Lichtverschmutzung Groß Garz: Sachsen-Anhalts dunkelster Ort
Im kleinen Ort in der Altmark sehen die Menschen nachts fast 4000 Sterne. In Großstädten sind es viel weniger.
Magdeburg l Langsam verschwindet die Sonne hinter dem Kiefernwald im Westen von Groß Garz. Erste Sterne funkeln am Himmel über dem Dorf am Nordende des Landkreises Stendal – außergewöhnlich viele Sterne. Nirgendwo in Sachsen-Anhalt ist es dunkler als in der Gemeinde Zehrental, zu der Groß Garz gehört. Das zeigt der kürzlich veröffentlichte Atlas der Lichtverschmutzung. Die Gemeinde ist nur dünn besiedelt – gerade mal 900 Einwohner verteilen sich auf mehr als 70 Quadratkilometer.
Im Gebiet nordöstllich des Arendsees ist der Nachthimmel nur wenig heller als das natürliche Sternenlicht. „Zum Vergleich: Im Zentrum von Magdeburg ist der Himmel ungefähr zwölfmal heller, als er es ohne Lichtverschmutzung wäre“, sagt Christopher Kyba, Mitautor des Weltatlas.
Der Himmelsforscher vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam schränkt ein, die von einem Nasa-Satelliten gemessenen Daten, die in den Lichtatlas einflossen, seien nicht immer hundertprozentig zuverlässig. Zu Ungenauigkeiten könne es kommen, wenn Berge zwischen zwei Messpunkten liegen. Ein Fünftel der gesammelten Daten stamme aber auch von Freiwilligen, die als sogenannte Bürgerwissenschaftler die Himmelshelligkeit gemessen haben.
„Auch im Harz an der Grenze zu Thüringen und Niedersachsen ist der Nachthimmel relativ klar“, sagt Kyba. Weitere Gebiete, in denen kaum künstliche Lichtquellen stören, sind die Gegend um Schollene (Landkreis Stendal) am Westufer der Havel und die Gegend um Nebra (Burgenlandkreis).
Dass nun Ströme von Hobby-Astronomen ins Zehrental pilgern, glaubt Uwe Seifert nicht. Der parteilose Bürgermeister der Gemeinde sagt, dafür sei die Region im Winkel zwischen Niedersachsen und Brandenburg zu abgelegen und verkehrstechnisch schlecht angebunden. „Vielleicht kommen ein paar Schulklassen im Astronomie-Unterricht zu uns“, beschreibt der 61-Jährige seine Hoffnungen.
Das Ergebnis der Studie zur Lichtverschmutzung überrasche ihn nicht wirklich. „Wir sind eine landwirtschaftlich geprägte Gemeinde, hier gehen abends um 10 Uhr die Lichter aus“, sagt Seifert. Viele der Straßenlampen seien bereits auf energiesparende LEDs umgerüstet. In Groß Garz, dem größten der sieben Ortsteile der Kommune, gebe es immerhin noch einen Lebensmittel-Laden, einen Friseur, zwei Metallbaubetriebe. „Wir haben einen Kindergarten, eine Grundschule und einen Fußballverein“, sagt der Gemeinde-Bürgermeister über das Dorfleben.
Deutschlandweit sind drei besonders dunkle Gebiete – der Naturpark Westhavelland in Brandenburg, der Nationalpark Eifel und das Unesco-Biosphärenreservat Rhön in Hessen und Thüringen – als sogenannte Sternenparks anerkannt. An einem natürlichen Himmel sind bis zu 4000 Sterne sichtbar. Sachsen-Anhalt ist im Bundesvergleich noch relativ dunkel. Ein klarer Blick auf die Sterne ist ähnlich wie in Magdeburg weltweit an immer weniger Orten möglich. 42 Prozent der Deutschen können die Milchstraße nicht mehr mit bloßem Auge erkennen.
Ursachen für die Lichtglocken über Städten ist vor allem die Straßenbeleuchtung. Sie sei zur Hälfte für die Aufhellung des Sternenhimmels verantwortlich, so die Initiative gegen Lichtverschmutzung, „Dark Sky“. Auch die steigende Verbreitung von Leuchtreklame und sogenannten Skybeamern – Scheinwerfern, die zum Beispiel als Werbung für Diskotheken in den Himmel leuchten – tragen zur Problematik bei. Dazu kommen immer mehr lichtstarke Strahler, die nachts Gebäude und Sehenswürdigkeiten in Szene setzen. Doch der zunehmende Lichtsmog sei nicht nur für Astronomen ein Ärgernis, sagt Stephan Mertens, Professor für Theoretische Physik an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg und Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. „Das Licht ist der wichtigste Taktgeber in der Natur.“ Die Gesundheit der Menschen leide am Mangel an Dunkelheit ebenso wie Pflanzen und Tiere.
„Zugvögel, die oft nachts unterwegs sind, benutzen den Sternenhimmel als Kompass“, sagt Mertens. Die Vögel verlören so die Orientierung. Ihre wichtigste Nahrungsquelle, nachtaktive Insekten, verende ebenso wie Falter besonders häufig an Lichtquellen mit hohen Blauanteilen. Ganze Insektenarten „drohen dadurch auszusterben“, so der Umweltschützer.
Das Übermaß an Licht störe auch den Tag-Nacht-Zyklus des Menschen, berichtet Mertens. Damit fehlen dem Körper Ruhe- und Regenerationsphasen, die Menschen werden anfälliger für Krankheiten, schreibt die Initiative „Dark Sky“. Dunkelheit sei notwendig, um das Hormon Melatonin zu produzieren. Dieses Schlafhormon soll den Alterungsprozess der Zellen verlangsamen und vor Krebs schützen.
Um diesen Folgen der Lichtverschmutzung entgegenzuwirken, haben die Forscher von „Dark Sky“ um den Astrophysiker Dr. Andreas Hänel von der Universität Osnabrück eine Resolution verfasst. Darin wird gefordert, „künstliches Licht zielgerichtet so einzusetzen, dass es nur dorthin strahlt, wo es benötigt wird“. Insbesondere sei zu vermeiden, dass Licht an den Himmel oder horizontal in die Umgebung strahlt.
Straßenlampen und Licht auf öffentlichen Plätzen sollen in der Nacht – zumindest zeitweise – ausgeschalten oder wenigstens reduziert werden. „Eine Halbierung der Lichthelligkeit wird vom menschlichen Auge kaum wahrgenommen, ist mit modernen Leuchtmitteln leicht realisierbar und spart entsprechende Energiemengen“ heiß es im "Dark-Sky"-Forderungskatalog.
Auch auf dem Magdeburger Ring oder an vielen Fassaden in der Landeshauptstadt ließe sich „durch das Abschalten unsinniger Beleuchtungen“ neben Licht viel Energie und Geld sparen, erläutert Stephan Mertens. Zudem sollen Tieren und Pflanzen komplett dunkle Rückzugszonen gelassen werden. Die Astronomen-Initiative fordert außerdem, den Einsatz von Licht mit hohem UV-Anteil – dazu zählen viele LED-Leuchten – zu begrenzen. Dieses Licht lockt wegen seines blauen Scheins doppelt so viele Insekten an wie herkömmliche Lampen. Am wenigsten Insekten sterben durch Natrium-Gaslampen. Diese häufig als Straßenlaternen eingesetzten Lampen strahlen orangegelb und ziehen nur ein Zehntel der Krabbeltiere an.