Amokfahrt von Magdeburg Interne E-Mail aufgetaucht: FDP wirft Ex-Arbeitgeber von Attentäter „dreiste Lüge“ vor
Laut einer am Dienstag bekannt gewordenen internen E-Mail seines Ex-Arbeitgebers deutete der Amokfahrer von Magdeburg seine Pläne bereits Monate im Voraus an. Noch am Montag gab die Salus indes an, es habe keine Hinweise auf Fehlverhalten gegeben.
![Der gemietete BMW des Attentäters Taleb A. nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/12/d8cf0301-a8fc-41ef-b49d-d6d4c1fdd7e6.jpeg?rect=0%2C300%2C2880%2C1620&w=1024&auto=format)
Magdeburg. - Im Zusammenhang mit der Beschäftigung des Attentäters von Magdeburg bringt eine E-Mail die Landestochter Salus aus Sicht von Landespolitikern in Erklärungsnot.
Attentäter von Magdeburg soll Pläne Monate vor dem Anschlag auf der Arbeit angedeutet haben
Taleb A., der bis zu seiner Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt als Facharzt für Psychiatrie im Maßregelvollzug Bernburg der Salus arbeitete, deutete seine Pläne demnach bereits Monate vor der Tat an. Zuerst hatte der MDR darüber berichtet.
![Auszug aus der E-Mail, über die der MDR berichtet hatte.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/12/bcd8e8a7-a6cd-4f4d-adc5-bbfb379dda8c.jpeg?rect=0%2C0%2C551%2C258&w=1024&auto=format)
Ich befinde mich in einem Krieg, aber nicht im metaphorischen Sinn, sondern in einem wirklichen Krieg, dessen Ausgang entweder sterben oder umbringen sein wird.
Taleb A. laut der internen Mail eines Kollegen im Maßregelvollzug Bernburg im August 2024
Schon im August soll A. dem Bericht zufolge in einem Dienstzimmer des Maßregelvollzugs gegenüber zwei Kollegen erklärt haben: „Ich befinde mich in einem Krieg, aber nicht im metaphorischen Sinn, sondern in einem wirklichen Krieg, dessen Ausgang entweder sterben oder umbringen sein wird.“
Ärztlicher Direktor ignoriert Warnung: Kollege meldete auffällige Aussagen vergeblich
Einer der Kollegen wandte sich anschließend demnach in einer mit hoher Priorität versehenen E-Mail an seine Vorgesetzte, die Therapieleiterin des Maßregelvollzugs.
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Der Verfasser hielt schnelles Handeln für geboten. Über Taleb A. schrieb er: „Man müsste ihm aus meiner Sicht Hilfe anbieten.“ Die Vorgesetzte leitete die Mail laut MDR an den Ärztlichen Direktor weiter, soll aber nie eine Antwort erhalten haben.
Salus in der Kritik: Vorwürfe gegen Arbeitgeber des Attentäters
![Taleb A. in einem Videocall auf der Plattform X - dahinter sein Account, auf dem er sich als militärische Opposition Saudi-Arabiens bezeichnet.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/12/7e0977c4-1258-4837-a9e2-33ccb88e4e98.jpeg?rect=0%2C0%2C4000%2C2667&w=1024&auto=format)
Nach Ansicht von FDP und Linken steht der Bericht im offenen Widerspruch zu Angaben, die die Salus auf Fragen der Volksstimme erst am Montag gemacht hatte. „Taleb A. ist im Dienst freundlich und eher zurückhaltend aufgetreten. Es ist kein Fehlverhalten bekannt geworden, das arbeitsrechtliche Maßnahmen erfordert bzw. möglich gemacht hätte“, teilte Salus-Sprecherin Franka Petzke da noch mit.
Und: „Die in einigen Medien geschilderten Situationen, in denen Taleb A. mit ärztlichem Fehlverhalten in Zusammenhang gebracht wird, sind nicht objektivierbar.“ Auch über die etablierten Meldewege hinaus habe es – etwa über ein anonymes Hinweissystem – keine Meldungen gegeben.
Das ist offensichtlich eine dreiste Lüge gewesen, was die Salus da angegeben hat.
Guido Kosmehl, FDP-Innenpolitiker
FDP-Politiker Guido Kosmehl sagte dazu: „Das ist offensichtlich eine dreiste Lüge gewesen, was die Salus da angegeben hat.“ Zumal der Vorfall dokumentiert sei. In einem am Donnerstag beginnenden Untersuchungsausschuss sei zu klären, ob es weitere Vorfälle gegeben hat.
Salus verteidigt Auskünfte - Vorfall zum Zeitpunkt der Anfrage noch in Prüfung
Die Salus teilte dazu auf Anfrage mit: Die Aussagen gegenüber der Volksstimme blieben richtig, da nach Beschwerden über A. gefragt worden sei. „Bei der im MDR-Bericht zitierten E-Mail handelt es sich um einen von Sorge um die Gesundheit von Taleb A. getragenen Hinweis“, sagte Sprecherin Petzke.
