Gründer Frische Ideen aus Sachsen-Anhalt
Die Gründerszene in Sachsen-Anhalt hat laut Gründungsmonitor 2020 zugelegt. Die Volksstimme stellt drei junge Unternehmen vor.
Magdeburg l Die Deutsche Bahn ist der größte Kunde von Embever. Das Startup aus Magdeburg stellt der Bahn eine Technologie zur Verfügung, die verhindern soll, dass Loks im Winter bei niedrigen Temperaturen schlappmachen. Kabellose batteriegetriebene Sensoren überprüfen die Spannung der Starterbatterie einer Lok und melden Probleme an die Leitstelle der Bahn. Vorteil: Manuelle Kontrollen durch Mitarbeiter werden reduziert, die Pünktlichkeit nimmt zu.
Sascha Thiergart (31) ist Mitgründer von Embever. Er hat Wirtschaftsingenieurwesen und Mathematik studiert und ist zur Promotion nach Magdeburg gekommen. Die beruflichen Ziele waren schnell klar: etwas aufbauen, am besten mit Freunden. Mit Henry Schlag und Pablo Zometa brachte er 2017 Embever an den Start. Das nötige Kapital besorgte man sich über verschiedene Gründerförderungen.
Embever ist darauf spezialisiert, batteriebetriebene Produkte mit Hilfe von Mobilfunktechnologien mit Webanwendungen zu verbinden. Aufwendige Prozesse will das Startup mit IoT-Lösungen vereinfachen. IoT steht für „Internet of Things“, deutsch: Internet der Dinge. Vernetzte Kühlschränke, kommunizierende Autos, immer mehr Dinge werden mit dem Internet verbunden.
Bei Embever kann das sogar ein riesiger Wald sein. Das Start-up hat mit der österreichischen Firma Witasek eine Falle entwickelt, um die Schädlinge zu zählen. Fallen ständig anzufahren oder in entlegenen Winkeln aufzustellen, ist aufwendig. Die Monotoring-Lösung des Unternehmens liefert etwa Förstern Informationen zu Schwärmflug und Populationsdichte. Befall kann frühzeitig erkannt, Maßnahmen schneller eingeleitet werden. Innovative Projekte wie diese stemmt das Magdeburger Startup bis heute ohne Investor. „Dadurch sind wir maximal flexibel“, sagt Sascha Thiergart. Sechs Mitarbeiter beschäftigt Embever. Die Umsatzentwicklung ist positiv, bei den Neu-Aufträgen bleibe abzuwarten, welche Folgen die Corona-Pandemie noch mit sich bringe, so Thiergart.
Das Magdeburger Startup befindet sich längst in guter Gesellschaft. Das Gründungsgeschehen im Land nahm in Vor-Corona-Zeiten an Fahrt auf. Tauchte Sachsen-Anhalt bei Reports zuverlässig auf den hinteren Plätzen auf, gab es beim kürzlich vorgestellten „Gründungsmonitor 2020“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein positives Signal.
Im Ländervergleich rangiert Sachsen-Anhalt auf Platz 12. Von Platz 15 ging es drei Plätze nach oben. Zwischen 2017 und 2019 stehen im Jahr durchschnittlich 83 Gründungen je 10 000 Erwerbsfähige zu Buche.
Eine Steigerung im Vergleich zu 2016 bis 2018 (77) und zum Zeitraum zwischen 2015 und 2017 (60). Souverän an der Spitze behauptet sich Berlin. Dort starteten in den vergangenen drei Jahren 198 von 10 000 Erwerbsfähigen eine selbständige Tätigkeit. Die Bundeshauptstadt ist der Hotspot für Gründer. Unternehmer Andreas Kopysov hat Anfang des Jahres den Weg von Berlin nach Magdeburg gesucht. Hier erhielt er das nötige Kapital für sein 2018 gegründetes Start-up Visaright. Dahinter verbirgt sich eine Software, mit der Einwanderung für Fachkräfte aus dem Ausland erleichtert wird. Qualifiziertes Personal wird vom Visa-Antrag bis zum Aufenthaltstitel begleitet. Ein zeitaufwendiger Prozess wird mit Visaright auf einer Plattform gebündelt.
