Kleiner Parteitag Großes Murren bei Sachsen-Anhalts Grünen
Grüne stellen in Magdeburg Bedingungen für das Fortführen der Kenia-Koalition. Einige werfen Ministerin Claudia Dalbert Vertragsbruch vor.
Magdeburg l Bevor es richtig losgeht, bekommen die Grünen erstmal klargemacht, wo sie hier sind: Nicht nur in der Landeshauptstadt, nein, auch in der Hauptstadt der Fahrraddiebe. „Schließt eure Räder an, am besten mit zwei Schlössern, oder bringt sie am besten gleich mit rein“, ruft Jürgen Canehl in den Saal. Er ist Magdeburger und muss es schließlich wissen. „Hier am Moritzplatz werden am helllichten Tage die Räder geklaut und Schlösser aufgebrochen.“
Etwas dunkel ist es im Saal im Moritzhof und etwas kühl. „Aber das hat energetische Gründe“, erklärt Tagungsleiter Uwe Arnold. Bei der Ökopartei ist das halt so. Doch gleich sollte es heiß hergehen.
Viele der 100 Grünen im Saal sind frustriert. „Kenia ist gescheitert“, sagt Stefan Krabbes (Anhalt-Bitterfeld) über die Koalition. Im Landtag stimmen immer mal wieder etliche CDU-Leute mit der AfD. Und das auch bei Anträgen, die explizit gegen Grüne oder die grüne Seele gerichtet sind. „Das Fass ist voll und es ist an der CDU, wieder Wasser abzulassen“, sagt Ko-Parteichef Christian Franke.
Als CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt die mangelnde Stimm-Disziplin letztens mit der Bemerkung abtat, man sei doch nicht bei der Nationalen Front der DDR, ging vielen Grünen die Galle hoch. Zur Kolik kam es vor zwei Wochen: Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) zwang die grüne Umweltministerin Claudia Dalbert zu einem Waldflächentausch im Harz. Dalbert sprach von einer „Harz-Mafia“. Diese Worte fallen am Sonntag im Saal nicht. Jetzt sagt sie: „Das Vertrauensverhältnis ist gestört.“
Gut 140 Hektar Landeswald gehen an Wernigerode. Dies erleichtert es der Stadt, ein Ganzjahres-Tourismusgebiet mit Skihang und Seilbahn genehmigungsreif zu machen. Die Grünen lehnen das Vorhaben als wahnsinnig ab. Jedoch war der Flächentausch schon 2014 beschlossen worden. Zunächst im Kabinett, dann im Landtag und schließlich gab es auch einen Vertrag. Das Tauschverfahren sollte mit einer letzten Unterschrift im September 2017 besiegelt werden: Doch wenige Stunden davor stoppte Dalbert den Vorgang. Angeblich habe sie nichts davon gewusst. Sie begründet das so: Der Tausch habe nur Sinn, wenn das Projekt auch genehmigt werde. Und daran gebe es wegen der vielen geschützten Moorwaldflächen erheblich Zweifel. „Der Tausch ist ein rechtlich fragwürdiger Schritt. Und für rechtlich fragwürdige Entscheidungen stehe ich nicht zur Verfügung.“ Applaus. Tritt Dalbert nun, wo sie den Schritt gehen muss, zurück? Nein, sagt sie der Volksstimme nach dem Parteitag.
Den Delegierten sagt Dalbert, es habe 2014 ja auch gar keinen Beschluss gegeben. Das Kabinettspapier von 2014 (siehe Ausriss) lässt jedoch nur eine Interpretation zu: Die Regierung gab damals grünes Licht.
Dalbert kann nicht alle Grünen überzeugen. Vor allem der Magdeburger Stadtverband geht mit ihr ins Gericht. Stadtchef Wolfgang Wähnelt sagt: „Verträge sind einzuhalten.“ Das gelte nicht nur für Koalitionsverträge. Und wenn Dalbert etwas anderes wollte, hätte sie alle Vertragspartner an einen Tisch holen müssen. „Wir können nicht einfach etwas einseitig stoppen. Das geht so nicht.“ Wähnelt mahnt: „Ich stehe hinter unserer Ministerin, aber es gehört auch dazu, mal Fehler einzuräumen.“ Nebulös ist nach wie vor, wie es zur Anweisung Haseloffs kam.
Die Volksstimme hatte von mehreren Quellen erfahren, dass Haseloff zunächst eine Bitte formulieren wollte; Dalbert aber auf eine Weisung bestanden habe. Also: Alles gespielte Empörung? Das wollte Michael Stöneberg (Magdeburg) von Dalbert genauer wissen. Doch darauf bekommt er auch nach dreistündiger Debatte keine Antwort. Was ihn und einige andere sichtlich empört. Auf Nachfrage der Volksstimme erläutert Dalbert ihre Sicht: Eine Anweisung erbeten? „Wie käme ich dazu. Ich habe dem Ministerpräsidenten nur klargemacht, dass ich seiner Bitte nicht folgen werde.“ Daher griff er dann zum härteren Mittel.
Koalition aufkündigen oder nicht? Fraktionschefin Cornelia Lüddemann zählt die Erfolge auf (Radwege, mehr direkte Demokratie) und Finanzpolitiker Olaf Meister meint: „Es wäre falsch, wenn wir jetzt rausgehen; dennoch müssen wir murren.“ Die Bundestagsabgeordnete Steffi Lemke sagt: „Wir müssen ab und an die Zähne zusammenbeißen. Aber ab und an, und nicht jeden Tag.“
Etwa 80 der 100 Grünen stimmen denn für ein Vorstandspapier: Die Koalition hält. Vorerst. Im Juni trifft man sich wieder.