Prozent des Kapitals und ein Prozent der Stimmrechte wurden an die Schweizer Purpose Stiftung abgetreten. Damit ist Ecosia unverkäuflich, für alle Zeiten dem guten Zweck verpflichtet und Kroll nicht mehr als ein Angestellter seiner eigenen Firma. Doch was bewegt einen 35-Jährigen, der in zehn Jahren ein millionenschweres Unternehmen aufgebaut hat, zu diesem Schritt?
„Es gibt immer das Business, das vorrangig Geld verdienen will und dann das Business, das irgendwie dagegensteuert und im Sinne der Nachhaltigkeit agiert“, sagt der Wahl-Berliner. „Wir wollten ein Zeichen setzen und zeigen, es geht beides. Ecosia ist mehr als ein Unternehmen, eher Teil einer nachhaltigen Bewegung.“ Sollte ihm jetzt etwas zustoßen, sei Ecosia in guten Händen. „Auch meine Mitarbeiter haben jetzt diese Gewissheit, das ist gut und wichtig.“ Beim Sprechen lehnt sich Kroll immer wieder leicht nach vorn, die Arme verschränkt auf den Knien, ab und zu zuppelt er an seinem Hosenbein rum. Die monoton klingenden Sätze des 35-Jährigen haben nicht viel übrig für rhetorische Finesse. Anstelle von Krolls Stimme gehen am Ende seiner Sätze oft dessen Mundwinkel nach oben. Wenn der Wittenberger von den Anfängen seiner Firma spricht, ist es ein verlegenes Lächeln, das seine Sätze abschließt. Wenn er über die Erfolge, die Zukunft, die große Idee hinter Ecosia redet, ist es eher ein selbstbewusster Ausdruck eigener Überzeugung. Da ist in einem Atemzug der Junge, der die verrückte Idee vor zehn Jahren entwickelt hat, und im nächsten der Mann, der heute weiß, dass sie funktioniert. Doch das war nicht immer so.
Kroll ist in Wittenberg aufgewachsen, mit 16 Jahren fing er an, mit Aktien zu handeln. „Dann ging der Kontostand hoch, das war aufregend. Yeah“, imitiert Kroll sein 16-jähriges Ich und reißt demonstrativ die Arme kurz nach oben. Erst eine Reise nach Indien nach dem Abitur verschaffte Kroll eine andere Perspektive. „Da habe ich irgendwie zum ersten Mal mitbekommen, dass es vielen Menschen auf der Erde und auch der Natur eben nicht so gut geht.“ Gedanken, die während seines BWL-Studiums in Nürnberg immer mehr Raum einnahmen. Mehr als einmal spielte Kroll mit dem Gedanken, das vom Kapitalismus umrahmte Studium abzubrechen – oder es eben besonders schnell durchzuziehen. Kroll entschied sich für die zweite Option. Mit Bestnote. Und gründete währenddessen mit einem Freund ein Bankenvergleichsportal. Der erste Kontakt mit Suchmaschinen. Das verdiente Geld steckte der Sachsen-Anhalter in eine anderthalbjährige Reise nach dem Studium.
„In Nepal kam mir dann zum ersten Mal die Idee, dass man so eine Suchmaschine ja auch für etwas Gutes verwenden könnte.“ Mit Nepalies wollte Kroll eine Suchmaschine aufbauen und mit Hilfe von geschalteten Werbeanzeigen regionale Projekte unterstützen. Ein Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt war. Nur selten fließender Strom, eine kaum existierende Internetwirtschaft – „Nepal war nicht der perfekte Ort dafür“, sagt Kroll schmunzelnd..