Kopysov, der jahrelang im Auswärtigen Amt tätig war, hat eine Million Euro für sein Vorhaben einsammeln können. Das Geld stammt aus den IBG-Fonds, den Risikokapitalfonds des Landes Sachsen-Anhalt. Ziel ist es, kleine und mittlere innovative Technologieunternehmen in Sachsen-Anhalt zu fördern und damit die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Finanziert wird der Fonds durch Mittel des Landes und der Europäischen Union. Verwalter und Kapitalgeber ist bmp Ventures, eine Venture-Capital-Gesellschaft aus Berlin.
Am neuen Standort will Firmenchef Kopysov in den kommenden fünf Jahren sein zwölfköpfiges Team erweitern und die Software weiterentwickeln. Durch Corona sind Visaright Umsätze weggebrochen. Grenzen waren dicht, Firmen konnten kein Personal einstellen. Kopysov möchte nun aus der Not eine Tugend machen und mit den Landesämtern für Einwanderung zusammenarbeiten. Viele öffentliche Verwaltungen seien nur unzureichend digital aufgestellt, sagt er. Visaright möchte digitale Formulare für verschiedene Visa-Arten anbieten. Automatisierte Anträge würden die Sachbearbeiter entlasten. Bis 2021 müssten Verwaltungen ihre Leistungen im Sinne des Onlinezugangsgesetzes (OZG) ohnehin digital anbieten. Der Gründer ist zuversichtlich, dass er auf offene Ohren stößt.
In der deutschen Startup-Szene sind immer noch deutlich mehr Männer unterwegs. Ihre Zahl legte im vergangenen Jahr laut Gründungsmonitor auf 390 000 zu (+ 59 000), die Zahl der Gründerinnen stagnierte dagegen und liegt mit 215 000 kaum verändert (- 1000) auf dem Niveau von 2018. Anteil der Gründerinnen im Jahr 2019: 36 Prozent.
Bereits 2017 haben die Industriedesignerinnen Anna Rausch und Laura Voscort (beide 30) ihren Concept-Store Lokalgold in Magdeburg gegründet. In einem Ladenatelier im Stadtteil Buckau verkaufen sie Möbel, Wohnaccessoires und Grafiken von Kreativen. Vorzugsweise aus der Region – als Kleinserie oder Einzelstück.
Die Gründungsidee reifte während des Studiums an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Unterstützung gab es über die Gründer- und Transferförderung. Dort arbeiteten die beiden Frauen erste Konzepte aus. Die Gründung: ein Studienprojekt. Idee dahinter: „Bis dato gab es einen derartigen Concept-Store in Magdeburg einfach noch nicht“, sagt Anna Rausch. Los ging es im Kreativzentrum in Magdeburg, wo verschiedene Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft unter einem Dach arbeiten. Beim späteren Umzug nach Buckau war noch nicht zu erahnen, dass eine Dauer-baustelle ihrem Laden zusetzen würde. Die mache dem Geschäft beinahe mehr zu schaffen als Corona, sagt Rausch. Bis morgen präsentieren die Startup-Unternehmerinnen ihre Einzelstücke noch im Buckau-Laden in der Magdeburger Innenstadt.
Für die zuletzt positive Gründungstätigkeit sind die Auswirkungen der Corona-Krise eine Bremse, konstatiert der Gründungsmonitor. Anfang April hätten 90 Prozent der Selbständigen Umsatzrückgänge, jeder dritte hatte gar keine Einnahmen mehr. Viele fürchteten um ihre Existenz, andere Startup-Pläne liegen auf Eis. Herausfordernde Zeiten.
Positiv: Während die Zahl der Gründungen zwischen Mitte März und Ende Mai deutschlandweit zurückging, gab es Zuwächse bei Gründungen etwa im Onlinehandel und im Medizinbereich. Aus Krisenzeiten könnten auch weitere erfolgreiche junge Firmen hervorgehen.