Morbiditätsatlas Sachsen-Anhalter leiden besonders häufig unter chronischen Schmerzen
Die Menschen in Sachsen-Anhalter leiden viel häufiger an chronischen Schmerzen als andere Bundesbürger. Vom Krankheitsbeginn bis zur Behandlung vergehen oft Jahre.
Magdeburg - Die Sachsen-Anhalter leiden im Vergleich besonders häufig unter chronischen Schmerzen. Von 10.000 Einwohnern zwischen Arendsee und Zeitz waren zuletzt 711 betroffen.
Zahl der Schmerzpatienten in Sachsen-Anhalt 25 Prozent über Bundesschnitt
Das Bundesland bewegt sich damit 25 Prozent oberhalb des Bundesschnitts von 571 Betroffenen je 10.000 Einwohnern. Nur die Ostländer Thüringen (870 je 10.000), Sachsen (776) und Brandenburg (763) haben noch mehr Schmerzpatienten mit Dauerbeschwerden. Das geht aus gestern vorgestellten Zahlen des Morbiditäts- und Sozialatlasses der Krankenkasse Barmer hervor.
Schon mit den Zahlen auf Bundesebene zählt die Diagnose zu den häufigsten Krankheitsbildern in Deutschland. Laut Barmer leiden bundesweit rund 12 Millionen Menschen an chronischen Schmerzen. Der volkswirtschaftliche Schaden ging laut Bundesregierung zuletzt in die Milliarden.
Besonders viele Betroffene in Mansfeld-Südharz
In Sachsen-Anhalt ist der Landkreis Mansfeld-Südharz am stärksten betroffen (siehe Grafik). Die wenigsten Patienten mit chronischen Schmerzen gibt es im Jerichower Land. Laut Barmer sorgen die Beschwerden unter 60- bis 64-Jährigen dabei jeweils für mehr als acht Krankheitstage im Jahr.
Das Problem betrifft allerdings nicht nur Ältere. Schon unter den 40- bis 49-Jährigen leiden 351 von 10.000 Einwohnern an dem Krankheitsbild. Mit zunehmendem Alter nimmt die Beschwerdehäufigkeit aber deutlich zu (744 Fälle je 10.000 Einwohner bei den 50- bis 59-Jährigen). Insgesamt leiden Frauen deutlich häufiger an chronischen Schmerzen als Männer.
Demografie und soziale Faktoren treiben die Zahlen nach oben
Warum sind in Sachsen-Anhalt häufiger als andere Deutsche betroffen? Uwe Düring, Chefarzt der Schmerztherapie an der Helios Fachklinik Vogelsang-Gommern, sieht vor allem demografische und soziale Gründe: „Die Bevölkerung ist älter als in anderen Bundesländern“, sagte er der Volksstimme. Zugleich seien Menschen im Osten möglicherweise häufiger in Berufen tätig, die die Entstehung chronischer Schmerzen begünstigen. In Gesundheits- und Sozialwesen gibt es demnach besonders viele Betroffene. Die Auslöser für Schmerzen sind vielfältig und reichen von körperlichen Ursachen, wie Rückenproblemen (27,8 Prozent) über Kopfschmerzen (12,6 Prozent) bis zu psychosomatisch bedingten Schmerzen (18,9 Prozent) – etwa in Zusammenhang mit einer Depression.
Problem bei der Behandlung: Zwischen Symptombeginn und einer geeigneten Schmerztherapie vergehen laut „Weißbuch Schmerztherapie“ im Bundesschnitt vier Jahre, in Sachsen-Anhalt immer noch drei.
Einrichtungen zur Schmerzbehandlung fehlen
„Schmerz macht den Alltag zur Tortur. Die hohen Fallzahlen in Sachsen-Anhalt sind alarmierend und zeugen von dringendem Handlungsbedarf“, sagte Barmer-Landesgeschäftsführer Axel Wiedemann zu den Daten. „Gerade für Berufstätige ist es wichtig, dass sie eine multimodale Schmerztherapie auch berufsbegleitend durchführen können.“ Häufig suchten Schmerzpatienten aber zu spät eine Praxis auf. Sind Schmerzen erst einmal chronisch geworden sind, seien diese viel schwerer zu behandeln.
Krankenkasse fordert mehr teilstationäre Angebote für Patienten im Land
Ein Grund für späte Vorstellungen beim Arzt könnten auch unzureichende Versorgungsstrukturen sein. Laut Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerztherapie (BVSD) gab es 2019 landesweit ganze 40 ambulante Schmerzpraxen. Gleichzeitig stand zuletzt mehr als die Hälfte der ambulanten Schmerztherapeuten binnen fünf Jahren vor dem Ruhestand. In Sachsen-Anhalt boten dabei neun Kliniken Schmerztherapien auch stationär an. Die einzige tagesstationäre Einrichtung ist bis heute die Helios-Fachklinik Vogelsang-Gommern. Die Einrichtung versorge dabei Patienten im Umkreis von bis zu 40 Kilometern, sagte Chefarzt Uwe Döring gestern.
Wer bei Helios in die Schmerzbehandlung geht, den unterziehen die Ärzte einer aufwendigen Diagnostik. Anschließend sind je nach Ergebnis eine ambulante, stationäre oder auch teilstationäre Therapie möglich. In der Tagesklinik dauert das klassische Programm fünf Wochen inklusive Physio- und Psychotherapie oder Kältekammer. In Sachsen-Anhalt fehle es an teilstationären Angeboten für Diagnostik und Therapie wie dieser, sagte Barmer-Chef Wiedemann. „Bei der künftigen medizinischen Versorgung sollte man das stärker mitdenken, hier gibt es im Land Luft nach oben.“