Seine Äußerung wurde als überspitzter Ausdruck einer persönlichen Konfliktbelastung interpretiert.
Salus-Sprecherin Franka Petzke
A. sei am Tag des Mail-Eingangs beim Ärztlichen Direktor krankgeschrieben gewesen. „Daher war eine unmittelbare Intervention nicht möglich“, so Petzke weiter. Später habe der Ärztliche Direktor ein Gespräch geführt, „in dem A. keine Anzeichen einer Selbst- oder Fremdgefährdung erkennen ließ“.
„Seine Äußerung wurde als überspitzter Ausdruck einer persönlichen Konfliktbelastung interpretiert“, ergänzte Petzke. Zum Zeitpunkt der Volksstimme-Anfrage habe sich der Vorfall zudem „noch in der Prüfung befunden“, sagte die Sprecherin. Laut Salus erfuhr der Aufsichtsratschef am 4. Februar von der E-Mail – sechs Tage später gingen die Antworten an die Volksstimme.
![Linke-Fraktionschefin Eva von Angern.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/12/32504a97-4240-4e07-8021-e3ea736a0a00.jpeg?rect=0%2C0%2C4000%2C2467&w=1024&auto=format)
Die augenscheinliche Lüge gegenüber der Öffentlichkeit wirft die Frage auf, ob die Verantwortung für den Maßregelvollzug in den richtigen Händen ist.
Eva von Angern, Fraktionschefin Die Linke
Kritik an der Salus mit Blick auf Taleb A. erhebt auch Die Linke: „Es ist unverantwortlich, dass die Chefetage einen sicherheitsrelevanten Hinweis aus der Mitarbeiterschaft, dessen Ignoranz tödliche Folgen hatte, nicht ernst genommen hat“, sagte Fraktionschefin Eva von Angern der Volksstimme. „Die augenscheinliche Lüge gegenüber der Öffentlichkeit wirft zudem die Frage auf, ob die Verantwortung für den Maßregelvollzug in den richtigen Händen ist“, ergänzte von Angern zu Angaben der Salus zu Taleb A. vom Montag gegenüber der Volksstimme.
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Am Donnerstag startet Parlamentarischer Untersuchungsausschuss
Am Donnerstag startet ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Magdeburger Landtag. Ihm gehören 13 Mitglieder von CDU, SPD, FDP, AfD, Linken und Grünen an. Aufgeklärt werden soll vor allem, warum die Polizei und das von Tamara Zieschang (CDU) geführte Innenministerium die Gefährlichkeit des Attentäters nicht erkannten.
Der Ausschuss wurde von der Koalition – und nicht, wie sonst zumeist der Fall – von der Opposition beantragt. Sebastian Striegel (Grüne) sagte: „Wir werden sehen, ob der Ausschuss von Aufklärungswillen getragen ist oder ob es nur darum geht, die Innenministerin zu schützen.“
Spätestens da hätten bei den Polizeibehörden alle Alarmglocken läuten müssen.
Rüdiger Erben, SPD-Innenpolitiker
Auch Polizei in der Kritik: Hinweise auf Radikalisierung wurden ignoriert?
Doch bohrende Fragen kommen auch aus der Koalition. SPD-Innenpolitiker Rüdiger Erben macht das Agieren der Polizeibehörden fassungslos, da es gravierende Hinweise auf eine potenzielle Gefährlichkeit des Attentäters gab.
Ende 2023 hatte Taleb A. im Internet geschrieben: „Würden Sie es mir verübeln, wenn ich wahllos 20 Deutsche töten würde, weil Deutschland gegen die saudische Opposition vorgeht?“
Im Februar 2024 änderte er auf „X“ sein Profilbild: Zu sehen war nun das US-amerikanische Sturmgewehr AR-15. „Spätestens da hätten doch bei den Polizeibehörden alle Alarmglocken läuten müssen“, sagte Erben.
Das Innenministerium hatte den Eintrag gesehen und die Polizei informiert. Das Landeskriminalamt kam zur Einschätzung, es gäbe „keine Hinweise auf eine radikale oder extremistische Gesinnung“.
Polizeichef forderte schon im Oktober Sicherheitsmaßnahmen: Fehlende Sperren auf dem Weihnachtsmarkt
Ein weiterer Komplex im Sonderausschuss behandelt die Frage, ob die Stadt den Weihnachtsmarkt ausreichend gesichert hatte. Wie die Volksstimme enthüllte, hatte Landespolizeichef Mario Schwan bereits im Oktober 2024 die Polizeiinspektionen schriftlich aufgefordert, die kommunalen Behörden „dahingehend zu sensibilisieren, ob und wie unter Beachtung der örtlichen Bedingungen durch mobile bzw. feste technische Sperren die Sicherheit der Veranstaltungen verbessert werden kann“.
Sechs Menschen starben, 300 wurden verletzt. Wirksame Sperren hatte es nicht gegeben. Striegel sagte: „Mein Eindruck ist, dass Gefahren zwar erkannt, entsprechende Maßnahmen aber nicht ausreichend umgesetzt worden sind.“