Sachsen-Anhalt Inzidenz-Jo-Jo sorgt für Frust
Die starren Vorgaben der „Bundes-Notbremse“ sorgen in Sachsen-Anhalt für Ärger. Grund: Die Regeln verhindern flexible Öffnungsschritte im Land. Aber auch die Vorgaben der Corona-Verordnung des Landes lösen Frust aus: Restaurant-Inhaber ärgert die Testpflicht für die Außengastronomie.
Magdeburg
Im Landkreis Börde keimte zuletzt Hoffnung auf. Die Sieben-Tage-Inzidenz unterschritt drei Werktage hintereinander den Wert von 100. Die Aussicht auf vorsichtige Öffnungsschritte schien gut. Denn die strenge „Bundes-Notbremse“ wird gelöst, wenn der Inzidenzwert an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen unter 100 liegt. Dann wird die Ausgangssperre aufgehoben. Stattdessen gilt die Corona-Verordnung des Landes mit weniger strikten Regeln.
In Außenbereichen der Gastronomie können Gäste bewirtet werden. Voraussetzung ist ein negativer Corona-Test. Davon ausgenommen sind Geimpfte und Genesene. Der Besuch beim Friseur oder im Kosmetiksalon ist ebenso ohne Test möglich wie der Einkauf in Läden nach Terminvereinbarung.
Pech nur für den Landkreis Börde: Am vierten Werktag (10. Mai) stieg der Wert auf 101,8. Es waren 20 neu mit dem Coronavirus Infizierte registriert worden. Und so war alles wieder auf Anfang gestellt.
Nils Todtenhaupt, Inhaber des Schlossrestaurants Hundisburg, hat dafür wenig Verständnis: „Von der Orientierung nur an Inzidenzzahlen halte ich nichts“, sagte er gestern. „Wir haben die Risikogruppen durchgeimpft. Jetzt sollte man den Mut haben, wieder ein bisschen ins Risiko zu gehen.“ Der Zeitpunkt sei gekommen, die Gastronomie generell wieder zu öffnen. „Draußen sollte das aus meiner Sicht sowieso gelten, auch bei einer Inzidenz von mehr als 100.“ Innen könne man die Auslastung ja gern auf 50 Prozent begrenzen.
Stiller Herrentag im Jerichower Land
Groß ist der Frust auch im Jerichower Land. Im Landkreis liegt die Sieben-Tage-Inzidenz seit geraumer Zeit bei nur knapp über 100. Zu Wochenbeginn sank sie auf 92,6. Der erste Schritt zu mehr Freiheiten schien gemacht.
Doch gestern kam der Rückschlag. Bei gerade mal neun Neuinfizierten im Kreis stieg der Inzidenzwert auf 100,5. Und auch hier geht jetzt alles wieder von vorn los.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Markus Kurze (Burg) kritisiert heftig, was Bundestagsabgeordnete auch aus der Union in Berlin beschlossen haben. „Das starre Festhalten an Inzidenzzahlen ist realitätsfern“, sagte er. „Es kann nicht sein, dass einige wenige neue Fälle das gesamte Leben im Landkreis lahmlegen.“
Kurze spricht Petra Westphal damit aus der Seele. In Schermen betreibt sie die Bauernstube Bocksmühle, ein beliebtes Ausflugsziel am Himmelfahrtstag.
Diesmal aber – ausgerechnet im Jahr seines 30. Bestehens – bleibt das Lokal zu. Den auch im Jerichower Land erlaubten „to-go-Betrieb“ plant Westphal nicht: „Wir könnten die Kontrolle von Testergebnissen und Abstandsregeln gar nicht stemmen“, sagte Westphal. „Das tut uns weh.“ Die Testpflicht für die Außengastronomie ergebe für sie keinen Sinn, ergänzt die Inhaberin. „Wie soll ich Radfahrern, die nur Brause und Bratwurst bestellen wollen, erklären, dass sie erst einen Negativtest vorlegen müssen? Auch Udo Vogt, Inhaber eines Blumengeschäfts in Burg, pflichtet Markus Kurze bei: „Als Blumenhändler durften wir zwar schon ab 1. März wieder öffnen“, sagt er. Als Geschäft in der Innenstadt sei sein Laden aber auf einen lebendigen Einzelhandel mit Laufkundschaft aus anderen Geschäften nebenan angewiesen.
Emanuel Conrady, Inhaber des Restaurants „Rotfuchs“ in Burg und eines Biergartens ist prinzipiell froh, dass es die aktuellen Corona-Regeln gibt. Seinen Biergarten will er zunächst als Kiosk mit Waren zum Mitnehmen wieder öffnen, sobald das Wetter es zulässt. Sein Restaurant bietet derzeit nur Gerichte zum Abholen an.
„Langfristig hoffen wir, dass die Inzidenzzahlen deutlich unter die Marke von 100 sinken“, sagt Conrady. Die Öffnung müsse sich für Gastronomen aber auch rechnen. Solange die Mitarbeiter in Kurzarbeit sind, sei die Kostenseite einigermaßen gesichert. „Öffne ich aber, muss ich bei vier arbeitenden Mitarbeitern schon 250 bis 300 Euro Umsatz pro Stunde machen. „Andernfalls fahre ich mit jeder neuen Stunde ein Minus ein.“
Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte die Ausgestaltung der „Bundes-Notbremse“ scharf kritisiert. Er sprach von „obrigkeitsstaatlichen Vorschriften“. Die bundeseinheitlichen Vorgaben würden der Situation vor Ort nicht gerecht.
Am 6. Juni wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Die Nervosität in der Union wächst. Jüngste Umfragen sehen die CDU hierzulande nur noch knapp vor der AfD, die stets das sofortige Ende des Lockdowns fordert.
Nur die Stadt Magdeburg hat bislang die Notbremse lösen können. Hier geht es nicht zuletzt am Herrentag lockerer zu als andernorts.