Doch sein Verständnis für Suchmaschinen wuchs weiter, ebenso wie der eigene Wille, etwas zu bewegen. Vor allem, als er durch Südamerika reiste. Da sei ihm klargeworden, wie viel Regenwald jährlich verloren geht und wie drastisch das zum Klimawandel beiträgt. „Da haben sich meine Prioritäten endgültig verschoben“, erinnert sich Kroll. Seine Augen sind jetzt fokussiert. In wortreichen Sätzen erzählt er von der Bedeutung von Bäumen. Davon, wie Aufforstung nicht nur beim Kampf gegen Kohlendioxid hilft, sondern auch die lokale Wirtschaft ankurbelt. „Wir wollten von Beginn an immer dort Bäume pflanzen, wo auch sekundäre Faktoren dranhängen.“
Kroll war bereits vor mehr als einem Jahrzehnt überzeugt davon, dass man die Welt mit Aufforstung nachhaltig verändern könnte. Also blieb er auch nach seinem gescheiterten Projekt in Nepal dran. Mit anderen Freelancern entwickelte er in Südamerika Forestle, den Vorläufer von Ecosia. Schnell schloss das Startup eine Partnerschaft mit Google ab und bekam fortan vom US-Giganten die Suchergebnisse geliefert. Täglich stiegen die Nutzerzahlen, die Presse berichtete. „Wir waren auf einem guten Weg.“
Aus Sicht von Google zu gut. Via Mail kündigte der Konzern die Partnerschaft nach wenigen Wochen. Offiziell hieß es in dem Schreiben, dass Menschen nur auf Anzeigen klicken würden, um Geld für den guten Zweck zu sammeln. Das sei schlecht für die Werbekunden. „Ich gaube aber eher, es war nur ein Vorwand. Google ist das cleverste Unternehmen der Welt und will keine Konkurrenz.“
Zurück in Deutschland, musste sich Kroll entscheiden: aufgeben und auf Jobsuche gehen oder weitermachen. Er entschied sich erneut für die zweite, nicht unbedingt einfachere Option. Drei Monate musste er „Klinken putzen“ bei Yahoo, überzeugte das Unternehmen schließlich zur Zusammenarbeit. Und so gründete Kroll 2009 Ecosia.
Am Anfang unterstützte ihn noch seine Schwester bei der Pressearbeit, doch der wurde das Startup-Leben schnell zu rasant. Dafür stieg Serien-Gründer Tim Schumacher, unter anderem langjähriger CEO der börsenorientierten Kölner Sedo AG, 2013 bei Ecosia ein. Ein Wendepunkt. „Mit Tim kam die Erfahrung, die uns gefehlt hatte“, sagte Kroll. Und Schumacher? „Als ich Christian traf, hab ich sofort an seine Idee geglaubt“, sagt der. „Ecosia nutzt die Macht der Internetnutzer, um eines der größten globalen Probleme anzugehen – die Rodung von Regenwäldern.“ Doch auch wenn der Respekt groß war, machte Kroll seinem neuen Mitstreiter sofort klar, dass es keinen Exit geben wird. „Dass er da mitgemacht hat, war nicht selbstverständlich“, so Kroll.
Die größte Veränderung: Statt der vorherigen 80 Prozent wurden künftig nur noch rund 60 Prozent der Umsätze in Baumpflanz-Projekte gesteckt. „So ging es mit dem Unternehmen viel schneller voran, der Kuchen wurde auf einmal größer“, so Kroll.
So groß, dass Ecosia 2018 dem Energiekonzern RWE ein Kaufangebot in Höhe von einer Million Euro für den Hambacher Forst machte. Die Idee hatte das Team zusammen beim Feierabendbier. „Das Geld hatten wir bereits zur Seite gepackt.“ Doch RWE lehnte ab. Ein gelunger PR-Coup auf der einen Seite, ein ernst gemeintes Angebot auf der anderen Seite. Unternehmen und Überzeugung. Trotz des Rodungsstopps ist die Zukunft des Waldes weiter offen. Viel will Kroll nicht verraten, nur so viel: „Das Thema ist noch nicht durch, wir haben da etwas in der Pipeline.“ Immerhin gehe es um einen der letzten großen Mischwälder in Europa.
Dennoch muss man die Frage stellen, ob sein Unternehmen sich nicht in einem System bewege, das es offenkundig ablehnt. „Klar“, antwortet Kroll ohne Zögern. „Auch Ecosia ist nicht vom Kapitalismus losgelöst. Wir verdienen unser Geld mit Werbeanzeigen, sonst könnten wir keine Bäume pflanzen.“
Er würde das selbst gern ändern, jedoch gebe es aktuell noch keinen anderen Weg. Vielmehr wollen er und seine Mitarbeiter das System „von innen heraus verändern“. Oder zumindest den Versuch starten. Und so schwimmt Ecosia eben doch mit dem Strom und versucht so, die Spielregeln zu ändern. „Wenn wir mit einem kleinen Boot irgendwo fernab paddeln, merkt das keiner.“