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Anzeigen gegen politische Entscheidungsträger Der Anschlag von Magdeburg - und die Frage nach der Schuld

Nach dem Anschlag von Magdeburg liegen weitere Anzeigen gegen politische Entscheidungsträger vor. Die Koalition setzt einen Untersuchungsausschuss ein und viele Schwerstverletzte dürften laut Staatskanzlei lebenslang Hilfe benötigen.

Von Alexander Walter Aktualisiert: 14.01.2025, 19:39
Helfer beräumen den Gedenkort zum Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt an der Johanniskirche.
Helfer beräumen den Gedenkort zum Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt an der Johanniskirche. Foto: picture alliance/dpa

Magdeburg - Nach der Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt sind weitere Strafanzeigen gegen politische Entscheidungsträger bei den Ermittlungsbehörden eingegangen.

Der Volksstimme liegen zwei mit „Bürger Magdeburgs als Zeugen“ sowie „Eine Reihe anonymer Bürger Magdeburgs als Zeugen“ überschriebene Anzeigen vor. Diese richten sich gegen Innenministerin Tamara Zieschang (CDU), Magdeburgs Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos), Ex-Oberbürgermeister Lutz Trümper sowie den Ordnungsdezernenten der Landeshauptstadt, Ronni Krug.

Verfasser der Anzeigen kritisieren Versäumnisse bei Sicherheitsvorkehrungen

Der oder die Verfasser erheben darin schwere Vorwürfe, werfen den Genannten unter anderem „Beihilfe zum Mord“ beziehungsweise „Beihilfe zur fahrlässigen Tötung“ vor. Konkret hätten Einzelne der Verantwortlichen über Jahre nicht die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen für mögliche Anschläge auf den Weihnachtsmarkt getroffen oder ihre Pflichten vernachlässigt.

So heißt es in einer Anzeige etwa wörtlich: „die oben genannte (...) hat es in ihrer Funktion (...) vorsätzlich unterlassen, den Weihnachtsmarkt an den (...) vier Zufahrten/Rettungswegen gegen Attentate speziell mit Pkw/Kraftfahrzeugen zu schützen“.

Zahlreiche Strafanzeigen nach dem Anschlag von Magdeburg

Bei der Amokfahrt am 20. Dezember war der Täter Taleb A., ein 50-jähriger Arzt aus Saudi-Arabien, mit einem BMW auf den Weihnachtsmarkt gerast und hatte dabei sechs Menschen getötet und fast 300 teils schwerstverletzt. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, die die Ermittlungen übernommen hat, bestätigte gestern den Eingang der beiden Anzeigen.

Diese würden an die zuständige Polizeiinspektion Halle übergeben, sagte ein Sprecher. Die Polizei gehe anonymen Anzeigen dabei ebenso nach wie anderen, ergänzte er. Wie viele Anzeigen im Fall insgesamt vorliegen, konnte der Sprecher nicht sagen. Allerdings gingen derzeit täglich weitere ein. Es sei daher von weiter steigenden Zahlen auszugehen.

Untersuchungsausschuss soll Sicherheitsmängel vom Magdeburger Weihnachtsmarkt prüfen

Zur Aufarbeitung der Umstände des Anschlags will die Koalition aus CDU, SPD und FDP im Landtag in der kommenden Woche einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen. Laut einem Entwurf soll der Ausschuss vier Hauptaspekte untersuchen:

1. Sicherheitskonzepte: „Ob und inwiefern bestehende Sicherheits- und Einsatzkonzepte (...) die Durchführung des Anschlags begünstigt“ beziehungsweise ermöglicht haben könnten.

2. Täter-Informationen: Welche Informationen den Behörden wann zu Taleb A. vorlagen. Und warum möglicherweise vorliegende Informationen nicht dazu führten, dass die Behörden davon ausgingen, dass A. eine Straftat von „erheblicher Bedeutung“ begehen könnte. Zudem soll geklärt werden, ob der Täter Unterstützung erhielt.

3. Behördenstrukturen: Ob Änderungen bei Befugnissen und Strukturen der Sicherheitsbehörden geeignet sein könnten, um Anschläge wie den von Magdeburg zukünftig zu verhindern.

4. Berufliche Eignung des Täters:Ob den Behörden Informationen vorlagen, die früh Einfluss auf die ärztliche Zulassung von Taleb A. hätten haben können. Und unter welchen Umständen A. als Facharzt im Maßregelvollzug des Landes angestellt werden konnte beziehungsweise, warum etwa dessen Äußerungen im Netz nicht dazu führten, dass die Beschäftigung beendet wurde.

Landesregierung soll Kommunikationsdaten beteiligter Behörden sichern

Die Landesregierung soll darüber hinaus veranlassen, dass eine in Verwaltungen übliche Löschung von Daten im Fall Taleb A. ausgesetzt wird. Außerdem soll sämtliche Kommunikation aller an der Organisation des Weihnachtsmarkts beteiligten Einrichtungen, darunter Veranstalter, Stadt und Polizei, gesichert werden.

Die Opfer haben Anspruch auf lückenlose Aufklärung. Es darf nicht einmal im Ansatz ein Zweifel daran aufkommen, dass das auch passiert.

Guido Heuer, CDU-Fraktionschef

Wie die Staatskanzlei bestätigte, will Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Donnerstag nächster Woche im Landtag eine Regierungserklärung zum Thema abgeben. CDU-Fraktionschef Guido Heuer sagte zur Einigung auf den Sonderausschuss: „Die Opfer haben Anspruch auf lückenlose Aufklärung.“ Dem werde man nachkommen. „Es darf nicht einmal im Ansatz ein Zweifel daran aufkommen, dass das auch passiert“, so Heuer.

Konsequenzen aus dem Anschlag seien nicht erst nach einem Abschlussbericht zu ziehen, ergänzte SPD-Politiker Rüdiger Erben: „Bestehende Sicherheitslücken für den Weihnachtsmarkt wären natürlich schnell zu schließen.“ FDP-Fraktionschef Andreas Silbersack sagte: „Ziel muss es sein, aus dem Anschlag zu lernen.“ Ein Untersuchungsausschuss müsse daher aktiv Lösungen für die Zukunft entwickeln.

AfD will eigenen Antrag zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses stellen

Die AfD kündigte einen eigenen Antrag zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses an: „Die Aufarbeitung (...) darf nicht von der regierungstragenden Koalition definiert werden, weil sonst die Gefahr besteht, dass alles versucht wird, um die Innenministerin zu schützen und die Aufarbeitung in die falsche Richtung zu treiben“, sagte Politiker Matthias Büttner.

Nach Anschlag von Magdeburg: Langfristige Unterstützung für Schwerstverletzte

Laut Staatskanzlei dürfte die Hilfe für viele Schwerstverletzte das Land noch lange beschäftigen. Vielen müsse möglicherweise lebenslang Hilfe geleistet werden, sagte Regierungssprecher Matthias Schuppe. Laut Bundesopferbeauftragten wurden beim Anschlag 56 Menschen schwerstverletzt, darunter fallen etwa Querschnittslähmungen, Amputationen oder Beckenbrüche. Die Opferbeauftragten von Bund und Land hatten am Montag Hilfen in Millionenhöhe in Aussicht gestellt.