Leseranwältin Ansichtssache: Von goldrichtig bis grundfalsch
Wie man ein Thema beurteilt, das hängt unter anderem von den eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen ab. Was der eine goldrichtig findet, ist für die andere grundfalsch, und für viele andere wiederum irgendwo dazwischen angesiedelt. Auf die meisten Dinge kann man also aus mehreren Perspektiven blicken – und Journalisten sollten dies grundsätzlich tun, um die Vielfalt an Sichtweisen und Meinungen erfassen und darstellen zu können.
Warum aber, so fragt ein Leser, nehmen Reportagen über die DDR-Vergangenheit nach seinem Eindruck immer auf Negatives Bezug? Warum finden (oder suchen?) Reporter nicht die positiven Geschichten?
Ob dies tatsächlich immer oder überwiegend so ist, das ist vorderhand schwierig zu sagen; dazu müsste man die mediale Berichterstattung der letzten Jahre genauer untersuchen. Die Forderung, differenziert(er) hinzuschauen, ist grundsätzlich jedenfalls berechtigt: also auf Zwischentöne zu achten, bewusst auch nach der „anderen Seite der Medaille“ zu suchen, die Dinge einzuordnen.
Daher wäre es geradezu ein handwerklicher Fehler, würden Redaktionen Beiträge zum Beispiel über Menschen kategorisch ausschließen, die zu DDR-Zeiten berufliches oder privates Engagement gezeigt haben, das auch in der Rückschau noch Respekt abnötigt. Da Journalisten zwar mit vielen Menschen zu tun haben und trotzdem nicht alles wissen können, helfen uns auch Hinweise von Lesern, interessante Menschen und ihre Geschichten zu entdecken.
Zur journalistischen Verantwortung gehört es jedoch ebenso, die mögliche Wirkung einer Darstellung zu bedenken, sowohl was den einzelnen Beitrag als auch die Summe der Berichterstattung betrifft. Eine ausschließlich negative Darstellung des Lebens in der DDR würde den Lebenserfahrungen vieler ihrer damaligen Bürger nicht gerecht.
Umgekehrt dürfen auch positive Darstellungen nicht als Vehikel dienen, das Gesamtbild zu verzerren und eine Diktatur zu verklären, die Menschen verfolgt, drangsaliert und getötet hat.